Anhörung zum Capitol-SturmMerkte Trump, dass er lügt, als er log?
Donald Trump behauptet bis heute, er habe die Präsidentschaftswahl gewonnen. Der Parlamentsausschuss zum Sturm aufs Kapitol widmet sich ernsthaft der Frage: Wusste er es einfach nicht besser?
Der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 war eine sehr handfeste, sogar gewalttätige Angelegenheit. Der Untersuchungsausschuss des amerikanischen Parlaments, der sich derzeit um die politische Aufarbeitung dieses Ereignisses bemüht, muss sich dagegen zuweilen mit fast philosophischen Problemen befassen. Am Montag, bei der zweiten öffentlichen Anhörung des Gremiums, ging es im Kern um diese Frage: Was ist eine Lüge?
Auf den ersten Blick scheint die Antwort klar zu sein: Eine Lüge ist, wenn jemand etwas behauptet, das nicht stimmt. Nach dieser Logik wäre Donald Trump zweifelsohne ein Lügner. Nachdem er im November 2020 die Präsidentschaftswahl eindeutig verloren hatte, stellte er sich vor das amerikanische Volk und behauptete, er habe sie gewonnen. Bis heute beharrt Trump darauf, der wahre Wahlsieger gewesen und von den Demokraten betrogen worden zu sein.
Die Definition einer Lüge hängt an einem kleinen Adjektiv: wissentlich
In den meistens Definitionen des Begriffs Lüge findet sich allerdings ein einschränkendes Adjektiv: wissentlich. Unwahres zu behaupten, ist demnach nur dann eine Lüge, wenn der Sprecher dies in dem Wissen tut, dass er etwas Falsches sagt. Ansonsten lügt er, wenn man es streng nimmt, nicht, sondern faselt nur dummes Zeug.
Der Untersuchungsausschuss, dem Demokraten und Republikaner angehören, die keinerlei Sympathie oder Verständnis für Trump hegen, versuchte am Montag, den ehemaligen Präsidenten der Lüge zu überführen. Trump habe sehr wohl gewusst, dass er die Wahl verloren habe, lautete der Vorwurf. Trotzdem habe er seine «grosse Lüge» – The Big Lie – vom gestohlenen Sieg erfunden und seine Anhänger dadurch aufgepeitscht, bis sie nach Washington marschiert sind und dort am 6. Januar das Kapitol gestürmt haben.
Die Beweisführung zur Untermauerung dieser These ist dem Ausschuss durchaus gelungen. Das Gremium präsentierte zahlreiche Ausschnitte aus Gesprächen mit Leuten, die im Winter 2020 zu Trumps Vertrauten gehört hatten und die keinen Zweifel daran liessen, dass sie nie an das Gerede vom gestohlenen Sieg geglaubt hätten.
Ihre Sicht der Dinge hätten sie dem damals noch regierenden Präsidenten auch durchaus unzweideutig mitgeteilt. Er habe Trump klipp und klar gesagt, dass die angeblichen Beweise für Wahlbetrug allesamt schlicht «Bullshit» seien, sagte zum Beispiel der frühere Justizminister Bill Barr. Im weiteren Verlauf seiner Aussage benutzte er noch weitere blumige Ausdrücke, um Trumps Aussagen über die Wahl zu charakterisieren: idiotisch, dumm, kompletter Unsinn, irres Zeug.
Ähnlich äusserte sich Barrs damaliger Stellvertreter Richard Donoghue bei der Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss. Auch er habe die Betrugsvorwürfe, mit denen Trump nach der Wahl um sich geworfen habe, in Gesprächen mit dem Präsidenten Punkt für Punkt widerlegt.
Es habe keine Koffer voller präparierter Wahlzettel gegeben, sagte Donoghue, genauso wenig wie geheime Auszählungsräume oder Tausende Verstorbene, die angeblich Stimmzettel abgegeben hätten. «Ich habe Trump gesagt: Sir, wir haben Dutzende von Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die allermeisten Vorwürfe lassen sich nicht belegen. Wir haben in Georgia geschaut, in Pennsylvania, Michigan, Nevada. Wir machen unsere Arbeit. Die meisten Informationen, die ihnen zugeschoben werden, sind falsch.»
Lüge hin oder her: Der Schaden ist angerichtet
Der Ausschuss ging auch der Frage nach, wer Trump mit diesen falschen Informationen über Wahlbetrug gefüttert hatte. Als einen der Hauptverantwortlichen identifizierte das Gremium Rudy Giuliani, den ehemaligen Bürgermeister von New York und persönlichen Anwalt des Präsidenten.
Giuliani sei in der Wahlnacht betrunken im Weissen Haus herumgelaufen und habe Trump geraten, sich noch vor dem Ende der Stimmauszählungen zum Sieger zu erklären. Genau das tat Trump am Abend des 3. November 2020 – und legte damit den Grundstein zu seiner Big Lie.
Insofern kann man es als Tatsache ansehen, dass Trump in den Wochen nach der Wahl, als er vom gestohlenen Sieg redete, hätte wissen können, dass er etwas Unwahres sagt. Ob er es tatsächlich gewusst hat, ob die Fakten zu ihm durchgedrungen und von ihm intellektuell verarbeitet wurden, ist hingegen offen.
Ex-Minister Barr zumindest liess Zweifel erkennen, ob der Präsident damals noch an der Wahrheit interessiert gewesen sei. Immer wenn er eine Betrugsbehauptung widerlegt habe, habe Trump eine andere nachgeplappert, die Giuliani ihm erzählt habe. Am Ende, so Barr, sei er zu dem Schluss gekommen, dass Trump «sich von der Realität gelöst hat und diesen Kram wirklich glaubte».
Philosophen könnten daher folgern, dass die Big Lie gar keine Lüge war, weil Trump ja daran geglaubt habe. Politisch ist das allerdings zweitrangig. Der Schaden, den Trump mit seiner Lüge angerichtet hat, ist irreparabel. Millionen Republikaner sind fest davon überzeugt, dass Trump der Sieg gestohlen wurde, abgesehen von Einzelnen trauen sich die Abgeordneten und Senatoren der Partei nicht, dieser offensichtlichen Unwahrheit klar zu widersprechen. Wozu das führen kann, haben die USA am 6. Januar 2021 erlebt. Nichts garantiert, dass so etwas nicht noch einmal passiert.
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