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Atompolitik Schweiz
Als Zürich Ja zur Atomkraft sagte – und Blocher und Ledergerber sich zofften

Elmar Ledergerber, links, und Christoph Blocher, rechts, in einem Streitgespraech um Atomenergie und das Atomkraftwerk Kaiseraugst, aufgenommen im Jahr 1980. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str)
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In Kürze:
  • Der Streit um das AKW Kaiseraugst entfachte hitzige Debatten im Jahr 1980.
  • Christoph Blocher betonte die Notwendigkeit einer vom Ausland unabhängigen Energieversorgung.
  • Elmar Ledergerber zweifelte am Bedarfsnachweis und kritisierte Blochers Argumentation.
  • Das Projekt wurde 1988 eingestellt, auch wegen des Widerstands aus der Region.

«Es geht darum, unsere Überlebenschance zu verbessern!» Christoph Blocher wurde am 21. Januar 1980 im Zürcher Kantonsparlament grundsätzlich. Der damalige SVP-Kantonsrat und spätere Bundesrat sprach als Präsident der vorberatenden Kommission zur geplanten kantonalen Volksabstimmung über die «Wünschbarkeit» des Kernkraftwerks Kaiseraugst AG.

Die AKW-Frage spaltete damals den Kanton Zürich.

«In Anbetracht der grossen Bedeutung der Energie für unser Überleben und der Bedeutung für die Erhaltung unserer Arbeitsplätze ist ein weiteres Kernkraftwerk wie Kaiseraugst notwendig», sagte Blocher. Es gehe um eine «Frage der Verantwortung gegenüber der Zukunft». Auch wenn sämtliche Alternativenergien vorangetrieben würden, käme man für die nächsten 20 Jahre nicht um den Ausbau der Kernenergie herum, «wenn wir für den minimalsten Lebensunterhalt nicht weiterhin vom Pulverfass im Mittleren Osten abhängig sein wollen».

Nachzulesen ist Blochers Grundsatzrede zur AKW-Frage in Dokumenten, die das Staatsarchiv neu in einem Onlineportal öffentlich zugänglich gemacht hat. Dort können jetzt Tausende von Regierungsratsbeschlüssen, Kantonsratsprotokollen, die Gesetzessammlung und das Amtsblatt mit einfachen Suchbegriffen durchforscht werden.

Ein Gruppe von Atomkraftwerkgegner aus Kaiseraugst besuchen im Vorfeld der Abstimmung ueber das AKW Kaiseraugst das Zuercher Unterland, aufgenommen am 20. September 1980. (KEYSTONE/Str)

Die Debatte über die Atomkraft ist in der Schweiz auch heute wieder aktuell. Ende August hatte Energieminister Albert Rösti (SVP) angekündigt, das Neubauverbot für Atomkraftwerke aufheben zu wollen – obwohl dieses 2017 vom Volk mit einem Ja-Anteil von 58 Prozent der Stimmen bestätigt wurde, auch der Kanton Zürich stimmte damals zu. Laut einer neuen Umfrage stützen 53 Prozent der Bevölkerung den Kurswechsel des Bundesrats in der Atompolitik.

«Halb Bauernfängerei, halb Augustrede»

In der Debatte im Zürcher Kantonsparlament im Januar 1980 bot der damalige SP-Kantonsrat Elmar Ledergerber Blocher die Stirn. Der Bedarfsnachweis für das AKW Kaiseraugst sei nicht erbracht und die Wünschbarkeit nicht gegeben, sagte der spätere Nationalrat und Zürcher Stadtpräsident. Der Regierungsrat wie auch die vorberatende Kommission habe sich um die Frage des Bedarfsnachweises «ganz massiv herumgemogelt». Blocher warf er vor, in der so wichtigen Energiefrage in einer Art gesprochen zu haben, die «halb Bauernfängerei und halb Augustrede» gewesen sei.

Das liess Blocher nicht auf sich sitzen. Er wolle in der Schweiz eine sichere, möglichst auslandunabhängige Energieversorgung, entgegnete er. «Das kann man, wie Herr Ledergerber, mit Hinweisen auf Augustreden lächerlich machen. Für mich ist der 1. August nichts Schlechtes, und dann ist für mich die Unabhängigkeit des Landes ebenfalls nicht ins Lächerliche zu ziehen.»

Ursula Kochs Kritik am «Elektrofilz»

Einen verbalen Schlagabtausch lieferte sich Blocher in der Kaiseraugst-Debatte im Januar 1980 noch mit einer anderen SP-Kantonsrätin, die später ebenfalls zu einer bekannten Schweizer Politikerin aufstieg: Ursula Koch, die spätere SP-Stadträtin in Zürich und Präsidentin der SP Schweiz.

