Gesundheitstrend auf Tiktok Pflaster auf aller Munde: Besser schlafen mit Mouth Taping?
Prominente tun es, Sportler auch, und Influencer sowieso: Ist das Verschliessen des Mundes per Pflaster tatsächlich das Rezept gegen Schlafprobleme und Schnarchen – oder gefährlich?
Dass eine Frau wie Gwyneth Paltrow sich den Mund zuklebt, wird der eine oder andere, für den die Schauspielerin und Wellness-Unternehmerin ohnehin zu viel redet, nur begrüssen. Diese Freude wird allerdings dadurch getrübt, dass Paltrow keineswegs aus plötzlicher Zurückhaltung den Mund nicht öffnen will. Grund dafür ist vielmehr ein Gesundheitstipp, der derzeit wie kein zweiter Health-Hack in den sozialen Medien trendet: das Mouth Taping, das Zukleben des Mundes während des Schlafens mit einem Pflaster. Paltrow schwärmt: «Das allerbeste Wellnesstool, das ich in letzter Zeit entdeckt habe.» Schade, dass sie das Pflaster nur nächtens trägt.
Mit Erling Haaland – der Norweger ist Fussballer des Jahres 2023 – bekannte sich kürzlich gar ein prominenter Supersportler zum Mundpflaster. Und geradezu massenhaft bezeugen Normalsterbliche im Internet mit Fotos, dass sie zum Klebestreifen greifen; mittlerweile gibt es auf Tiktok unter dem Hashtag #mouthtaping mehr als 140 Millionen Beiträge. Alle hoffen sie, dank der erzwungenen Nasenatmung besser zu schlafen, weniger zu schnarchen, Gewicht zu verlieren oder sich tagsüber besser konzentrieren zu können. Solch ein Pflaster auf dem Mund scheint über Nacht Wunder zu bewirken.
Wirklich? Bei Schlafexperten und Medizinern herrscht, gelinde gesagt, Skepsis gegenüber dem Zwangsverschluss des Mundes während des Schlafens. «Es gibt kaum wissenschaftliche Evidenz, dass Mouth Taping wirklich sinnvoll ist», sagt der Zürcher Schlafspezialist Daniel Brunner. Es gibt gerade mal eine einzige Studie aus dem Jahr 2022, die zum Schluss kommt, dass Mouth Taping das Schnarchen vermindern kann. Wegen der geringen Anzahl an Probanden – nur 20 Personen nahmen an der Untersuchung teil – seien diese Ergebnisse indessen kaum belastbar, sagt Somnologe und Schlafcoach Brunner, der sich seit Jahren in der Schlafforschung und Schlafmedizin engagiert.
Unbestritten sind die Vorteile der Nasenatmung gegenüber der Mundatmung. Die Nase filtert die eingeatmete Luft, befeuchtet und erwärmt diese, bevor sie in die Lunge gelangt. In den Nasenhärchen bleiben Schmutzpartikel und Staub hängen, während Bakterien, Viren oder Pilzsporen an der feuchten Schleimhaut im Naseninnern haften bleiben. Zudem wird die eingeatmete Luft mit Stickstoffmonoxid angereichert, einem Gas, das in den Nasennebenhöhlen produziert wird, bevor sie in die Lunge gelangt. Diese Luftaufbereitung erleichtert den Gasaustausch in den Lungen. Stickstoffmonoxid hat auch blutdrucksenkende und angstlösende Eigenschaften.
«Auf keinen Fall darf ein Pflaster den Mund hermetisch verschliessen.»
Beim Atmen durch den Mund fehlt diese Aufbereitung der Luft, zudem nähert sich die Zunge dem Rachen. Dies kann zu Schnarchen oder Atempausen führen. Kurzum: Die Nasenatmung ist für die meisten Menschen die gesündere Option.
Dass allerdings das Zukleben des Mundes während des Schlafes die Konzentrationsfähigkeit am Tag fördert, vor Mundgeruch schützt, die Hautqualität verbessert, sogar zu Gewichtsabnahme führt, wie die Anhängerinnen und Anhänger des Tiktok-Hypes behaupten: Dafür gibt es keinerlei wissenschaftliche Evidenz. Kommt hinzu, dass viele Menschen während des Schlafens ohnehin durch die Nase atmen – wenn sie nicht gerade erkältet sind. Für diese natürlichen Nasenatmer, immerhin etwa die Hälfte der Bevölkerung, macht ein Mouth Tape schon gar nicht Sinn.
Soziale Medien als Paradies für Scharlatane
Umso mehr, als das Zukleben des Mundes mit Risiken verbunden ist. «Mouth Taping kann bei Personen mit Allergien, Schlafapnoe oder einer verengten Nasenpassage problematisch sein, da es ihre Fähigkeit, zu atmen, beeinträchtigt», warnt Somnologe Brunner. Die Folge: Der Atemwiderstand führt zu einer erhöhten Belastung des Herz-Kreislauf-Systems. «Auf keinen Fall darf ein Pflaster den Mund hermetisch verschliessen.»
Unbeirrbare Verfechterinnen und Verfechter der Pflasterpower können bei der Wahl des geeigneten Klebestreifens auf die diversen Angebote eines schnell wachsenden Marktes zurückgreifen. Es gibt Pflaster, die quer zu kleben sind, und andere fürs vertikale Applizieren. Auch x-förmige für alle, die den Mund gleich in doppelter Ausrichtung zukleben wollen. Es gibt Pflaster in bunten Farben, mit Mond und Sternen bedruckt und für Allergiker. Und viele Hersteller vermarkten die Klebestreifen auch als «Anti-Schnarch-Pflaster»; 100 Stück kosten um die 10 Franken.
Mouth Taping ist beileibe nicht der erste zweifelhafte Gesundheitshype, der auf Tiktok und anderen sozialen Plattformen zu Popularität gelangte. In der Vergangenheit gab es bereits Trends wie das Schlucken von Chlordioxidlösungen zur Behandlung von Covid-19, das Löffeln von trockenem Proteinpulver für eine erhöhte Fitness oder, nachgerade bizarr, das Korrigieren der Zähne mit einer Nagelfeile zur eigenen Verschönerung. Die sozialen Medien sind ein Paradies für Scharlatane – durch die rasante Verbreitung solcher Trends entsteht oft der irreführende Eindruck, dass sie tatsächlich nützlich oder wirksam sind.
Die Popularität des Pflaster-Tricks lässt sich auch mit der grossen Verbreitung von Schlafstörungen erklären. Umfragen zeigen, dass in der Schweiz etwa 25 Prozent der Erwachsenen an Schlafstörungen leiden. «Schlafstörungen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden überhaupt», sagt Brunner, «viele dieser Patienten sind frustriert, wenn sie bei chronischen Schlafproblemen vom Arzt bloss Schlaftabletten verordnet bekommen – und greifen dann eben zur Selbsttherapie.»
Zum Beispiel zu einem Schlafpflaster.
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