Interview mit Rechtsprofessor«Manche Kollegen sagten, jetzt macht der Kunz auch noch Büsi-Recht»
Der bekannte Professor für Wirtschaftsrecht zeigt eine neue Seite – mit dem ersten Übersichtswerk zum Tierrecht der Schweiz. Am 17. August beantwortet er Ihre Fragen dazu.
Darf ich meine Katze als Erbin einsetzen? Was passiert bei meiner Scheidung mit den beiden Goldhamstern? Welche rechtlichen Folgen hat es, wenn mein Hund ein Kind schwer verletzt? Darf ich ein Tier, das immer wieder in meinem Garten herumstreunt, in Besitz nehmen? Solche und ähnliche Fragen zu allen Aspekten des Tierrechts beantwortet Peter V. Kunz am Donnerstag, 17. August, von 18.30 bis 19.30 Uhr in unserem Live-Chat. Stellen Sie Ihre Frage hier:
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Herr Kunz, Ihr neustes Buch beginnt mit der wohl ungewöhnlichsten Widmung, die ein rechtswissenschaftliches Werk je beinhaltete: «Für Eveline sowie für die krasseste Herde, Micki, Daisy und Beni, die liebsten und coolsten Haus- beziehungsweise Heimkatzen, die es gibt oder gab, und in Erinnerung an Mausi sowie Spitz.» Was hat es damit auf sich?
Eveline – meine zweite und dritte Ehefrau – war der Auslöser dafür, dass ich mich mit Tierrecht beschäftigt habe. Als zweite Ehefrau hat sie mich insofern negativ beeinflusst, als sie sich 2019 von mir scheiden liess. Es kam zu einem Streit um unsere drei Katzen Micki, Daisy und Beni. Da musste ich mich mit der Frage beschäftigen, wem die Katzen eigentlich gehören.
Und, wer gewann den Streit?
Natürlich meine Frau. Sie setzte sich vor Gericht durch und bekam alle Katzen. Ich musste mich mit einem Besuchsrecht begnügen – aber die ganzen Tierarztkosten übernehmen.
Sie und Ihre Ex-Frau versöhnten sich dann aber schnell: Nur eine Woche nach der Scheidung flogen Sie zusammen in die Ferien nach Dubai, und ein halbes Jahr später heirateten Sie wieder.
Ja, und nachdem wir wieder geheiratet hatten, beeinflusste mich Eveline positiv. Sie ist Tierschützerin und trieb mich an, mich richtig ins Tierrecht reinzuknien.
Und was hat es mit der «krassesten Herde» für eine Bewandtnis?
Das ist ein Spruch aus dem Film «Ice Age», in dem einige merkwürdige Gestalten vorkommen. Das sind wir eben auch. Eveline und ich haben keine Kinder, aber wir haben die drei Büsi Daisy, Micki und Beni, und die haben alle ganz unterschiedliche Charaktere, wie Kinder. Die haben mich alle sehr motiviert. Ich erzähle ihnen auch regelmässig, was ich gerade schreibe.
Vermenschlichen Sie da Ihre drei Katzen nicht allzu sehr? Schon im Vorwort schreiben Sie: «Für die Grundanregung zum Tierrecht bedanke ich mich bei Daisy, doch Dank gebührt ebenso Beni sowie – mit zensurierenden Eingriffen am Manuskript – Micki.»
Ich versuche zwar bewusst, unsere Katzen nicht zu vermenschlichen. Aber es ist schon so: Durch die professionelle Beschäftigung mit Tieren lebe ich einen Teil meiner eigenen Emotionalität aus. Wir haben keine Kinder, aber trotzdem habe ich Emotionen. Bei Tieren kann ich die ausleben. Ich sage immer: Wirtschaftsrecht – das ist für mich eine Kopfsache. Tierrecht – das ist für mich eine Herzenssache. Aber, und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Wenn ich mich juristisch mit diesen Fragestellungen beschäftige, dann tue ich dies mit null Emotionen. Ob ich mich mit «Too big to fail» von systemrelevanten Banken beschäftige oder mit den Rechten von Tieren, spielt wissenschaftlich keine Rolle.
Welches ist – abgesehen von Ihren drei Katzen – Ihr persönlicher Bezug zu Tieren?
