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TV-Kritik «Tatort»
Muttermythos als Mordmotiv

Kaputt sind sie beide: die junge Drogenabhängige (Sophie Aujesky) und die alte Ex-Alkoholikerin und Kommissarin Fellner (Adele Neuhauser). 
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Schlaflos in Wien: Mordermittlerin Bibi Fellner wird von ihrem Job bis in ihre Nächte verfolgt – oder besser: von der dreckigen Wirklichkeit. Einschlafen is’ nicht, Fellners Blick geht zur Stuckrosette an der Decke. Schliesslich steht sie mit faltigem, eingefallenen Gesicht im fahlen Morgenlicht: eine Frau so alt, wie das erste Verbrechen auf dieser Welt.

Dabei weiss die «Tatort»-Majorin, eine trockene Alkoholikerin, da noch gar nicht, dass in eben dieser Nacht ein Schrei durchs Dunkel gellte, eine andere Frau in ihrer eigenen Wohnung um ihr Leben kämpfte. Und verlor.

Der Auftakt von «Die Amme» ist ganz grosses Kino, und Adele Neuhausers Fellner wird sich als unangefochtener Episodenstar erweisen. Im gesamten Film setzen Kameramann Thomas Kürzl und Regisseur Christopher Schier die Tristesse der abverheiten kleinen Leben in Szene, als habe Henri de Toulouse-Lautrec ihnen die Hand geführt.

Traurige Gestalten (mit Vokuhila!), schäbige Wohnungen im neuen Wiener «Tatort».

Versiffte Clubs, die im Tageslicht noch abgerissener aussehen; Junkies in graffitiverschmierten Unterführungen, Abgehängte in schäbigen Wohnungen; Pole-Dancerinnen, die mittels käuflichem Sex gerade so über die Runden kommen; und ihre Freier, die auch bloss einsame Versager sind.

Wie der verdächtige Zeuge, der dann vom Balkon in den Tod stürzt. Rausch? Selbstmord? Half da einer nach? Oder: eine? In der Nacht, in der die Prostituierte ermordet wurde und ihr zehnjähriges Söhnchen verschwand, wurde eine Frau mit einem Buben beobachtet.

Klassischer Thriller

Während die Kommissare Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner langsam die Spur des Serientäters aufnehmen – in Schwechat ist der Sohn einer ermordeten Prostituierten gleichfalls nicht auffindbar –, weiss der Zuschauer schon, wer; und er ahnt, warum.

Ihm ist zudem klar, wieso das Drehbuch von Mike Majzen so früh ins kalte Herz des Krimis führt: Majzen will einen klassischen Thriller servieren, in dem der Mörder schön gruseln soll. Was Max Mayer als cracksüchtiger Janko durchaus hinkriegt. Besonders schaurig ist sein säuselndes «Ich bin wieder da», mit dem er die verängstigt wimmernden Jungen begrüsst.

Ein Cross-Dressing-Freak

Schwierig ist im Jahr 2021 nur, dass sein Cross-Dressing verknüpft ist mit einer zerstörten, zerstörerischen Psyche. Diese im Muttermythos verhedderte «Amme» ist ein Freak. Echte Mütterlichkeit zeigt dagegen Fellner.

Aber egal: Die Story ist solides Handwerk, wenn auch mit einem arg deftigen Schuss Abseitigkeit. Das eigentliche Highlight ist jedoch die schlaflos verwischte Kamera und Fellners Sinn für untergründige Vibes: Während ihre «Meeresrauschen»-CD läuft, kann sie endlich herunterfahren, derweil die Kamera zu den anderen Schlaflosen springt: dem gefangenen Kind; dem verzweifelnden Kommissar Eisner; dem Täter auf Crack.

Wie gesagt: grosses Kino. Und ein noch grösseres Portrait einer erschöpften, klarsichtigen Frau an der Schwelle zur Kapitulation.