Kehrtwende bei Twitter«Elon Musk hätte vor Gericht keine Chance gehabt»
Dem reichsten Mann drohten hochnotpeinliche Anhörungen. Nun kauft er Twitter doch und limitiert seinen Schaden. Und Ex-Präsident Trump dürfte sein Sprachrohr zurückbekommen.
Elon Musk hatte seit Monaten versucht, sich aus seiner offenkundig wenig durchdachten Kaufofferte für Twitter herauszuwinden. Doch je mehr Tricks und Unterzüge er versuchte, desto mehr geriet er in eine Sackgasse. Dass er nun seine ursprüngliche Offerte von 44 Milliarden Dollar doch einlösen will, zeugt davon, dass er hochnotpeinlichen Anhörungen vor Gericht entgehen wollte, die auch seinen anderen Unternehmen – namentlich Tesla – hätten schaden können.
Für das Einlösen einer Kaufofferte, die er mehrheitlich selber finanzieren muss, sprachen mehrere Gründe: Erstens wurde der Fall einem Spezialgericht in Delaware zugeteilt, das von ausgewiesenen Wirtschaftsexperten besetzt wird. Dieser Chancellery Court (Kanzleigericht) ist bekannt für faktenbasierte No-Nonsense-Prozesse. Es sind keine Geschworenen im Spiel, Anwälte und Angeklagte können nicht mit Emotionen spielen. Die Richter wollen einwandfreie Beweise strikt nach rechtsstaatlichen Prinzipien.
Richterin kanzelt Musks Forderungen als «absurd» ab
Die Vertragstreue zählt viel vor diesem Gericht. Und hier lag die eigentliche Schwäche von Musk. Er hatte eine verbindliche Kaufofferte vorgelegt, ohne wie üblich eine Due-Diligence-Prüfung zu machen. Er kaufte blind. Wenn er im Nachhinein die Nutzerzahlen von Twitter anzweifelte, so war das sein Problem; er hatte es versäumt, diese frühzeitig zu klären. Musk hatte auch damit einen schlechten Stand in Delaware.
Die Vorsitzende des Gerichts, Kathleen McCormick, gab Musk in den Vorverhandlungen zu verstehen, dass sie kein Interesse an seinen Ausflüchten habe. Seine Forderung an Twitter seien «absurd weitreichend». Auch wollte sie mehr über die Kommunikation zwischen seinen Anwälten und dem Twitter-Whistleblower wissen, was vermuten liess, dass sie Zweifel an der Stichhaltigkeit der Vorwürfe hatte.
Letztlich musste Musk auch aus finanziellen Gründen einen Schlussstrich ziehen. Wenn der Deal doch noch zustande kommt, steht die Finanzierung auf einigermassen festen Füssen. Denn nun müssen Investmentbanken unter Führung von Morgan Stanley 13 Milliarden Dollar zum Kaufpreis beisteuern.
Das ist angesichts der turbulenten Märkte zwar schwieriger und teurer als im Frühling, aber es entlastet Musk vorerst. Er selber will 15,5 Milliarden Dollar aus dem Verkauf von Tesla-Aktien beisteuern und hat nach eigenen Angaben weitere sieben Milliarden Dollar von Privatinvestoren wie Oracle-Gründer Larry Ellison gesichert. Der Restbetrag ist noch offen.
«Musk hat endlich auf seine Anwälte gehört, denn vor Gericht hätte er keine Chance gehabt.»
Was Musk letztlich zum Einlenken bewegte, ist vorderhand offen. Entscheidend sei wohl gewesen, sagt Rechtsprofessor Eric Talley von der Columbia Universität, dass Musk wegen des Gerichtstermins in zwei Wochen rasch seine Optionen zu verlieren drohte. «Alle Fenster begannen sich zu schliessen; und einige haben sich bereits ganz geschlossen.»
Musk wäre ein Narr gewesen, wenn er den Fall nicht vor der Einvernahme vor Gericht gelöst hätte, meint Anan Alon-Beck, Rechtsprofessor der Case Western Reserve Universität in Ohio, nach. «Musk hat endlich auf seine Anwälte gehört, denn vor Gericht hätte er keine Chance gehabt.»
Eine Einvernahme unter Eid hätte Musk vor heikle Fragen gestellt, so zu fehlenden E-Mails im Zusammenhang mit dem Deal. Seine Einmischung in den Krieg in der Ukraine hätte die Frage aufgeworfen, ob und wie er mit Putin-Vertrauten in Verbindung stehe. Und schliesslich: Hatte er mit Trump Kontakt, gibt es Abmachungen über die Rückkehr des Ex-Präsidenten zu Twitter?
Dass Trump zurückkehren wird, sei praktisch sicher, sagt Kara Swisher, intime Kennerin der Szene im Silicon Valley. Eine Rückkehr vor den Wahlen im November wäre ein Coup für Trump und Musk.
Garantien gibt es nicht mit Musk. Noch kann er seine Meinung erneut ändern. Doch nachdem Twitter das Angebot zum Verkauf für 44 Milliarden Dollar erneut akzeptiert hat, steht er im Wort.
Unklare Strategie
Wie Musk sein Versprechen einlösen will, Twitter zur Plattform der «freien Rede» zu machen, ist unklar. Ebenso unklar ist, ob er ein neues Management einsetzen will und wie viele Beschäftigte und Nutzer abspringen werden.
Die Beziehung zwischen Musk und Twitter-Chef Parag Agrawal hatte sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert, wie SMS-Auszüge zeigen. Dafür wurde Musk von einem Fanclub angefeuert, dem neben Oracle-Chef Ellison auch Twitter-Gründer Jack Dorsey angehörte. Dorsey spielte dabei eine zwielichtigere Rolle als bisher angenommen.
Derweil steht die Plattform geschwächt da. Der Online-Werbemarkt hat sich verlangsamt, womit die Aussichten einer werbefinanzierten Plattform eingetrübt sind. Dafür baute TikTok seine Marktpräsenz aus und ist für viele Kunden die bessere Alternative geworden.
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