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Neue China-Strategie
Nach den kritischen Tönen gegen China verlangt Mitte-links jetzt Taten

Mehr Klartext zu China: Aussenminister Ignazio Cassis im Jahr 2018 in Peking.
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Das Timing war reiner Zufall, aber ein brisanter.

Am letzten Mittwoch sickerte in Brüssel durch, dass die EU Sanktionen gegen China vorbereitet. Am Donnerstag eskalierte in Alaska das erste Zusammentreffen der neuen US-Regierung mit chinesischen Ministern. Und am Freitag verabschiedete in Bern der Bundesrat nun seine neue China-Strategie.

In dem 37-seitigen Papier verschärft der Bundesrat die Rhetorik gegen die Volksrepublik. Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) spricht von «zunehmend autoritären Tendenzen». Er prangert die «Unterdrückung von Minderheiten» an. Und er konstatiert, die Menschenrechtslage habe sich generell «verschlechtert».

Trotz dieser Kritik agiert der Bundesrat viel zurückhaltender als andere westliche Staaten. Die USA bezeichnen Chinas Unterdrückung der Uiguren inzwischen als Völkermord. Die EU nennt Peking einen «Systemrivalen».

Der Bundesrat jedoch sucht einen Mittelweg. Er spricht in seiner China-Strategie zwar pauschal von staatlicher Repression; die Umerziehungslager, in denen Peking rund eine Million Uiguren einsperrt, erwähnt er aber nicht. Er spricht zwar von Einschränkungen der Meinungsfreiheit; die brutale Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong nennt er aber nicht beim Namen.

Bundesrat will Brücken bauen

Denn der Bundesrat – so schreibt er in seiner Strategie gleich an drei Stellen – will im neuen Ost-West-Konflikt ein «Brückenbauer» sein.

Darum bemüht er sich, den «Dialog» mit Peking aufrechtzuerhalten – konkret im sogenannten Menschenrechtsdialog. Dabei handelt es sich um ein Gespräch über Menschenrechte, welches eine Abordnung des Aussendepartements (EDA) seit 1991 einmal pro Jahr mit chinesischen Diplomaten führt.

Doch just dieser Dialog liegt seit zwei Jahren auf Eis. 2019 und 2020 sagten die Chinesen die Treffen ab – das erste Mal, um die Schweiz für eine kritische Äusserung zur Uiguren-Frage zu strafen, das zweite Mal (zumindest offiziell) wegen der Corona-Pandemie. Trotzdem verteidigt Cassis das Format: «Besser ein schwieriger Dialog als gar kein Dialog.»

«Besser ein schwieriger Dialog als gar kein Dialog.»

Aussenminister Ignazio Cassis

Im Dialog hat Cassis auch versucht, Peking auf die etwas kritischeren Töne aus dem Bundeshaus vorzubereiten. Vor gut einer Woche habe er selber den chinesischen Aussenminister per Telefon über die neue Strategie informiert, so Cassis. Ob er damit kritische Reaktionen aus China abwenden konnte, bleibt abzuwarten. Als Cassis im letzten Sommer in einem Interview erstmals schärfere Töne anschlug, sagte ein hoher Funktionär in Peking, die Schweiz mische sich in Chinas innere Angelegenheiten ein.

Wirtschaft versus Werte

Die ganze China-Strategie ist ein Balanceakt zwischen Menschenrechten und Wirtschaftsinteressen (lesen Sie hier mehr darüber). Ausführlich und eindrücklich zeigt das Strategiepapier Chinas Wirtschaftsmacht auf. Heute ist das Reich der Mitte der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz (nach der EU und den USA), rund tausend Schweizer Unternehmen sind in China aktiv.

Sein Bericht sei «nicht revolutionär», räumt Cassis ein. Hauptsächliches Ziel sei, die Kohärenz der China-Politik unter den Departementen in Bern zu verbessern, sodass man künftig vermehrt mit einer Stimme spreche. Zudem hofft Cassis, dass sich auch Kantone, Städte, Wirtschaftsverbände, Firmen und Hochschulen künftig von der bundesrätlichen Strategie inspirieren lassen, wenn sie ihrerseits Kontakt mit chinesischen Partnern haben.

