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Koalitionsverhandlungen in Israel
Netanyahu gerät in die Defensive

Versucht sich mit Winkelzügen an der Macht zu halten: Israels Premier Benjamin Netanyahu.
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Es ist Halbzeit in einem aufreibenden Spiel, doch es bleibt keine Zeit zur Rast: Von den vier Wochen, die Israels Premierminister Benjamin Netanyahu nach der Parlamentswahl vom März zugestanden bekam, um eine neue Regierung zu bilden, sind zwei bereits verstrichen. Was immer Netanyahu auch versuchte zur Bildung einer Koalition – es tauchten stets neue Hürden auf. Nach den geltenden Regeln also scheint er das Spiel nicht mehr gewinnen zu können. Was liegt da näher, als mitten im Spiel die Regeln zu ändern?

Bei der vom Umfeld Netanyahus ins Spiel gebrachten Regeländerung soll das nach vier Wahlen immer noch blockierte Parlament erst einmal ins Abseits gestellt werden. Stattdessen sollen Israels Bürger unter veränderten Bedingungen erneut zur Wahl gerufen werden: Per Direktwahl sollen sie bestimmen, wer Premierminister wird. Der vom Wähler auserkorene neue Regierungschef soll sich dann im alten Parlament eine Mehrheit suchen.

Direktwahl eigentlich unpopulär

Eine Direktwahl des Premiers gab es tatsächlich früher schon einmal in Israel, und der erste so gewählte Regierungschef war 1996 ein gewisser Benjamin Netanyahu. 2001 aber wurde das Experiment mit der Direktwahl wieder beendet, weil erwiesenermassen das Ziel verfehlt wurde, mehr Stabilität und weniger Zersplitterung in der Parteienlandschaft zu erreichen.

Der jetzige Vorstoss, der von Netanyahus Verbündeten in der ultraorthodoxen Schas-Partei eingebracht wurde, sieht keine generelle, sondern nur eine einmalige Rückkehr zur Direktwahl vor. Angesichts einer zersplitterten Opposition, die sich auf die Schnelle wohl kaum auf einen einzelnen Gegenkandidaten würde einigen können, ist der Vorteil für den Amtsinhaber evident. Kein Wunder also, dass Netanyahu sogleich jubelte: «Es gibt eine Lösung der schwierigen politischen Lage.»

Hat sich Netanyahu verrechnet?

Überdies kündigte er an, dass diese Lösung von einer grossen Mehrheit unterstützt würde. Doch da könnte er sich verrechnet haben. Denn ziemlich überraschend zeichnet sich seit Montagabend eine Mehrheit gegen Netanyahu ab. Der Lackmustest war die Abstimmung über die Besetzung des sogenannten Regelungskomitees in der Knesset – und diese Abstimmung ging mit 51 zu 60 Stimmen für Netanyahu verloren.

Das Regelungskomitee, in dem der Anti-Netanyahu-Block nun eine Mehrheit hält, ist in der Phase der Regierungsbildung zuständig für die Abläufe im Parlament. Es ist also ein kurzlebiges, aber nichtsdestotrotz sehr machtvolles Gremium. Schliesslich könnte es zum einen den legislativen Anlauf zur Direktwahl des Premiers bereits im Keim ersticken.

Zum anderen könnte es ein Gesetz auf den Weg bringen, das es einem unter Anklage stehenden Politiker untersagt, eine Regierung zu bilden. Netanyahu steht bekanntlich derzeit in Jerusalem wegen Korruption vor Gericht.

Die Opposition im Hoch

Aufwind verspürt nun Oppositionsführer Jair Lapid, dessen Zukunftspartei bei der Wahl am 23. März hinter Netanyahus Likud auf den zweiten Platz gekommen war. Von einer exklusiven Direktwahl des Regierungschefs hält er gar nichts. Dies würde das Land nur «weiter paralysieren und den Fokus weiter auf Netanyahu richten», erklärte er.

Nach der für ihn erfolgreichen Abstimmung über das Regelungskomitee in der Knesset dankte Lapid ausdrücklich allen seinen «Partnern» und kündigte an, dies sei «ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zu einer Regierung der Einheit». Lapid erwartet nun, dass er nach dem Auslaufen von Netanyahus Mandat zur Regierungsbildung am 4. Mai von Präsident Reuven Rivlin mit der Suche nach einer Parlamentsmehrheit betraut wird.

Im Netanyahu-Lager macht sich unterdessen Unsicherheit breit, sogar das O-Wort wird dort schon benutzt: «Wir beginnen zu verstehen, dass die rechten Parteien sich in Richtung Opposition bewegen», erklärte der Likud-Abgeordnete Miki Zohar, der als Sprachrohr Netanyahus gilt. Netanyahu werde in diesem Fall als Oppositionschef agieren, kündigte er an – und schob zur Warnung an die politischen Gegner hinterher: «Glaubt mir, ihr werdet es nicht leicht haben mit uns.»