Meine frühesten Kindheitserinnerungen haben mit Schweinen und Kühen zu tun. Als kleiner Bub war ich sehr viel im Stall meines Onkels im Luzernischen. Ich hatte schon immer einen positiven Bezug zu Nutztieren. Katzen kamen erst später dazu. Spitz und Mausi waren die ersten zwei Katzen, die ich hatte, als ich 8 oder 9 Jahre alt war. Ich war immer ein Katzenmensch. Es gibt heute aber auch noch Jackie, unseren Bürohund, der meinem Assistenten gehört. Er hat mich auch schon angeknurrt – wahrscheinlich, weil ich nach Katzen rieche.
«Tiere sind nicht nur gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtig, sondern auch rechtlich.»
Auf das für Sie neue Thema Tierrecht kamen Sie erst vor einigen Jahren. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?
Ich war überrascht, wie breit und umfangreich das Tierrecht ist. Es umfasst alle Rechtsgebiete, vom Privatrecht und öffentlichen Recht über das Wirtschaftsrecht bis zum Strafrecht. Tiere sind nicht nur gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtig, sondern auch rechtlich. Das wird absolut unterschätzt, auch unter Juristen und an den Universitäten.
Im August erscheint Ihr Buch mit dem Titel «Tierrecht der Schweiz». Auf 800 Seiten handeln Sie so gut wie alles ab, was Sie dazu in drei Jahren Recherchearbeit finden konnten. Warum braucht es ein so dickes Buch?
Vorlesungen und Lehrbücher an den Universitäten ignorieren Tiere bisher fast vollständig. Wir haben zwar Hunderte Gesetzesnormen, die Tiere betreffen. Und Tiere wurden gerade in jüngerer Vergangenheit häufig zum Gegenstand von Entscheiden durch Behörden und Gerichte. Aber die Rechtswissenschaft scheint das zu übersehen. Insofern füllt mein Buch eine Lücke für sämtliche Juristen. Ich möchte damit aber auch alle Interessierten – Politiker, Behörden, die Zivilgesellschaft – für tierrechtliche Fragen stärker sensibilisieren.
Sie halten seit drei Jahren Vorlesungen und Seminare zum Tierrecht. Sind Sie der Erste in der Schweiz, der das macht?
In dieser Breite ja, auch europaweit. In verschiedenen Vorlesungen redet man beiläufig über Tiere. Aber die ganze Bandbreite gibt es weder in der Schweiz noch international.
Was sagten Ihnen Ihre Professorenkollegen in Bern, als Sie damit anfingen?
Sie waren sehr skeptisch und hatten auch nicht wirklich Freude – wahrscheinlich, weil ich teilweise in ihre Gärtchen trat. Eine neue Vorlesung oder ein neues Seminar muss in der Fakultät immer formell beantragt und genehmigt werden. Als ich den Antrag stellte, meinten manche Kollegen, es sei ein Witz. Es hiess, jetzt macht der Kunz auch noch Büsi-Recht.
Aber Ihre Kollegen konnten es nicht verhindern, weil Sie damals Dekan der Fakultät waren.
Falsch. Auch als Dekan musste ich die Vorlesung bewilligen lassen. Man schickte mich aus dem Raum, als die Fakultätsversammlung darüber beriet. Die Diskussion dauerte fast eine Viertelstunde – da dachte ich, sie hätten es abgelehnt. Es gab dann doch eine Mehrheit mit vielen Enthaltungen für die Vorlesung, dank der intensiven Unterstützung der Studierendenvertreter. Die fanden das toll. Aber von einigen Professorenkollegen und verschiedenen bekannten Wirtschaftsanwälten in Zürich wurde ich belächelt. Den intensivsten Gegenwind bekam ich im Rotary Club Bern, dem zweitältesten Rotary Club der Schweiz, in dem ich Mitglied bin. Da hiess es, jetzt wird der Kunz im Alter komisch.
«Bei Scheidungen werden Tiere oft als Kampf- und Druckmittel eingesetzt.»
Sie sind wegen Ihrer Scheidung zum Tierrecht gekommen. Welches ist der häufigste Fehler, den Paare begehen, die sich scheiden lassen?
