Pestizid aus dem WallisNach Vergiftungen: Indische Opfer klagen in der Schweiz gegen Syngenta
Bauernfamilien aus Indien ziehen erstmals in Basel gegen den Agrarchemiekonzern vor Gericht. Syngenta bestreitet die Vorwürfe.
Zwei Witwen indischer Landarbeiter ziehen gegen den Agrarchemieriesen Syngenta in Basel vor Gericht. Sie machen den Konzern für den Tod ihrer Ehemänner nach dem Versprühen eines Insektengiftes auf den Feldern verantwortlich. Die Dokumente der Klageschrift liegen dieser Zeitung vor. Es handelt sich dabei um die erste Klage von Produkthaftpflicht dieser Art.
Syngenta stellte das Insektizid mit dem Namen Polo bis 2016 für den Export in seinem Werk in Monthey VS her. In der Schweiz ist das Mittel mit der Substanz Diafenthiuron nicht mehr auf dem Markt.
Die Bauern und Landarbeiter im zentralindischen Yavatmal hatten das Mittel 2017 auf den Baumwollfeldern in Zentralindien eingesetzt. Über die zahlreich aufgetretenen Vergiftungen und die Todesfälle war 2018 berichtet worden. Syngenta hatte verschiedentlich erklärt, dass es weder Hinweise noch Belege dafür gebe, dass das Mittel Polo verantwortlich für die Vergiftungen sei.
Nun liegen zwei Obduktionsberichte von indischen Spitälern vor. Laut diesen lassen die Leichen der verstorbenen Landarbeiter auf Tod durch Vergiftung schliessen. Ein Polizeibericht listet für die Jahre 2017 bis 2018 2 Todesfälle sowie 94 Vergiftungsfälle nach dem Versprühen von Syngentas Produkt Polo auf. Klage in der Schweiz reichen die beiden Witwen sowie einer der überlebenden Vergifteten ein.
«Wir weisen falsche Behauptungen, dass unser Pflanzenschutzmittel Polo Auslöser für tragische Vorfälle in Yavatmal im Herbst 2017 sei, zurück», sagt Syngenta-Sprecher Christoph Sieder. Es gebe weder Hinweise noch Belege dafür, dass Polo für die aufgetretenen Vorfälle verantwortlich sei. Das sei auch von der Untersuchungskommission, die die Regierung von Maharashtra nach den Vorkommnissen ins Leben gerufen habe, eindeutig bestätigt worden. Zur nun erfolgten Zivilklage aufgrund der neu aufgetauchten Dokumente nimmt der Konzern mit Verweis auf das laufende Verfahren keine Stellung.
«Um unserer Produktverantwortung nachzukommen, ergreifen wir eine Vielzahl von Massnahmen wie etwa Schulungen für Ärzte, Trainings zur sicheren Handhabung von Pflanzenschutzmitteln und zum Einsatz von individuellen Schutzausrüstungen», so der Syngenta-Sprecher weiter.
«Mein Mann hatte keinen Schutzanzug, denn es gab gar keine.»
Genau darum geht es in der Klage. «Syngentas Insektizid war fehlerhaft wegen der mangelhaften Anwendungsvorschriften», sagt der Schweizer Rechtsanwalt Silvio Riesen, der die Klägerinnen vertritt. Mangelhaft deshalb, weil der Konzern wissen müsse, dass die Landarbeiter in Indien die Vorschriften auf der Packung meistens nicht lesen und das Pestizid deshalb auch nicht korrekt anwenden könnten. Und wenn sie lesen könnten, dann oft nur in ihrer Provinzsprache, nicht aber in Englisch oder Hindi, in der die Anweisungen gedruckt sind.
Ebenso muss Syngenta laut dem Opferanwalt davon ausgehen, dass die notwendige Schutzausrüstung in den Dörfern fehlt oder – falls sie doch vorhanden ist – wegen der dortigen Temperaturen von teilweise 40 Grad Celsius Hitze schlicht nicht tragbar ist.
«Mein Mann hatte keinen Schutzanzug an, denn es gab gar keine», sagt Gita Sonule, die Witwe des verstorbenen Landarbeiters Bandu Chandrabhan Sonule, in einem übersetzten Telefongespräch mit dieser Zeitung. Er habe das Pestizid auf der Farm, wo er als Tagelöhner gearbeitet habe, ohne spezielle Anweisungen erhalten, um es auf den Feldern auszubringen.
Haftung auch für Schäden im Ausland
«Weil es um Produktehaftpflicht gehe, sei die Klage auch ohne die Annahme und die Umsetzung der Konzernverantwortungsinitiative möglich», sagt Rechtsprofessor Franz Werro von der Universität Freiburg. Denn das internationale Privatrecht sehe generell vor, dass eine schweizerische Firma haften muss, wenn ein fehlerhaftes Produkt einen Schaden im Ausland verursache. Werro fügt an, dass dazu auch Fälle zählen könnten, in denen eine Firma davon ausgehen müsse, dass die Anwendungsvorschriften nicht eingehalten werden könnten.
Die Haftungsklage der indischen Landarbeiterfamilien ist laut Werro wohl die erste dieser Art. Mit der Konzernverantwortungsinitiative würde es zusätzlich möglich, Schweizer Konzerne auch für Menschenrechtsverletzungen bei ihrer schädigenden Tätigkeit ausserhalb der Produktehaftpflicht im Ausland zu verklagen.
Zeitgleich mit der Klage reicht Public Eye im Namen von 51 betroffenen Familien eine OECD-Beschwerde gegen Syngenta in der Schweiz ein. Die Organisation fordert zusammen mit weiteren Menschenrechtsorganisationen, dass Syngenta in Indien an Kleinbauern keine Pestizide mehr verkauft, wenn diese eine Schutzausrüstung voraussetzen oder – wie bei Polo – im Vergiftungsfall kein Gegenmittel zur Verfügung steht. Zudem soll der Konzern die Opferfamilien für ihre Behandlungskosten und Lohnausfälle entschädigen.
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