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Schauspielerin in «Anora»
Als Sexworkerin zum Oscar? Mikey Madison, Hollywoods neuer Shootingstar

US actress Mikey Madison poses while arriving to attend the opening ceremony of the 50th edition of the Deauville American film festival, in Deauville, on September 12, 2024. (Photo by Loic VENANCE / AFP)
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Der Höhepunkt von «Anora» ist einer dieser Kinomomente, in denen ein Plan spektakulär schiefläuft, weil Dinge passieren, die nicht passieren sollten. Die Situation ist unübersichtlich, aber im Grunde geht es darum, dass ein russischer Oligarch genug hat und ein Aufräumerteam in seine Villa im New Yorker Stadtteil Brighton Beach schickt.

Dort lebt sein Sohn Ivan, der spontan die amerikanisch-russische Sexworkerin Ani geheiratet hat. Was für eine Schande für die Familie! Der Vater will die sofortige Annullation der Ehe. Aber Ani wehrt sich mit aller Kraft gegen diese Invasion. Bis sie einer der Typen mit dem Telefonkabel fesselt und umklammert, damit sie nicht wegrennen kann. Irgendwann liegen die zwei eng umschlungen auf dem Sofa, und man fragt sich: Ist das jetzt auf einmal lustig geworden? (Ja, ist es.)

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Wahrscheinlich hat es geholfen, dass die 25-jährige Mikey Madison, die die Figur von Ani spielt, bereits in der Fortsetzung der Horrorfilmreihe «Scream» mitgespielt hat. Wegen dieses Auftritts hat Regisseur Sean Baker Madison für «Anora» angefragt und die Rolle für sie ausgestaltet. Bekannt geworden war Madison schon vorher: als komplett verrückte Anhängerin des Manson-Kults in «Once Upon a Time in Hollywood» von Quentin Tarantino.

Madison spielt impulsive Figuren, die gelernt haben, Stimmungen zu lesen. Wenn es sein muss, setzen sie alles aufs Spiel. Sie haben Humor und trauen sich etwas zu. In «Anora» freundet sich Ani im Stripclub mit Ivan an, er verspricht ihr ein luxuriöses Leben mit Privatjet und Penthouse.

«Anora» gewann in Cannes die Goldene Palme

Sie erliegt dem quirligen Charme des jungen Russen und willigt ein, für eine Woche gegen Bezahlung bei ihm zu wohnen. Bis zur Spontanheirat in Las Vegas – und der heftigen Reaktion der Familie. «Anora» gewann in Cannes die Goldene Palme, und Mikey Madison gilt inzwischen als sichere Oscar-Kandidatin.

US actress Mikey Madison attends Beyond Fest's West Coast premiere of "Anora" at the Vista theatre in Los Angeles, October 1, 2024. (Photo by VALERIE MACON / AFP)

Die Tochter eines Psychologenpaars stammt wie Billie Eilish aus Los Angeles, ist ungefähr gleich alt und wurde wie die Sängerin von den Eltern zu Hause unterrichtet. Gut, hier enden die Parallelen bereits. Aber dass man es sich in einer privilegierten Situation leisten kann, den Kindern gewisse kunstsinnige Freiheiten zu lassen, hat sich in beiden Fällen ausgezahlt. Mikey Madison nahm an Dressage-Wettkämpfen teil, schwenkte auf die Schauspielerei um und wurde mit 17 als augenrollender Teenager in der Komödienserie «Better Things» engagiert.

In Interviews erzählt Madison, dass sie ein Rezept für Schokoladencookies perfektioniert hat und seit einiger Zeit Vintagekleider sammelt. Ausserdem verzichtet sie darauf, ihr Leben auf Instagram und Co. darzustellen. Für «Anora» hat sie unter Sexworkerinnen recherchiert, sie hat Russisch gelernt und Pole-Dancing-Lektionen genommen. Überhaupt war sie in die ganze Entwicklungsphase des Films involviert.

BETTER THINGS, l-r: Mikey Madison, Pamela Adlon in Future Fever Season 1, Episode 5, aired October 6, 2016. ph: Jessica Brooks/ FX/courtesy Everett Collection FX Networks/Courtesy Everett Collection ACHTUNG AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xFXxNetworks/CourtesyxEverettxCollectionx TCDBETH EC106

Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil Ani oft nackt unterwegs ist und viel Zeit mit Sex verbringt. Regisseur Sean Baker kalibriert seinen Blick von Anfang so, dass er das Milieu der Sexworkerinnen in genau gesetzten, zum Teil sekundenkurzen Vignetten zeigt, ohne es zu verurteilen.

Die nackte Haut ist quasi ihre Arbeitsuniform. Selbst in der Villa mit Ivan vergisst Ani nie, dass die Beziehung auf einer Transaktion beruht. Auch wenn sie eine Naivität beibehält, die sie im Umgang mit ihren Freiern eingeübt hat. Erst am Ende muss Ani eine Form von Nähe zulassen, die sie gar nie gekannt hat.

Sean Baker dreht Filme mit Hoffnung

Was auch die Kritik entkräftet, bei «Anora» handle es sich um einen schönfärberischen Film über einen unschönen Beruf. Sean Baker («The Florida Project») hat bereits mehrere Spielfilme gedreht mit der Absicht, die Arbeit von Sexworkern und -workerinnen zu entstigmatisieren. Weil er aber auch das Kino und die Filmgeschichte liebt, verbindet er den Sozialrealismus mit Hoffnung. In «Anora» ist es der Traum von Ausbruch und Überfluss.

Die dunkle Existenz der Marginalisierten hat hier stets eine andere Seite; die Stimmung kann sich innert kürzester Zeit drehen. Die Tragödie verwandelt sich in Komik, das Gewaltdrama weicht Slapstick. Und manchmal nimmt eine Situation ein derart absurdes Ausmass an, dass aus dem Leben selber so etwas wie Kino wird.

«Anora», ab 31.10. in den Kinos.