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Drohserie in Österreich
Mutmasslicher Schweizer Bombendroher ist wieder frei – wegen Justiz-Hickhack

Linz, Österreich, am 4. Oktober 2024. Aufgrund einer Bombendrohung wurde der Bericjh der Otto-Glöckel Schule großräumig abgesperrt. - 20241004_PD15112 (KEYSTONE/APA/WERNER KERSCHBAUMMAYR)
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In Kürze:
  • Seit 30. September gab es fast täglich Bombendrohungen in Österreich.
  • Ein Schweizer Staatsbürger wurde als dringend Tatverdächtiger identifiziert.
  • Der Verdächtige wurde in der Schweiz festgenommen, aber wieder freigelassen.
  • Die Schweiz übernahm die Ermittlungen nicht, da Akten fehlen.

In Österreich sprach man von einer «unheimlichen Serie»: Seit dem 30. September verging kaum ein Tag, ohne dass irgendwo mit einer Bombe gedroht wurde. Die Drohungen gingen bei Polizeien in allen Bundesländern ein, stets anonym per E-Mail. Der Absender behauptete, Sprengsätze in Bahnhöfen, Einkaufszentren und auch Schulen deponiert zu haben. Die Folge: Die Behörden mussten wegen fast 30 Drohungen reihenweise Gebäude und Gebiete absperren und die Menschen evakuieren.

Am Montag gab das österreichische Innenministerium dann bekannt: Wir haben ihn. Oder zumindest: Wir haben einen «dringend Tatverdächtigen ausgeforscht». Der 20-Jährige sei Schweizer Staatsangehöriger und befinde sich in der Schweiz, die Justiz habe einen europäischen Haftbefehl erlassen.

Das Echo war gross, österreichische Medien schrieben vom «Bombenhirn aus der Schweiz». Der Verdächtige war aber noch auf freiem Fuss. Dann wurde er in der Schweiz gefasst, ist nun aber zum Erstaunen der Österreicher wieder frei.

Kein Einverständnis, keine Auslieferung

Der Tatverdächtige lebt im Kanton St. Gallen. Entsprechend hat die österreichische Justiz ein Rechtshilfeersuchen bei der St. Galler Staatsanwaltschaft eingereicht.

«Beantragt wurde neben dem Vollzug des europäischen Haftbefehls auch der Vollzug einer Durchsuchungsanordnung sowie die Einvernahme des Beschuldigten», sagt Staatsanwältin Ulrike Breiteneder von der zuständigen Staatsanwaltschaft Linz auf Anfrage. Das haben die St. Galler gemacht, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigt. Das Gesuch ging am Montagnachmittag ein, der Tatverdächtige wurde im Zuge einer Razzia vorübergehend festgenommen.

Doch am Mittwoch kam er wieder frei. Denn das Schweizer Recht besagt, dass er nicht länger als 48 Stunden festgehalten werden darf. Innerhalb dieser Zeit muss die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Zwangsmassnahmengericht Untersuchungshaft beantragen – was sie nicht gemacht hat. «Wir haben keinen Grund dafür gesehen, da aus unserer Sicht die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft nicht erfüllt waren», sagt Leo-Philippe Menzel, Sprecher der St. Galler Staatsanwaltschaft. Da die Österreicher lediglich ein Rechtshilfeersuchen gestellt hätten, sei die Schweizer Behörde nur «unterstützend» tätig – sie habe keine ausreichend konkreten Informationen zum Fall. 

Dass die St. Galler den Tatverdächtigen nicht ausliefern, liegt daran, dass er nicht zugestimmt hat. Auch andere Staaten liefern ihre Staatsangehörigen generell nicht aus. Das Bundesamt für Justiz (BJ) kann eine Auslieferung bewilligen, wenn sich die gesuchte Person mit der sofortigen Auslieferung einverstanden erklärt. Tut sie das nicht, kann der ersuchende Staat ein formelles Auslieferungsgesuch stellen. «Die Schweiz behält sich wie zahlreiche andere Staaten das Recht vor, die Auslieferung eigener Staatsangehöriger abzulehnen», so eine Sprecherin des BJ.

Schweiz soll laut Österreich den Fall übernehmen

Damit haben die Österreicher gerechnet. Als sie von der Wiederfreilassung des mutmasslichen Bombendrohers erfahren, lassen sie am Mittwoch gegenüber Medien verlauten, die Schweiz müsse den Fall übernehmen. Weil – so präzisiert die Staatsanwältin in Linz auf Nachfrage – im Rechtshilfeersuchen auch beantragt wurde, «die Schweizer Behörden mögen die Strafverfolgung des Beschuldigten übernehmen».

Noch habe sie keine Antwort der Schweizer erhalten, schreibt die Staatsanwältin am Donnerstagvormittag. Daher könne sie das Schweizer Vorgehen auch nicht beurteilen. Die Antwort sei auf dem Weg, versichern die St. Galler. Per Post.

Warum die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den mutmasslichen Bombendroher nicht übernimmt, hat einen simplen, aber doch entscheidenden Grund: Es fehlen die Akten und die allfälligen Beweismittel. Zwar hat die Schweiz einen bilateralen Vertrag mit Österreich, dass ein Gesuch um die Übernahme der Strafverfolgung direkt beim Kanton gestellt werden kann (und nicht über den Bund gehen muss). Nur bräuchten die Strafverfolger dafür die notwendigen Akten, wie die St. Galler Staatsanwaltschaft erklärt. Erst dann könnte sie prüfen, ob sie das Verfahren gegen den mutmasslichen Bombendroher übernimmt. Und auch erst dann könnte sie untersuchen, ob der Verdächtige auch in Verbindung steht mit Drohungen in der Schweiz.

Nun liegt der Ball bei den Österreichern.

Schweizer soll über 20 Drohungen verfasst haben

Es fragt sich ohnehin: Warum wurde die Öffentlichkeit über den dringend tatverdächtigen Bombendroher informiert, wenn dieser noch auf freiem Fuss war? Besteht nicht die Gefahr, dass er Spuren verwischt? Das Innenministerium sagt auf Anfrage, die ermittelnden Stellen hätten für die öffentliche Sicherheit keinen Grund mehr gesehen, die Ermittlung eines Tatverdächtigen nicht publik zu machen. Und: «Gleichzeitig ist das Informationsbedürfnis der von den andauernden Drohungen aus der Schweiz betroffenen österreichischen Bevölkerung hoch.»

Das Innenministerium bezifferte bislang nicht, für wie viele der insgesamt fast 30 Bombendrohungen der Schweizer verantwortlich sein soll. Auch weil man mit Nachahmungstaten rechne. Nun sagt ein Sprecher: «Die Zahl der von ihm ausgegangenen Drohungen dürfte deutlich jenseits der 20 liegen.»