Fall von Diskriminierung in der WaadtNach Referat «über Rassenfragen»: Bekannter französischer Nationalist in der Schweiz verurteilt
Ein französischer Ex-Spitzenbeamter äusserte in der Waadt Verschwörungstheorien. Nun hat das Bundesgericht die Strafe gegen ihn bestätigt.
Seinen Vortrag hatte er offiziell noch nicht begonnen. Doch eine erste Pointe wollte Henry de Lesquen offenbar schon vor der Begrüssung platzieren. «Es gibt Schlimmeres als das Coronavirus: das Judäovirus», sagte der Franzose im März 2020 in einem Keller des Waadtländer Château d’Aigle.
Was de Lesquen womöglich nicht wusste: Im mit 60 Leuten vollgefüllten Raum sass neben Vertretern der (mittlerweile aufgelösten) Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auch ein Journalist der Zeitung «24 Heures». Dieser notierte den Satz und zitierte ihn in seiner Berichterstattung über den Anlass.
Henry de Lesquen habe bei seiner Aussage «gelächelt» und sei «stolz auf seinen Witz» gewesen, beschrieb der Journalist den Auftritt. Danach habe er in seinem eineinhalb Stunden dauernden Referat «über Rassenfragen» die menschliche Spezies «in fünf Rassen» unterteilt, über die angeblichen «Bedrohungen der kongolesischen Masseneinwanderung» gesprochen und dafür «kosmopolitische Regierungen» und «die Passivität unterwürfiger alter Männer» verantwortlich gemacht. Am Ende habe er gesagt, es gebe eine «jüdische Clique», und diese begünstige eine «Invasion».
Als Witz empfand die Gemeinderegierung von Aigle die Sache nicht. Nach Erscheinen des Zeitungsartikels erstattete sie eine Strafanzeige gegen den Franzosen. Der Fall gelangte bis vor das Bundesgericht. Dieses verurteilte Henry de Lesquen am 2. Juni wegen der Verletzung der Strafnorm gegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass. Das Bundesgericht sieht im vor Vortragsbeginn geäusserten Satz einen Verstoss gegen das Antirassismusgesetz.
Kandidatur zum Staatspräsidenten
Pikant ist: Das Waadtländer Kantonsgericht hatte Henry de Lesquen vom Straftatbestand freigesprochen, nachdem ihn ein Bezirksgericht in erster Instanz zu einer bedingten Geldstrafe von 4500 Franken und einer Busse von 900 Franken verurteilt und ihm 2650 Franken Verfahrenskosten in Rechnung gestellt hatte. Nach dem Verdikt des Bundesgerichts kommt der Fall erneut vors Waadtländer Kantonsgericht.
Henry Bertrand Marie Armand de Lesquen du Plessis-Casso heisst der 74-Jährige mit vollem Namen. Er stammt aus einer bretonischen Adelsfamilie. Im frankofonen Sprachraum ist er kein Unbekannter. Als Absolvent französischer Eliteuniversitäten bekleidete er während Jahren Spitzenposten in diversen französischen Ministerien und in der Stadtverwaltung von Paris. Er war Präsident eines nationalkonservativen Radiosenders und kandidierte 2017 für das Amt des französischen Staatspräsidenten. Wegen rassistischer Äusserungen sind auch in Frankreich Urteile gegen ihn ergangen.
«Ich bin besorgt, dass das Bundesgericht eine Rechtsprechung vorantreibt, gemäss derer mittlerweile alles öffentlich ist.»
Als Strafverteidiger durch die Schweizer Gerichtsinstanzen stand ihm der Walliser Anwalt und SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor zur Seite, den das Bundesgericht selbst schon wegen Rassendiskriminierung verurteilt hat. Addor ist über das Bundesgerichtsurteil im Fall von de Lesquen enttäuscht. Er sagt, sein Mandant habe die Aussage vor Beginn des Referats und abseits laufender Kameras gemacht, gegenüber zwei Bekannten. Sie sei darum nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sondern falle in die Sphäre der privaten Meinungsäusserungsfreiheit. «Ich bin besorgt, dass das Bundesgericht eine Rechtsprechung vorantreibt, gemäss derer mittlerweile alles öffentlich ist. Diese Entwicklung widerspricht den Absichten des Gesetzgebers», so Addor.
Für die Öffentlichkeit gedacht oder nicht?
Im Gerichtsverfahren stellte sich Addor zudem auf den Standpunkt, nur der Journalist habe den inkriminierten Satz gehört. Die Aussagen eines einzelnen Zeugen dürfe ein Gericht nicht berücksichtigen. Zudem habe der Journalist mit unlauteren Methoden gearbeitet. In diesem Punkt folgte das Kantonsgericht Addor. Im Urteil der zweiten Instanz, das in einen Freispruch mündete, heisst es, der Journalist habe womöglich nur nach einem «Scoop» gesucht.
Diese Sichtweise teilt das Bundesgericht nun aber nicht. Es hält den öffentlichen Charakter der Aussage für gegeben. Es werde «nicht bestritten, dass der Journalist, der sich in der letzten Reihe des Saals befand, die Äusserungen deutlich gehört hatte», hält das Gericht in seinem Urteil fest. Die Worte seien also bis zur letzten Reihe und damit auch für andere Dritte ausreichend hörbar gewesen. Man könne dem Journalisten folglich nicht vorwerfen, dem Redner des Abends, der sich selbst als «öffentliche Person» bezeichnet, zugehört zu haben.
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