Schlimm ist, wenn man Tiere als Kampf- und Druckmittel braucht. Das ist leider sehr verbreitet. Oft werden Kinder als Kampfmittel gegen den Scheidungspartner eingesetzt. Genau gleich passiert das bei den Tieren – vor allem bei jenen Paaren, die keine Kinder haben, aber ihren Tieren emotional verbunden sind.
Worüber streiten die dann?
Darum, wem das Tier gehört, um das Sorgerecht, das Besuchsrecht, die Unterhaltszahlungen. Es kann aber noch weiter gehen: Der Partner, der das Tier durch das Gericht erhält, kann sagen: Es ist mir zugesprochen, du siehst es nie mehr, ich töte es innerhalb einer Woche. Du liebst es, ich töte es. Dagegen hat man fast keine Möglichkeit. Immerhin sieht das Scheidungsrecht heute die Regelung vor, dass das Gericht bei der Zuteilung schauen muss, wer von den Partnern im Interesse des Tieres geeigneter ist.
Lassen Sie mich ein paar andere rechtliche Fragen stellen: Können Tiere Delikte begehen?
Ja, Tiere können faktisch Delikte begehen, aber sie werden nicht zur Verantwortung gezogen. Denn Tiere sind juristisch keine Rechtssubjekte, sind also nicht deliktsfähig. Das heisst, sie haben rechtlich gesehen weder Rechte noch Pflichten. Wenn ein Tier einen Schaden verursacht, ist es nicht haftbar. Es wird auch nicht vor Gericht gestellt. Bei jenen Tieren, die jemandem gehören, wird ersatzweise der Halter zur Verantwortung gezogen. Bei Wildtieren sieht es anders aus. Wenn ein Bär eine Kuh reisst, passiert gar nichts. Der Bauer hat den Schaden, der Bär zieht weiter.
Das war früher anders. Da machten Gerichte Tieren den Prozess.
Genau. Man richtete Tiere hin oder verstümmelte sie zur Bestrafung – ganz brutal. Auch die Schweiz hatte bis ins 19. Jahrhundert hinein Tierprozesse.
Welche rechtlichen Folgen hat es, wenn mein Hund ein Kind schwer verletzt?
Das ist ein gutes Beispiel, weil es zeigt, um wie viele juristische Themen es bei tierrechtlichen Fragen gehen kann: Es braucht jemanden, der sich strafrechtlich, privatrechtlich und verwaltungsrechtlich auskennt. Also drei grosse Rechtsgebiete für einen einzigen Fall. Die Hauptfolge ist, dass Sie Schadenersatz zahlen müssen. Die zweite mögliche Folge ist, dass die Eltern des Kindes gegen Sie als Tierhalter eine Strafanzeige wegen Körperverletzung einreichen. Und eine dritte mögliche Folge ist, dass das Veterinäramt ein Verfahren gegen Sie als Hundehalter einleitet. Es nimmt Ihnen vielleicht den Hund weg oder schläfert ihn sogar ein.
Obwohl die Todesstrafe für Tiere im 19. Jahrhundert abgeschafft worden ist, kann so ein Fall also für den Hund tödlich enden?
Ganz genau. Strafrechtlich wird der Hund nicht verurteilt wie bei einem Tierprozess im Mittelalter, aber er kann trotzdem getötet werden.
Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld soll seine Katze im Testament als Alleinerbin eingesetzt haben, womit sie 800 Millionen Euro erben würde. Geht das überhaupt?
Nein. Das kann so nicht stimmen. Erben kann ein Tier nicht. Es ist nicht erbfähig, weil es weder Rechte noch Pflichten hat. Aber ein Erblasser kann im Testament die Auflage machen, dass der Erbe oder die Erbin zum Tier schauen muss.
«Wenn ich ein Tier schlage und es stirbt, ist das nur eine Sachbeschädigung.»
Ist es in Stein gemeisselt, dass Tiere keine Rechte haben?
Nein. Ich glaube, dass wir uns in einer Übergangszeit befinden. Man hat die Rechte von Tieren etwas verbessert, aber ohne sie zu Rechtssubjekten zu machen. Hinreichend ist das noch längst nicht. Der Bundesrat und das Parlament könnten und sollten aktiver werden.
Was genau kritisieren Sie?
