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Falsche Medikamenten-Einnahme
Mit seiner App soll das Gesundheitssystem Milliarden einsparen

Wer die richtigen Medikamente nimmt, spart viel Geld: Sven Beichlers App soll dabei helfen. 
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Das Problem hat nicht nur Sven Beichler: Weil er an einer Volkskrankheit leidet, muss er regelmässig Medikamente einnehmen. Am Morgen eine Tablette auf nüchternen Magen, mittags eine halbe Tablette nach dem Essen – so jedenfalls hatte es ihm der Arzt verschrieben. Beichler fand, das gehe auch einfacher, und schluckte die ganze Medizin am Morgen, ohne sich viel dabei zu denken.

Laut Schätzungen von Santé Suisse leiden 2,2 Millionen in diesem Land an einer chronischen Krankheit und nehmen über längere Zeit Medikamente ein. 880’000 der Betroffenen, also rund 40 Prozent, halten sich aber wie Beichler nicht an den vorgeschriebenen Medikamente-Therapieplan. Laut Santé Suisse generieren sie jährliche Kosten von 45 Milliarden Franken. Demgegenüber stehen 1,3 Millionen Patienten, die sich therapietreu verhalten und nur Kosten von 17 Milliarden Franken verursachen.

Wer sich ans Rezept hält, spart viel Geld

Angesichts dieser Problematik dachte Beichler: Eine Smartphone-App, welche die Benutzer an die Einnahme erinnert und anonym die Therapietreue aufzeichnet, könnte mithelfen, das Problem an der Wurzel zu erfassen. Nicht nur in der Schweiz, sondern in vielen Ländern.

Und weil Beichler keiner ist, der gerne beim Konjunktiv bleibt, gründete er die Innovation6 AG – sein sechstes Unternehmen – mit dem Ziel, unter dem Namen TOM Medications eine App zu lancieren, die «für 10- und 80-Jährige und alle dazwischen leicht zu bedienen ist» und die nicht nur die Einnahmegewohnheiten der einzelnen Benutzer aufzeichnet, sondern aufgrund der Datenmenge mit der Zeit auch «in die Zukunft schauen» kann, wie Beichler es nennt.

Konkreter: Die App soll voraussagen, welche gesundheitliche Risiken jemand mit seinem spezifischen Verhalten eingeht und wie sich die Krankheit bei Vergleichsgruppen entwickelt hat. Dabei müssen die Benutzer keine persönlichen Daten preisgeben, die Nutzung erfolgt anonym mittels individuellen Zugangscodes.

Die Medikationstreue der Nutzer beträgt 78 Prozent statt 60 Prozent, was einem Einsparpotenzial von 20 Milliarden Franken entspricht.

Inzwischen steht die App kurz vor der Marktreife. Nach zehnmonatigem Testlauf sind 70’000 Nutzer und 1,8 Millionen Medikamenteneinnahmen im System registriert, rund 4000 Personen nutzen die App laut Beichler pro Tag. Das erste Zwischenfazit: Unter den Nutzern beträgt die Medikationstreue 78 Prozent statt 60 Prozent, was hochgerechnet auf die Schweizer Bevölkerung einem Einsparpotenzial von 20 Milliarden Franken entspricht.

Klassische Gründe, warum sich jemand nicht an den Medikationsplan hält, sind das schlichte Vergessen der Einnahme, unregelmässige Einnahmen oder – was oft geschieht – ein zu frühes Absetzen der Medikamente, weil sich der Zustand verbessert hat. Doch Beichler versteht seine App nicht nur als simple Erinnerungshilfe für die Patienten, sondern auch als Unterstützung der Arbeit der Ärzte. «Wenn jemand beim Arzt ein Medikament zur Blutverdünnung erhält, dann sagt der Arzt vielleicht noch, dieses dürfe nicht in Kombination mit anderen Blutverdünnern eingenommen werden.»

Dass aber auch Saridon 400, ein beliebtes Migräne-Medikament, ein Blutverdünner sei, wüssten viele Patienten nicht. Ganz generell wäre es für die Diagnose beim Arzt hilfreich, wenn sich dieser nicht nur auf Aussagen des Patienten und aufs Blutbild, sondern auch auf den detaillierten Einnahmebericht aus der App stützen könnte, sagt Beichler.

Illustrer Unterstützerkreis

Das Geschäftsmodell sieht so aus: Die Basis-App ist gratis, Geld will TOM Medications mit einer Premiumversion mit mehr Komfort verdienen. Ferner soll es eine Businessversion für Spitex- und andere Pflegedienste geben. Eine weitere Einnahmequelle soll die Zusammenarbeit mit Firmen bringen, die klinische Studien durchführen. Denn die strukturierten Gesundheitsdaten, die durch Nutzerinnen und Nutzer in aller Welt anonym erfasst werden, gewinnen an Wert, je grösser der Nutzerkreis wird. So ist es sicherlich kein Zufall, dass unter anderem Christoph Gerber, Geschäftsleitungsmitglied der Krankenkasse Sanitas, und Matthias Baumann, früherer Schweiz-Chef der Onlineapotheke Zur Rose, bei TOM mit an Bord sind.

«Ich weiss inzwischen, dass man den finanziellen Erfolg nicht erzwingen kann und deshalb gut daran tut, mit überschaubarem Aufwand das Produkt weiter zu verbessern.»

Sven Beichler, Firmengründer

Doch Sven Beichler ist als Unternehmer erfahren genug, um zu wissen, dass ein vielversprechendes Geschäftsmodell noch lange keinen Erfolg verspricht. Seine Firma ist deshalb ausgesprochen schlank aufgestellt. «Ich weiss inzwischen, dass man den finanziellen Erfolg nicht erzwingen kann und deshalb gut daran tut, mit überschaubarem Aufwand das Produkt weiter zu verbessern», sagt der Unternehmer, der zuvor unter anderem ein Cateringunternehmen und eine Schokoladenfirma aufgebaut hat.

Auf der Lohnliste von TOM stehen nur er selber und Viktor Calabrò, Gründer des Personalverleihers Coople, mit einem 20-Prozent-Pensum. Die anderen 24 Personen, die beim Aufbau mitwirken, arbeiten mandatsweise oder als Freelancer mit. Büroräumlichkeiten gibt es keine, Hauptsitz der Firma ist Beichlers Privatadresse, kommuniziert wird via Skype, Zoom, Teams oder Slack zwischen Madrid, Belgrad, Wien, Transsilvanien, London und der Schweiz.

Diese Organisationsform sei nicht nur kostengünstiger, sondern sie erlaube ihm als Chef auch, sich vor allem auf das Produkt zu fokussieren und mehr Zeit mit seiner Frau und seinen drei Kindern zu verbringen, sagt der 52-jährige Firmenchef. Seine Ambition: Ab 2024 soll TOM schwarze Zahlen schreiben.

In früheren Projekten habe er teilweise über längere Zeit nur in Hotels gelebt. Inzwischen sei ihm klar, dass das für ihn auch bei noch so hohem Lohn kein sinnvolles Leben sei. Würde es ihm aber gelingen, einen Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten zu leisten und gleichzeitig sich selber das Leben mit seiner Krankheit zu vereinfachen, hätte sich das Risiko für ihn ausbezahlt.

* Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch