Zurich Pride Mit fast 70 zum ersten Mal an der Pride
Heidi Brenner hat offiziell ihr Geschlecht geändert. Vergangenes Jahr nahm sie zum ersten Mal an der grossen queeren Demo teil. Ein bedeutender Moment für sie, wie sie sagt.
Dieser Text erschien erstmals am 17. Juni 2023. Anlässlich der diesjährigen Pride haben wir ihn für Sie aktualisiert.
Sie sei keine überschwängliche Person. Das sagt Heidi im Demozug der Pride, inmitten von Fahnen, Musik und Transparenten. Doch irgendwann fügt sie an: «Man sieht es vielleicht nicht so, aber ich fühle mich auf eine Weise angekommen.» Sie ringt mit den Worten.
Es ist kurz nach 14 Uhr am Samstagnachmittag. In wenigen Minuten setzt sich der riesige, regenbogenfarbene Demonstrationsumzug vom Helvetiaplatz aus in Bewegung durch die Innenstadt – er wird in den kommenden Stunden auf mehrere Zehntausend Menschen anwachsen.
Die 69-jährige Heidi Brenner lebte bis vor vier Monaten unter einem männlichen Namen. Sie geht zum ersten Mal an der Pride mit. «Es ist mir wichtig, offen mit meiner Geschlechtsanpassung umzugehen», sagt sie. Doch ein Rest an Unsicherheit war bei ihr vor dem Umzug spürbar. «Ich weiss nicht, ob so grosse Demos etwas für mich sind.»
Trotz ihrer Zurückhaltung, Heidi fällt auf. Sie ist über 1,80 Meter gross, ihre Haare sind von pinkfarbenen Strähnen durchzogen und zur Frisur hochgeföhnt. Ihr Kleid leuchtet orange. Das sei ihre Lieblingsfarbe.
Freunde wandten sich ab
Für sie ist die Pride ein Meilenstein auf ihrem mehr als 40 Jahre währenden Weg vom Cis-Mann, der in einer Kommunikationsabteilung arbeitete, zur trans Frau. Eine Art öffentliches Statement, ein Anschluss an eine Community, eine neue Offenheit im Umgang mit der eigenen Transition. Nachdem sie ihr Geschlecht offiziell geändert hatte, schrieb sie Freundeskreis, Familie und der Nachbarschaft einen Brief. «Ich bin ab sofort Heidi, und das ist bestens so :-)», lautete die Überschrift.
Nicht alle hätten ihre Transition wohlwollend aufgenommen, erzählt Heidi. Von den Geschwistern habe sie seit dem Brief nur knappe Antworten erhalten. Ihre beiden erwachsenen Kinder aus früherer Ehe wollten lange nichts davon wissen, und einige Freunde wandten sich sogar von ihr ab. «Dafür habe ich viele neue schöne Kontakte geknüpft», sagt sie. Ohne diese hätte sie diesen «grossen Schritt» vor vier Monaten nicht geschafft.
Ein diffuses Gefühl habe es bei ihr schon lange gegeben, sagt sie und erzählt von einer Reise nach San Francisco vor mehr als 40 Jahren. Vom Rand aus beobachtete der junge Thurgauer Heinz die Schwulen- und Lesbenkundgebung Christopher Street Day (CSD). «Am liebsten wollte ich da schon direkt eintauchen, doch ich traute mich nicht», sagt Heidi. Umso mehr überwältigt sie nun die Pride: «Ich kann noch gar nicht fassen, dass ich jetzt hier mitlaufe.»
Alle feiern die Freiheit, sich selbst zu sein
Wie wohl alle hier feiert auch Heidi: die Freiheit, sich selbst zu sein. Die ganze Ironie und den Sarkasmus, die in der Männerrolle zu ihr gehört hätten, habe sie immer mehr ablegen können, sagt sie. «Meine Freunde sagen, ich sei ein viel offenerer Mensch geworden, seitdem ich als Frau lebe.»
Doch geht es an der Pride nicht allein um individuelle Freiheit, sondern auch um politische Anliegen. Das ist etwa in der kämpferischen Rede der Queer-Aktivistin Anna Rosenwasser auf dem Helvetiaplatz zu hören. Sie beschwört den Zusammenhalt zwischen den zahlreichen Queer-Communitys, getreu dem Motto der diesjährigen Pride, «Zeit zum Reden». Dabei verweist Rosenwasser auch auf eine queerfeindliche Stimmung in der Schweiz, die von rechtskonservativen Kräften geschürt werde.
Davon spricht auch Nadja Herz, Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS). Die Rechtsanwältin war schon an den CSD- und Pride-Demos in den 1980ern und 1990ern dabei und läuft auch an der aktuellen Pride beim Wagen der LOS mit.
«Damals brauchte es noch Mut, um an einer Pride teilzunehmen. Die Leute am Strassenrand begafften uns, als wären wir Zootiere», sagt Herz. Doch dass die Gesellschaft derzeit wieder mehr queerfeindliche Züge annehme, das mache ihr Sorgen. Deshalb sei eines der zentralen Anliegen von LGBTQI-Communitys, neben rechtlichen Verbesserungen, auch der Schutz vor Hass und Gewalt.
Herz schaut auch mit kritischem Blick auf die Pride. Noch immer sei der Umzug enorm wichtig, weil dadurch die zahlreichen verschiedenen Communitys sichtbar würden. Deshalb nehme sie jedes Jahr sehr gerne daran teil. Doch die Stimmung sei früher deutlich politischer gewesen. Das vermisst sie. «Damals ging es in erster Linie darum, politische Ziele zur Verbesserung des Alltags von queeren Menschen zu formulieren», sagt Herz.
Auch Heidi Brenner will mit ihrer Teilnahme an der Pride nicht nur für sich sprechen. «Ich möchte mit meiner Sichtbarkeit ältere Leute ermutigen, die gleich fühlen wie ich», sagt sie. Wichtig ist ihr auch, dass sie am Umzug von Personen umgeben ist, bei denen sie auf Verständnis für ihren Weg zählen kann.
An diesem Samstag spricht Heidi Brenner mit vielen neuen Menschen, etwa beim Wagen der LOS. Einige kennen sie schon aufgrund ihres Instagram-Accounts. Diesen hat sie kürzlich zusammen mit einer Kunststudentin aufgesetzt, die eine Arbeit zu «Queer im Alter» und über Heidis Transition macht.
Und welches Fazit zieht Heidi aus ihrer ersten Pride? «Ich habe mir den Umzug einiges schriller und extravaganter vorgestellt.»
Mitarbeit: Sepinud Poorghadiri
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