Thema Nahostkonflikt an SchulenBildungsdirektor fordert Lehrpersonen auf, Stellung gegen Hamas-Terror zu beziehen
Der Zuger Regierungsrat Stephan Schleiss (SVP) appelliert in einem Brief an alle Schulen im Kanton, sich klar zu positionieren. Sein Vorgehen sorgt für Irritationen.
Der Krieg im Nahen Osten treibt Stephan Schleiss um. Der Zuger Bildungsdirektor hat deshalb kürzlich an alle Zuger Lehrpersonen, Schulleitungen und -verwaltungen einen Brief geschrieben. Der Betreff: «Bei Terrorismus kein ‹Ja, aber …›». Schleiss appelliert, sich beim Nahostkonflikt klar zu positionieren – und zwar auf der Seite von Israel.
Er bezieht sich auf den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, der in einer Regierungserklärung sagte: «In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz fest an der Seite Israels.» Jedes «Ja, aber» sei angesichts der Brutalität und Menschenverachtung der Terroristen völlig fehl am Platz. Auch Schleiss findet, es gebe nichts zu relativieren: «Kein ‹Ja, aber …›, wo es um Terrorismus geht», schreibt Schleiss. (Lesen Sie den Brief im Wortlaut.)
«Gerade in der Bildung sind wir alle bei der Vermittlung, Einforderung und Verteidigung gemeinsamer, unverrückbarer Werte gefordert», heisst es darin weiter. Freiheit und Sicherheit seien nicht selbstverständlich, denn: «Wir müssen an unseren Schulen immer wieder das Fundament dafür legen.»
«Nicht als direkte Instruktion gedacht»
Handelt es sich um einen Maulkorb an die Adresse der Lehrerinnen und Lehrer? «Mitnichten», sagt Stephan Schleiss am Telefon. «Ich möchte mit diesem Brief zum Ausdruck bringen, dass diese Debatte an den Schulen objektiv geführt werden muss.» Der Brief sei «nicht als direkte Instruktion für den konkreten Unterricht gedacht».
Wie der SVP-Regierungsrat sagt, habe sein Schreiben auch zu Kontroversen geführt: «Ich habe von einigen Lehrpersonen direkt positive Reaktionen erhalten, aber auch vernommen, dass andere ihr Missfallen darüber äusserten.»
Im Fall des Ukraine-Kriegs hielt Schleiss einen solchen Brief nicht für nötig, weil die «Fronten in der Schweiz zugunsten der Ukraine viel klarer» seien.
«Wir wären schon gerne darüber orientiert worden, wenn der Bildungsdirektor solche Informationen weitergibt.»
Etwas erstaunt reagiert der Lehrerinnen- und Lehrerverein des Kantons Zug. Co-Präsident Pascal Christen erfährt durch diese Redaktion vom Brief. Obwohl er an sämtliche Lehrpersonen der kantonalen Schulen adressiert war. «Wir wären schon gerne darüber orientiert worden, wenn der Bildungsdirektor solche Informationen weitergibt.»
Der Brief sei ungewöhnlich. So ist ihm kein Beispiel bekannt, wo die Zuger Lehrpersonen schon einmal bezüglich internationaler Politik angeschrieben wurden. Das letzte Mal, als der Zuger Bildungsdirektor eine Weisung vornahm, ging es um den Genderstern. Damals, Anfang 2022, setzte der Kanton seinen Schulen Leitplanken in Sachen geschlechtergerechte Sprache.
Jedenfalls findet Christen den Brief inhaltlich nicht weiter problematisch. «Ich empfinde ihn nicht als Maulkorb, sondern als Aufforderung, auch kontroverse Themen im Schulzimmer anzusprechen.» Insbesondere im Kanton Zug, wo der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wegen der vielen internationalen Firmen hoch sei.
Oberste Lehrerin mahnt an sachlichen Unterricht
Irritiert zeigt sich Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz. «Die Aufgabe der Schule ist es, hinzuhören und sachlich und neutral zu erklären. Aber sicherlich keine Schuldzuweisungen zu machen», sagt die Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.
«In einer Klasse können so viele Kulturen mit unterschiedlichen Sichtweisen aufeinanderprallen, da ist es zentral, dass Lehrpersonen die Thematik sachlich darstellen.» Und Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, zwischen wahren und falschen Informationen unterscheiden zu können und sich eine eigene fundierte Meinung zu bilden.
Ein Schreiben durch die Bildungsdirektion könne durchaus sinnvoll sein, wenn es eine Hilfeleistung biete. Denn wie Rösler von vielen Schulen hört, ist der Umgang mit dem Thema durchaus eine Herausforderung. «Es ist für mich aber nicht ersichtlich, was mit dem Brief genau bezweckt werden soll.»
Inhalte in sozialen Medien diskutieren
Auch sie selbst hat im Schulzimmer erlebt, wie die Eskalation in Nahost bewegt. «Ein muslimischer Schüler wurde von anderen provoziert, das hätte schnell eskalieren können.» Also sei sie mit den Schülern hingesessen und habe versucht, sachlich über das Thema zu sprechen.
Was Rösler besonders auffällt, ist die Rolle der sozialen Medien. «Ein Schüler meinte: Ich weiss, wer schuld ist. Das habe ich auf Insta gelesen.» Umso wichtiger sei es, dass die Lehrpersonen die ohnehin zentrale Medienkompetenz förderten – und mit den Schülern auch altersgerecht über die Inhalte in den sozialen Medien diskutierten.
Derweil fordert Bundesrat Ignazio Cassis «einen klaren Diskurs mit konkreten Taten» zum Nahostkonflikt. Angesichts von Antisemitismus-Fällen in der Schweiz ruft er in einem Gastbeitrag in der Westschweizer Zeitung «Le Temps» dazu auf, «mehr zu tun und wachsam zu bleiben». Der Bundesrat prüft derzeit, einen Mediations- und Vernetzungsort zu schaffen. Zum Leid der Palästinenser, das «auch nicht verschwiegen werden darf», hält Cassis fest, dass die Schweiz «sich weiterhin mit Nachdruck für die Werte Frieden, Menschlichkeit und Hilfe für andere einsetzt».
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