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Mordprozess im Fall Barchetsee
Ein Alibi, ein Motiv und die Frage: Waren die verdeckten Ermittlungen zulässig?

Blick auf den Barchetsee, aufgenommen am Montag, 26. Februar 2024, in Neunforn. Im Jahr 2007 wurde hier ein Toter gefunden. Der Prozess gegen die mutmasslichen Taeter findet in diesen Tagen statt. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
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Der Schock muss gross gewesen sein, als der Pächter des Barchetsees am 13. Dezember 2007 direkt neben dem Holzsteg etwas höchst Seltsames im Wasser entdeckte. «Zuerst habe ich an unsachgemäss entsorgten Abfall gedacht», sagte er später der Polizei. Bei genauerem Hinsehen erkannte er Arme und Beine einer Leiche, die bäuchlings an einen Betonblock gebunden war. Beim Toten handelte es sich um den 27-jährigen Ägypter Karm A.

Wegen Mordverdachts müssen sich derzeit der 63-jährige Zürcher Amin N. und der 59-jährige Italiener Mario S. (Namen der Beschuldigten geändert) vor dem Bezirksgericht Frauenfeld verantworten. Sie sollen Karm A. im Auftrag von dessen um 27 Jahre älteren Ehefrau Veronika M. am 10. Dezember 2007 mit vier Schüssen getötet und anschliessend im Barchetsee versenkt haben. Doch warum das alles?

Morddrohungen als Motiv?

Karm A. sei in der Schweiz und in Deutschland wegen häuslicher Gewalt und tätlicher Übergriffe mehrfach inhaftiert gewesen, erklärt der Staatsanwalt. Ein Jahr vor der Tat zeigte Veronika M. ihren Mann bei den Strafbehörden an, am nächsten Tag wurde er festgenommen. Zur selben Zeit schrieb sie einem Ausländeramt im grenznahen Süddeutschland einen Brief, den der Staatsanwalt vor Gericht verliest: «Mein Mann hat mich mehrfach körperlich misshandelt und droht mir, mich umzubringen.»

Nach seiner Haftentlassung müsse sie mit weiteren Bedrohungen rechnen. Nicht nur die Sexualdelikte gegen sie hätten sich gehäuft, sondern Karm A. sei auch immer brutaler gegen sie vorgegangen. «Heute weiss ich, dass er Drogen konsumiert, ältere Frauen um Geld betrügt und junge Frauen sexuell missbraucht», schrieb Veronika M. weiter. Sie ersuchte die Behörde, das Asylgesuch ihres Mannes in Deutschland abzulehnen.

«Sicher erst, wenn er weit weg von mir ist»

Zwei Tage nach dem Brief verurteilte das Amtsgericht Waldshut-Tiengen Karm A. wegen Misshandlung seiner Ehefrau zu einer 15-monatigen Bewährungsstrafe. Er tauchte in Deutschland unter und kehrte dann laut Staatsanwaltschaft offenbar zu seiner Frau in die Schweiz zurück. Diese beauftragte zu ihrem Schutz einen Privatdetektiv und besorgte sich Pfefferspray, einen Elektroschocker und Handschellen.

«Er wird mir nie verzeihen, dass er wegen mir im Gefängnis war, und wird seine Morddrohung gegen mich und meine Tochter umsetzen. Ich werde erst sicher sein, wenn er weit weg ist von mir», befürchtete Veronika M. in einer E-Mail an das Ausländeramt. «Damit hat sie – salopp gesagt – versucht, ihren Mann loszuwerden», sagt der Staatsanwalt.

Er verweist zudem auf drei nur kurz rund um die Tatzeit genutzte Zweitnummern des verdächtigen Trios mit fast identischen Rufnummern ausser der letzten Ziffer: 91 für Mario S., 92 für Amin N. und 95 für die fünf Jahre nach der Tat verstorbene Veronika M.

Vertrauensverhältnis vorgegaukelt?

Die beiden Verteidiger sehen keinerlei Belege für einen durch ihre Mandanten ausgeführten Mord und fordern vollumfängliche Freisprüche, Genugtuung und Schadenersatz. Die Staatsanwaltschaft habe die Strafuntersuchung völlig einseitig geführt und «nur belastende Elemente zuungunsten der Beschuldigten gesucht», kritisiert Markus Oertle. Entlastende Faktoren habe sie vernachlässigt.

Vor 15 Jahren liess eine Schweizerin ihren deutlich jüngeren Ehemann umbringen und mit Betonelementen im Barchetsee versenken. Sie ist inzwischen verstorben, die beiden mutmasslichen Ausführer der Tat, darunter ein Zürcher, müssen sich vor dem Bezirksgericht Frauenfeld verantworten.
26. Februar 2024

Auch der Einsatz der verdeckten Ermittler, denen Amin N. die Ermordung von Karm A. mit laut Staatsanwalt «exklusivem Täterwissen» ausführlich gestanden hatte, sei unzulässig gewesen. «Aussagen sollten erschwindelt werden, indem ein Vertrauensverhältnis vorgegaukelt wurde», sagt Oertle. Er führt an, das Bundesgericht habe im ähnlich gelagerten Zürcher Wahrsager-Fall unmissverständlich klargestellt, dass ein von verdeckten Ermittlern abgepresstes Geständnis nicht verwertbar sei vor Gericht.

Rechte von Beschuldigten umgangen?

Der Staatsanwalt betont in seinem Gegenplädoyer, die Fälle seien nicht vergleichbar. Im Zürcher Fall habe eine verdeckte Ermittlerin als Wahrsagerin jahrelang eine psychische Drucksituation und ein verbotenes Abhängigkeitsverhältnis gegen einen Mordverdächtigen aufgebaut, was hier nie der Fall gewesen sei.

Oertle – selbst jahrelang Staatsanwalt in Zürich – hält erneut dagegen: «Geheime Zwangsmassnahmen sind nie zulässig, um die Rechte von Beschuldigten, insbesondere das Aussageverweigerungsrecht, zu umgehen.»

Gesundheitliche Probleme als Alibi?

Der zweite Verteidiger, Thomas Häusermann, sieht in dem schweren Rückenleiden und einer Arztbestätigung ein «glasklares Alibi» für Mario S. Dieser sei «schlicht dazu verdammt» gewesen, zur Tatzeit mehrere Tage im Bett zu liegen und starke Medikamente einzunehmen. Deshalb könne er keine 80 Kilo schwere Leiche und keinen Betonblock zum Barchetsee getragen haben. Das Obergericht habe seinen Mandanten aus diesen Gründen nach drei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen.

Doch der Staatsanwalt macht geltend, Mario S. habe sich schon öfter bei seinem Arbeitgeber im Kanton Zürich wegen Rückenschmerzen krankgemeldet, um sich dann mit seiner Geliebten zum Sex zu treffen. Das gehe aus Telefonüberwachungen und Observationen eindeutig hervor.

Urteil soll am Montag fallen

In seinem Schlusswort sagt Mario S.: «Ich bitte um ein faires Urteil.» Und der Hauptbeschuldigte Amin N. erklärt: «Ich bin total unschuldig bei dieser schrecklichen Sache. Ich bin kein Krimineller.»

Das Urteil soll am Montagnachmittag fallen. Bei einem rechtskräftigen Schuldspruch droht den Beschuldigten eine lebenslange Freiheitsstrafe.