Die Folgen des Brexit Minister stimmt britische Wirtschaft auf Chaos ein
Michael Gove soll Unternehmen für die Zeit nach dem Brexit fitmachen. Nun hat er ein «angemessenes Worst-Case-Szenario» entworfen.
Nicht jeder trägt einen so ehrwürdigen Titel wie Michael Gove. Er ist Chancellor of the Duchy of Lancaster und als solcher für die Verwaltung des Herzogtums zuständig. Weil ihn das aber offenbar nicht auslastet, hat ihm Premierminister Boris Johnson den Auftrag erteilt, die britische Wirtschaft auf die Folgen des Brexit vorzubereiten.
In seiner Funktion als Kabinettsminister spricht Gove schon seit einiger Zeit mit Unternehmern und erklärt ihnen, sich gefälligst darauf einzustellen, dass der Handel mit der EU vom 1. Januar an nicht mehr so reibungslos laufen werde wie jetzt. Um die Wirtschaft wachzurütteln, hat Gove nun einen Brief an die grossen Handelsverbände geschrieben, in dem er ein «angemessenes Worst-Case-Szenario» entwirft. Diese Formulierung ist eine elegante Umschreibung für das, was zum Jahreswechsel an der britischen Grenze droht: Chaos. Und zwar egal ob es einen Handelsvertrag mit der EU gibt oder nicht.
7000 Lastwagen in der Grafschaft Kent im Stau
Gove warnt vor langen Schlangen: Bis zu 7000 Lastwagen könnten in der Grafschaft Kent im Stau stehen, um auf die nötigen Kontrollen am Hafen in Dover oder am Channel Tunnel zu warten. Die Unternehmen müssten sich auf eine Verzögerung von zwei Tagen einstellen, um Waren von Grossbritannien in die Europäische Union auszuführen. «Es ist wichtig, dass die Unternehmen jetzt handeln und sich auf neue Formalitäten vorbereiten», schrieb Gove. Und fügte sogleich hinzu, dass er damit rechne, dass bis zu 50 Prozent der Lastwagen, die am Ärmelkanal ankommen, keine korrekt ausgefüllten Papiere dabeihätten. Das würde wiederum die Wartezeit an der Grenze deutlich verlängern.
Bislang passieren täglich bis zu 10’000 Trucks die Route von Dover nach Calais in Frankreich. Doch wenn Grossbritannien den EU-Binnenmarkt und die Zollunion zum Jahreswechsel verlässt, könnte der Frachtverkehr von Januar bis Ende März um bis zu 80 Prozent einbrechen, warnte Gove.
Sein Brief und sein Auftritt im britischen Unterhaus am Mittwoch wurden von der Wirtschaft mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits sind sich vor allem die Logistikunternehmen bewusst, dass es zu massiven Verzögerungen im Lieferverkehr kommen dürfte. Andererseits fühlen sich viele Unternehmen von der Regierung allein gelassen, weil es gut 100 Tage vor dem Jahreswechsel noch immer völlig offen ist, ob es einen Handelsvertrag mit der EU geben wird.
Selbst im Fall eines Deals müssen sich die Unternehmen auf mehr Papierkram einstellen.
Gibt es zwischen London und Brüssel keine Einigung, gelten die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Es würde also Zölle und Zollkontrollen geben. Doch selbst im Fall eines Deals müssen sich die Unternehmen auf mehr Papierkram einstellen. Zu diesem Zweck ist die britische Regierung dabei, ein neues Portal im Internet aufzubauen, das den Lastwagenfahrern dabei helfen soll, die Formulare vor ihrer Ankunft in Kent auszufüllen. Wer das nicht ordnungsgemäss tut, riskiert eine Strafe von umgerechnet rund 350 Franken. Das Problem ist nur: Das Netzportal wird wohl erst im November fertig.
Weckruf an die Regierung
Fest steht, dass die Kosten für Unternehmen deutlich steigen werden. Auch die Regierung muss viel Geld ausgeben, um die Kontrollen gewährleisten zu können: Dem Vernehmen nach braucht es 50’000 neue Mitarbeiter an der Grenze. Gove wiederum kann man unterstellen, dass er seinen Weckruf nicht ganz ohne Hintergedanken platziert hat. Der Minister ist nämlich einer, der für einen Handelsvertrag mit der EU plädiert. Und vielleicht wachen jetzt einige am Kabinettstisch auf, die einen No-Deal-Brexit für unproblematisch halten. Das wäre ganz in Goves Sinne.
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