Die Zuercher Stadtraetin Ursula Koch haelt eine Rede bei einer Anti-AKW-Demonstration in Zuerich im Juni 1986. Nach dem Reaktorunfall im April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine wurden grosse Mengen an Radioaktivitaet freigesetzt und an die Atmosphaere abgegeben. In den Luftmassen transportierte radioaktive Partikel erreichten ganz Europa. (KEYSTONE/Str)

Koch erinnerte an das Risiko eines AKW-Unfalls mit Auswirkungen auf den Kanton Zürich. Weiter sei das Atommüllproblem in keiner Art und Weise gelöst. Auch vom staatspolitischen Standpunkt aus sei es höchst bedenklich, wenn eine Regierung und ein Kantonsparlament den Bau eines Kernkraftwerks in Kaiseraugst als erwünscht erklärten, «wenn alle ganz genau wissen, dass die betroffene Bevölkerung sich vehement dagegen wehrt».

Weiter sprach Koch mit Blick auf die von der Stromwirtschaft erstellten und von der Regierung übernommenen Bedarfsprognosen für das AKW Kaiseraugst von «Elektrofilz».

Das rief Blocher auf den Plan: «Elektrofilz – vielleicht ist das eine neue Energiequelle?» spottete er. Zudem sah er sich genötigt, «ein paar kochsche Unwahrheiten richtigzustellen», wie er sagte. «Frau Koch hat sich heute im Erzählen von Geschichten, so à la Trudi Gerster, gefallen.»

Mehrere hundert Leute der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst besetzten am 1. April 1975 das Baugelaende des geplanten AKW Kaiseraugst (AG). In den folgenden Tagen und Wochen besuchten tausende Kernkraftgegner aus der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich das Areal, hier am 9. April 1975. Die Notwendigkeit und Sicherheit der Kernenergie wurde erstmals von einer breiten Oeffentlichkeit in Frage gestellt. Nach Jahren des Protestes und einer langen Besetzungsgeschichte faellte der Bundesrat schliesslich den Entscheid, auf den Bau des energiewirtschaftlich ueberfluessigen Kernkraftwerkes zu verzichten. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/STR)

Hauchdünne Mehrheit

Am 28. September 1980 kam es im Kanton Zürich zur konsultativen Volksabstimmung zur Wünschbarkeit des Kernkraftwerks Kaiseraugst. Das Resultat fiel knapp aus: 50,7 Prozent der Stimmenden sagten Ja – 3300 Stimmen machten den Unterschied. Eine Mehrheit des Kantonsrats und der Regierungsrat hatten zuvor die Ja-Parole herausgegeben.

Die Stadt Zürich lehnte die Vorlage mit 56 Prozent Nein-Stimmen ab. Nein sagten auch diverse Gemeinden im Oberland, Weinland und Unterland. Dagegen befürworteten die meisten Seegemeinden die Vorlage, ebenso wie die Stadt Winterthur. Die höchsten Nein-Stimmen-Anteile resultierten in Weiach und Bachs. Dort wollte die Nagra damals Probebohrungen für ein Atommüll-Endlager durchführen.

So stimmten die Zürcher Gemeinden 1980 beim Urnengang über die Wünschbarkeit des AKW Kaiseraugst. Gemeinden mit Ja-Mehrheiten sind grün eingefärbt, solche mit Nein-Mehrheiten rot.

Die NZZ deutete das knappe Abstimmungsergebnis dahingehend, dass das föderalistische Verständnis für die starke Opposition gegen das AKW in der Nordwestschweiz womöglich durch Aversionen aufgewogen worden sei, dass die Besetzung des Werkgeländes in Kaiseraugst und Aktionen bis hin zu Sprengstoffanschlägen «nicht durch besondere Rücksichtnahme zu honorieren seien». Immerhin, so die NZZ weiter, sei das Abstimmungsresultat ein weiteres Zeichen dafür, «dass die Flut der antinuklearen Emotionen ihren Höchststand überschritten hat».

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Pläne wurden 1988 fallen gelassen

Die Debatte um Kaiseraugst beschäftigte die Schweizer Politik danach noch mehrere Jahre. 1988 wurden die Pläne für den Bau dieses Reaktors fallen gelassen. Das Projekt scheiterte nicht zuletzt am Widerstand der regionalen Bevölkerung und von Umweltschutzkreisen. Darüber hinaus verstärkte die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 die Skepsis gegenüber der Atomkraft. Laut dem Bundesrat waren für das AKW-Projekt Kaiseraugst bis Ende 1987 Kosten von rund 1,3 Milliarden Franken aufgelaufen.