Das klingt bescheiden als Zielsetzung. Auf die Frage, ob der Bundesrat künftig die Menschenrechtsverstösse in China dezidierter als bisher ansprechen werde, antwortete Cassis aber deutlich: «Ja!»

Parlamentarier wollen mehr

Doch vielen Parlamentariern genügen Worte nicht mehr. In den letzten Tagen haben National- und Ständeräte aus vier Parteien eine Flut von Vorstössen zu China eingereicht.

Die Interventionen kommen schwergewichtig von links. Doch auch Mitte-Parlamentarier und sogar SVP-Nationalräte haben kritische Interventionen eingereicht oder mitunterschrieben. Das zeigt: Mehrheiten im Parlament für punktuell schärfere Massnahmen gegen Peking sind denkbar.

Das sind die konkreten Forderungen:

Massnahmen gegen Zwangsarbeit

Die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig verlangt, dass der bereits bestehende Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative auf China ausgeweitet wird. Dieser Gegenvorschlag, der demnächst in Kraft treten soll, auferlegt Schweizer Firmen neue Pflichten. Sie müssen intern kontrollieren und öffentlich berichten, ob in ihren Produkten Kinderarbeit oder Konfliktmineralien stecken. Gredig will nun, dass diese Transparenz- und Sorgfaltspflichten auf Zwangsarbeit ausgeweitet werden.

Ihre parlamentarische Initiative ist eine direkte Reaktion auf neuste Berichte, wonach China die verfolgten Uiguren auch als Zwangsarbeiter einsetzt (lesen Sie hier mehr dazu). Mit ihrem Vorstoss will Gredig verhindern, «dass in China tätige Schweizer Unternehmen und letztlich auch wir Schweizer Konsumenten von Zwangsarbeit profitieren».

Interessant: Nationalräte aus allen Fraktionen ausser der FDP haben Gredigs Forderung mitunterzeichnet, auch die SVP-Nationalräte Alfred Heer und Lukas Reimann.

Bundesrat soll Genozid anprangern

SP-Nationalrat Fabian Molina (SP) fordert in einer neuen Motion, dass der Bundesrat das chinesische Vorgehen gegen die Uiguren offiziell als Genozid brandmarkt. Mit der gleichen Forderung ist Molina unlängst in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats gescheitert, aber nur relativ knapp.

Chinas Einfluss an den Universitäten

Mitte-Fraktionschefin Andrea Gmür und ihre Nationalratskollegin Christine Buillard verlangen in zwei Interpellationen Antworten zur «vermehrten Einmischung Chinas in die Freiheit der Lehre» und zur chinesischen Beeinflussung von Veranstaltungen an Universitäten. Und sie wollen wissen, was der Bundesrat dagegen zu tun gedenkt (lesen Sie hier mehr darüber). In beiden Kammern haben zahlreiche Parlamentarier von links bis rechts die Vorstösse mitunterzeichnet.

Sanktionen gegen China

Der grüne Genfer Nationalrat Nicolas Walder fragt den Bundesrat in einer Interpellation, ob er bereit sei, die Sanktionen nachzuvollziehen, die die EU vorbereite. Und für den Fall, dass der Bundesrat dies nicht tun will, fragt Walder: «Warum nicht?»

Chinesische Überwachung in der Schweiz

Der Nationalrat hat beim Bundesrat bereits einen Bericht über die Situation der tibetischen Diaspora bestellt. Nun doppelt die grüne Nationalrätin Christine Badertscher nach und verlangt auch einen Bericht darüber, ob und wie China die Uiguren in der Schweiz überwacht und einschüchtert.

Auch Firmen sollen aktiv werden

Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan will in einer Interpellation wissen, was der Bundesrat konkret dafür unternimmt, dass Schweizer Industriefirmen und Banken für die Menschenrechtsverletzungen in China sensibilisiert werden und nicht selber darin involviert sind.

Die Vorstossflut zeigt: Mit dem Abschluss der China-Strategie des Bundesrats hat die politische Debatte über den Umgang mit der aufstrebenden Weltmacht gerade erst so richtig begonnen.