Nadine Jürgensen redet KlartextWir brauchen mehr Lohntransparenz
Haben Sie schon mal Ihren Lohn verraten? In der Schweiz ist das unüblich, man spricht, so heisst es, lieber über den eigenen Tod als den eigenen Lohn. Als Berufseinsteigerin habe ich es dennoch gewagt und in einer kleinen Gruppe meinen Lohn offengelegt. So erfuhr ich, dass ich mit Abstand am wenigsten verdiente. Was für mich durchaus hilfreich war, auch wenn es mir erst einmal nichts nützte. Denn meine zahlreichen Anläufe, mehr Lohn zu bekommen, wurden stets abgelehnt. Auch sechs Jahre später, als ich kündigte, war mein Lohn noch der gleiche. Aber ich begriff, dass Lohntransparenz wichtig ist.
Denn wer nicht weiss, wer im Unternehmen was verdient, tappt im Dunkeln und hat Schwierigkeiten, im Jahresgespräch mehr einzufordern.
Fehlende Lohntransparenz kann auch dazu führen, dass sich die Lohnungleichheit in einem Betrieb verfestigt. Die, die gut verhandeln, bekommen mehr als jene, die still ihre Arbeit verrichten. Wer nicht nachfragt, bekommt keine Lohnerhöhung. Wer einmal schlecht verhandelt hat, bleibt auf einem tiefen Niveau.
Als Arbeitgeberin habe ich das auch so erlebt. Je mehr Mitarbeitende wir in unserem Betrieb haben, desto wichtiger wird das Thema Lohntransparenz. Einige unserer Angestellten legten ihren Lohn offen, auch unsere CEO (mein Lohn liegt 900 Franken unter ihrem), andere wollten das nicht tun. Also suchten wir nach einem Modell, um Transparenz herzustellen, ohne die Löhne offenzulegen – und wir haben eines gefunden. Wir vergeben Punkte, nach denen sich der Lohn berechnet: Ein Grundlohn für alle, dann zählen Ausbildung, Verantwortung, Facherfahrung und Unternehmenstreue dazu. Zudem führen wir eine Mitarbeiterbeteiligung ein. Die Verantwortung im Betrieb gewichten wir stärker als die Ausbildung, und bei der Facherfahrung zählen alle bisherigen Anstellungen über 50 Prozent wie eine Vollzeitstelle. Damit berücksichtigen wir, dass Frauen mehrheitlich in Teilzeit erwerbstätig sind. In anderen Betrieben lässt sich ein grosser Teil der Lohnunterschiede bei Frauen auf die Reduktion des Pensums nach der Mutterschaft zurückführen.
Die Post geht bei ihrer Lohntransparenz noch weiter: Sie gibt neu in den Stelleninseraten das Einstiegsgehalt mit der möglichen Lohnspanne an. «So hängt der Lohn nicht vom Verhandlungsgeschick ab, sondern wird nach Kriterien festgelegt, die für alle fair und nachvollziehbar sind», sagte Valérie Schelker, Leiterin Personal und Mitglied der Konzernleitung, diesen Sommer. Wir nehmen uns das zum Vorbild, weil es fair ist. Und weil sich so keine Menschen bewerben, die eine ganz andere Lohnvorstellung haben.
In den Betrieben sorgt mehr Transparenz auch für Entspannung unter der Belegschaft. Die unangenehmen Gespräche mit dem Chef oder der Chefin erübrigen sich, ebenso die Ohnmacht, nicht zu wissen, wo man steht und welche Perspektiven man hat.
Nadine Jürgensen ist Juristin, Unternehmerin und FDP-Kandidatin für den Nationalrat.
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