Millionen für die «Matterhorn University»Das Wallis lässt sich seine Fern-Uni etwas kosten
Die Fern-Uni Brig wächst rasant. Professor Nicolas Rothen sagt, wie man sich von anderen Unis abhebt – und ein ehemaliger CVP-Präsident träumt vom Wallis als Innovationsstandort.
Erwischt. Der Arbeitskollege döst.
Dabei wollte Psychologieprofessor Nicolas Rothen im Keller der Fern-Uni in Brig bloss das Studio für seine Videoaufnahmen zeigen. Er sieht darin ausgezogene Schuhe, schaut hinein und sagt: aha. Der dösende Arbeitskollege. Bedröppelt richtet sich dieser auf und startet den Versuch, sich unsichtbar zu machen. Klappt nur mässig.
In Brig haben sie an vieles gedacht beim 2022 eingeweihten Campus der Fern-Uni, die sich auf das Fernstudium spezialisiert hat. Doch offenbar an eines nicht: an Kojen für Mittagsschläfchen. Rund 30 Millionen Franken hat der Bau gekostet. Womöglich ist der grosse Bau aber bald zu klein.
Die «Fern-Uni Schweiz» – so der offizielle Name – ist heute die am schnellsten wachsende Hochschule des Landes. Aktuell besteht sie aus 25 Lehrstühlen. Die Zahl soll sich mittelfristig verdoppeln.
Angesichts des gut ausgelasteten Campus, den die Fern-Uni mit der Fernfachhochschule FFHS teilt: Haben alle zusätzlichen Professorinnen und Assistenten hier Platz? Rothen, mittlerweile bei der Hausführung ganz oben angekommen, schaut umher und sagt: «Ich glaube nicht. Es braucht wohl einen Ausbau.»
Kampf dem Braindrain
Das Wachstum der Fern-Uni kann man gut an Rothen zeigen. Er kam 2018 als Assistenzprofessor nach Brig, er war damals einer von drei fest angestellten Professoren. Heute sind es 25.
Er hat die Fern-Uni Schweiz von innen wachsen sehen, er spricht von einem Start-up-Groove. «Wo hat man das sonst an Schweizer Hochschulen?», sagt er und meint: keine rigiden Hierarchien, keine Fakultätsleiter, die sich als Halbgötter aufführen – man kann hier gestalten, auch als junger Mensch.
Rothen ist 42 Jahre alt und wechselt mitten im Satz von Berndeutsch in den Walliser Dialekt. Es ist die Folge eines klassischen Walliser Lebenslaufs: im Kanton aufgewachsen, in die Welt ausgezogen, in Bern sesshaft geworden und stets mit dem Wallis verbunden geblieben.
Die Walliser hatten wohl Menschen wie Rothen im Kopf, als sie die Fern-Uni 1992 gründeten – sie wollten etwas gegen den Braindrain unternehmen, die Abwanderung gut qualifizierter Kräfte. Rothen unterrichtet heute Fächer wie «Lernen und Gedächtnis». Seine Studierenden aber sieht er praktisch nie physisch. An der Fern-Uni gibt es gleichwertige Abschlüsse wie an anderen Universitäten der Schweiz und die Garantie, dass man das Studium online absolvieren kann – ohne je einmal in Brig gewesen zu sein. Ein Alleinstellungsmerkmal.
Die Vorlesungen hält Rothen in Form von Videopräsentationen ab. Im Videostudio im Keller zeichnet er die Inhalte auf. Seine Studierenden hören sie nach, wenn sie Zeit haben. Auf der Onlineplattform, die man auch von gewöhnlichen Universitäten kennt, lernen sie und prüfen ihr Wissen.
Einmal in der Woche tritt Rothen pro Fach persönlich mit den Studierenden in Kontakt, bei der Fragestunde. Zwischen 20 und 100 schalten sich dann jeweils auf Zoom zu. «Mit der Zeit bekommt man ein Gespür, ob einem die Leute zuhören», sagt Rothen über das digitale Dozieren.