Das Tierschutzrecht wird in der Schweiz von vielen Veterinärämtern zu wenig gut durchgesetzt. Und es gilt nur für Wirbeltiere. Deutschland und Österreich fassen den Tierschutz weiter. Gut ist hingegen, dass Tiere vor zwanzig Jahren im Schweizer Recht eine eigene rechtliche Position zwischen Personen und Sachen erhielten. Das war ein Quantensprung. Tiere haben seither einen gewissen erhöhten rechtlichen Schutz – nicht nur im Tierschutzrecht, sondern zum Beispiel auch im Obligationenrecht. Trotzdem sind Tiere juristisch gesehen immer noch eine atypische Sache, auch wenn es im Zivilgesetzbuch anders steht. Wenn ich ein Tier schlage und es stirbt, ist das strafrechtlich weder eine Körperverletzung noch eine Tötung, sondern nur eine Sachbeschädigung.
Im vergangenen Jahr haben Tierschützer in Basel-Stadt versucht, mit der Primaten-Initiative eigentliche Grundrechte einzuführen für alle nicht menschlichen Primaten. Sie wurde deutlich abgelehnt. Ist das Thema damit vom Tisch?
Langfristig sicher nicht. Ich kann mir vorstellen, dass man irgendwann Tiere als Rechtssubjekte anerkennt. Es hat mich schon als jungen Studenten irritiert, dass nicht nur Menschen einen Grundrechtsschutz haben, sondern auch Unternehmen wie Nestlé oder die UBS – aber Tiere nicht. Mich stört, dass Tiere in der Schweiz keine Rechte haben. Man könnte ihnen durchaus gewisse Rechte einräumen. Natürlich nicht alle, sonst müsste man ihnen auch Pflichten auferlegen, und das ist unmöglich.
Wieso sollen Tiere, die nicht im menschlichen Sinn urteilsfähig sind, Rechte erhalten?
Auch Menschen, die nicht urteilsfähig sind, haben Rechte. Denken Sie an Menschen mit schweren geistigen Behinderungen, Neugeborene oder Demente. Das Konzept, dass man eine Vertretung braucht, um die Rechte durchzusetzen, könnte man problemlos auch bei Tieren einführen.
«Ich bin dafür, dass Tiere ein gesetzlich verankertes Recht auf ein würdevolles und angemessenes Leben erhalten.»
Welche Rechte könnten Tiere erhalten?
Im Vordergrund steht das Recht auf Leben.
So absolut formuliert, würde das bedeuten, dass man nicht mehr Fleisch essen, fischen oder jagen darf und keine Land- und Alpwirtschaft mehr betreiben kann. Wollen Sie das?
So weit gehe ich nicht. Ich habe kein Problem mit dem Konsum von Fleisch, ich esse es auch. Es ist die Frage, wie das Tier lebt und wie es getötet wird. Ich bin dafür, dass Tiere ein gesetzlich verankertes Recht auf ein würdevolles und angemessenes Leben erhalten – einen Lebensschutz, wie in Deutschland.
Wie könnte das konkret aussehen?
Zum Beispiel, dass das Tier genügend Raum und Licht hat. Und Anspruch auf tierärztliche Betreuung. Es darf kein Dahinvegetieren geben. Wenn jemand in einer Eineinhalbzimmerwohnung zwanzig Katzen hält – das geht nicht.
Bald ist 1. August, der Tag der vielen Feuerwerke. Verletzen die Böller und Raketen die Rechte von Tieren?
Ja, Tiere werden am 1. August – und auch an Silvester – halb in den Wahnsinn getrieben. Der Schutz vor Lärm wäre ein weiteres mögliches Recht, das man gesetzlich verankern könnte.
Gibt es bereits Länder, in denen Tiere Rechtssubjekte sind?
Nein, kein Land anerkennt bis anhin Tiere als Rechtssubjekte. In den USA gab es immerhin einige wenige erstinstanzliche Urteile, in denen Tiere als Kläger anerkannt wurden. Alle Urteile wurden in der Folge aufgehoben.
Das heisst, die Schweiz wäre eine Pionierin?
Ja, es gibt weltweit weder ein Präjudiz noch praktische Erfahrungen. Trotzdem gebe ich tierrechtlich meine Hoffnung für die Schweiz nicht auf, auch wenn es sicher erst lange nach meiner Emeritierung geschehen wird.
Fehler gefunden?Jetzt melden.