Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kriege in Nahost und der Ukraine
Weshalb Selenski den Kampf um Aufmerk­samkeit in Davos gewonnen hat

epaselect epa11082745 Ukrainian President Volodymyr Zelensky reacts during a plenary session in the Congress Hall at the 54th annual meeting of the World Economic Forum (WEF) in Davos, Switzerland, 16 January 2024. The meeting brings together entrepreneurs, scientists, corporate and political leaders in Davos under the topic 'Rebuilding Trust' from 15 to 19 January.  EPA/Radek Pietruszka POLAND OUT
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Wenn Nili Margalit spricht, scheint sie mit ihren Gedanken noch immer in den Tunneln der Hamas zu sein. Dort, wo sie 55 Tage in Geiselhaft war. 

Die Israelin kam im November frei. Sie sagt: «Ich habe keine Ahnung, wie man das, was ich durchgemacht habe, noch länger überleben soll.» Margalit erzählt ihre Geschichte in Davos. Sie erzählt sie Unternehmern, Journalisten und Politikerinnen – abseits der grossen Bühnen des WEF. Immer wieder. Sie will öffentlichen Druck erzeugen. Mehrere ihrer Freunde sind immer noch in den Tunneln, in der Gewalt der Terroristen. Sie unternimmt alles, damit sie freigelassen werden.

Die 40-Jährige sitzt auf einem Sofa im Pavillon der amerikanischen Softwarefirma Palantir an der Promenade, ausserhalb der WEF-Sicherheitszone. Das sagt viel  über die Präsenz aus, die Israel am WEF hatte.

Nili Margalit ist nach Davos gereist, um von ihren schrecklichen Erfahrungen in Geiselhaft zu berichten.

Ein House of Israel gab es an der Promenade nicht, während andere Staaten eigene Räume, gar eigene Pavillons hatten. Auf dem WEF-Programm standen nur zwei Veranstaltungen, an denen offizielle Vertreter Israels sprachen. Obwohl der Nahostkonflikt in vielen Debatten und bilateralen Treffen eine Rolle spielte.

Die Ukraine hingegen war in Davos omnipräsent. Selenskis Besuch wurde perfekt inszeniert – auch mithilfe der Schweiz. Von der Umarmung mit Bundesrat Ignazio Cassis am Flughafen bis zum Auftritt am WEF wurde alles auf Social Media geteilt. Selenski sprach am Eröffnungstag, dem Tag mit der meisten Politprominenz. Das House of Ukraine bot fast rund um die Uhr Programm. Und vor allem waren Selenskis Leute am WEF überall.

Der ukrainische Aussenminister, der Verteidigungsminister, der Justizminister, der Leiter des Präsidialamts: Sie alle reisten nach Davos und bekamen diverse Auftritte. Auch mit der Hilfe anderer Staaten, allen voran der Schweiz. So trat Wirtschaftsministerin Julia Swiridenko neben Viola Amherd und Ignazio Cassis bei einer Veranstaltung im House of Switzerland auf. 

Krieg ist auch ein Kampf um Aufmerksamkeit. Das musste die Ukraine in den letzten Monaten spüren: Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober lag der Fokus vieler westlicher Staaten auf dem Nahen Osten. Die Waffenlieferungen an die Ukraine nahmen ab.

Schweiz zeigte sich weniger engagiert

Nun bricht das dritte Kriegsjahr an. Selenski war wohl klar: Nachdem er am WEF schon zweimal per Video zugeschaltet gewesen war, musste er diesmal vor Ort an die Mächtigen der Welt appellieren. Viele von ihnen traf er persönlich, die Bilder auf Social Media erzählen davon. 

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Aus Israel reiste Staatspräsident Isaac Herzog nach Davos, zusammen mit seiner Frau. Er ist vor allem für die Repräsentation zuständig. Benjamin Netanyahu und alle seine Minister blieben in Jerusalem. Aus regierungsnahen Kreisen hiess es, sie könnten wegen des Krieges das Land nicht verlassen. Herzog war nur am Donnerstag am WEF – ein Tag, der traditionell weniger wichtig ist, weil viele Spitzenpolitiker schon wieder abgereist sind. 

Wie verhielt sich die Schweiz bezüglich der beiden Kriege? Während Amherd Selenski einen Friedensgipfel versprach, zeigte sich die Bundespräsidentin als Vertreterin des WEF-Gastgeberlandes beim Thema Nahost deutlich weniger engagiert. 

Sie sagte zwar, die Lage im Nahen Osten sei in all ihren bilateralen Treffen ein Thema gewesen. Aber gross kommentieren wollte Amherd das nicht. Die Schweiz konzentriere sich auf humanitäre Bemühungen. Punkt.

Wenig war auch von Cassis zu hören. Der Aussenminister war es, der sich mit Herzog traf – normal wäre ein Gespräch zwischen dem israelischen Präsidenten und der Bundespräsidentin gewesen. Es habe Terminkonflikte gegeben, sagte Amherd, als sie darauf angesprochen wurde. Kurz zuvor hatte sie betont, sie habe alle Treffen wahrnehmen können, die sie wollte. 

Die Rolle Israels ist nicht direkt vergleichbar mit jener der Ukraine. Herzog musste am WEF etwa auch die enorme Zahl ziviler Opfer in Gaza erklären. Die Argumentation der Ukrainer und der Israelis ist derzeit allerdings sehr ähnlich: «Es geht nicht um uns. Wir verteidigen die freie Welt, wir verteidigen Europa.» Am WEF waren weder Russland noch die Hamas präsent – wohl aber mächtige Unterstützer von Hamas und Hizbollah, wie der Iran. Dessen Aussenminister erhielt in diesem Jahr einen Auftritt auf der grossen Bühne, was für Kritik sorgte.

Arabische Staaten sandten teils grosse Delegationen, ihre Unternehmen dominierten die Promenade. An vielen Panels war von einer Zweistaatenlösung die Rede.

Margalit, die den Tunneln entkam, lässt nicht locker

Der «New York Times» fiel in Bezug auf Israel etwas anderes auf: Obwohl nach dem 7. Oktober Antisemitismus auch in vielen westlichen Ländern wieder ein grösseres Problem wurde, war dies am WEF praktisch kein Thema. Die Zeitung titelte: «Wieso ist Antisemitismus weit unten auf der Agenda in Davos?»

Sie erklärte es unter anderem damit, dass «heikle Themen» schon früher am WEF nicht offiziell thematisiert worden seien. Das WEF nahm dazu – wie auch zum Auftritt des iranischen Aussenministers – keine Stellung. An der einzigen Veranstaltung zum Thema Antisemitismus diskutierten keine Politiker, sondern zwei «Spouses»: der Mann von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, Douglas Emhoff, und die Frau des israelischen Präsidenten, Michal Herzog. In einem kleinen Saal, in dem rund 50 Leute Platz finden. Zu den Geiseln gab es keine eigene Debatte. 

Nili Margalit, die Frau, die 55 Tage in Geiselhaft war, lässt jedoch nicht locker. Am Freitag versucht sie weiterhin, Druck für die Freilassung der Geiseln zu erzeugen. Obwohl die Strassen von Davos nach all dem Trubel bereits auffallend leer sind. Sie sagt: «Solange die anderen in der Hölle sind, kann ich mit meinem Leben nicht einfach weitermachen.»