Rund 2300 Menschen studieren an der Fern-Uni, Tendenz steigend. Sie machen das in den Fakultäten Recht, Wirtschaft, Psychologie, Geschichte, Mathematik und Informatik. Zum Vergleich: Die grösste Universität der Schweiz, jene in Zürich, besuchen 28’000 Studierende. Das Durchschnittsalter der Fern-Uni beträgt 37 Jahre, die meisten Studierenden sind zwischen 35 und 50 Jahre alt. Viele haben schon ein Studium absolviert und wollen sich neu orientieren, während sie weiterhin arbeiten.
Sie wollen ein Upgrade
Alle sieben Jahre müssen sich Schweizer Hochschulen wieder akkreditieren lassen – es ist eine Art Anerkennung der Kompetenz. Bei der nächsten Prüfung 2027 will die Fern-Uni sich als Universität akkreditieren lassen, damit sie auch Doktorate vergeben darf. Bislang war sie lediglich als sogenanntes universitäres Institut registriert.
Die Fern-Uni wächst also. Auch weil es das Wallis und die Kantonsregierung wollen. In ihrem Regierungsprogramm nimmt die Universität eine grosse Rolle ein, sogar einen marketingtauglichen Arbeitstitel hat man für die Ausbaupläne gefunden: «Matterhorn University.»
Der ehemalige CVP-Präsident Christophe Darbellay ist der Walliser Bildungsdirektor. Er bezeichnet die Fern-Uni als «sehr wichtig für den Kanton» – entsprechend wird sie gefördert. Gerade hat er die jährlichen Zuschüsse um 3,1 Millionen (2022) auf 7,2 Millionen (2025) Franken erhöht. Ohne den Kanton könnte die Universität die Lehrstühle nicht ausbauen.
Darbellay spricht von einer enormen Dynamik und davon, dass man sich von alten Bildern emanzipieren wolle, zum Beispiel vom Kanton des Tourismus und der Landwirtschaft. «Klischees», sagt Darbellay. Das Wallis wolle künftig für die Themen Digitalisierung und Robotisierung stehen. «Das ist unser Schritt ins 21. Jahrhundert. Wir wollen ein Innovationskanton werden.»
Zu diesem Plan gehört auch der Bau des 400 Millionen teuren Campus in Sitten, der in Zusammenarbeit mit der EPFL Lausanne entstanden ist. Sein Name: Energypolis – ebenfalls marketingtauglich.
Zur Aussage von Professor Rothen, dass der Fern-Uni-Campus in Brig wegen der Ausbaupläne wohl bald zu klein sei, sagt Darbellay: «Professoren haben immer gute Ideen.» Ein Ausbau sei aber sicher nicht geplant, der Campus sei ja erst eingeweiht worden. Darbellay erwähnt aber auch, dass es nebenan eine Parzelle gebe, die man für einen Ausbau nutzen könnte.
Wie zeitgemäss ist überhaupt eine solche Fern-Uni noch? Während der Corona-Pandemie mussten auch klassische Unis aufrüsten und Onlinevorlesungen ausbauen. Psychologieprofessor Rothen weiss das. Er zeigt seine Lehrunterlagen, seine Onlinequiz, er verweist auf seine Videopräsentationen oder die Frage-Antwort-Stunden. «Wir spezialisieren uns auf etwas, was andere Hochschulen in diesem Detaillierungsgrad gar nicht leisten können.»
Zudem gebe es einen gesellschaftlichen Wandel, der der Fern-Uni entgegenkomme. Früher sei der Bildungsweg fast schon vorgeschrieben gewesen. Schule, Studium, Arbeit – in dieser Reihenfolge. «Heute wollen viele Junge erst arbeiten und erst später studieren.» Als kleine und flexible Fern-Uni habe man da einen Vorteil.
Für Rothen heisst das aber auch: Er arbeitet samstags. Dann trifft man sich online zur Diskussionsrunde. Drei Stunden sind pro Fach eingeplant. «Meistens überziehen wir», sagt Rothen. Noch so ein Unterschied zu den klassischen Unis. Die Motivation ist in Brig meist höher als an anderen Hochschulen.
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