Cenk testet LebensweisenMemento mori: Wie ich mit Probeabos mein Leben bewusster gestalte
Für die meisten Dinge gibt es heute ein Probeabo. Nur nicht für unsere Lebensweise. Dabei entscheidet sie über ein gutes Leben. Das möchte ich ändern. Und mache eine Versuchsreihe.

Ex·pe·ri·ment
/Experimént/
Substantiv, Neutrum [das]
1. Wissenschaftlicher Versuch
«ein chemisches, psychologisches Experiment»
2. Gewagter Versuch, mit einem Risiko verbundenes Unternehmen
«Ein kühnes, gefährliches Experiment»
Ich liebe Probeabos. Testen Sie jetzt. Probieren Sie hier. 30 Tage kostenlos. Und danach wöchentlich kündbar (sobald die 96 Monate Mindestvertragslaufzeit abgelaufen sind). Oder so ähnlich. Jedenfalls habe ich mir vorgenommen, dasselbe mit Lebensweisen zu machen. Jeden Monat will ich eine neue Lebensweise definieren und austesten. Quasi als Probeabo. Um herauszufinden, welche Lebensweise mir am meisten zusagt – und viel wichtiger noch: mit welcher Lebensweise ich am Ende meines Lebens zufrieden sein könnte.
Denn darauf läuft doch alles hinaus. Das grosse Resümee. Am Ende des Lebens. Im Idealfall will ich dann zurückschauen können und zufrieden sein mit meinen Entscheidungen. Nicht mehr und nicht weniger. Und je bewusster die Entscheidung, desto tiefer das Risiko, das Leben zu bereuen. Und traurig zu sein. Weil ich nichts mehr daran ändern kann. Nie wieder.
Deswegen liebe ich Probeabos. Man trifft weniger falsche Entscheidungen. Und das entspannt mich. Mein Problem ist nur, dass ich dieses Vorgehen nicht unbedingt bei den wichtigsten und grössten Entscheidungen anwende. Sondern bei irrelevanten Dingen. Über die man sich auf dem Sterbebett vermutlich nicht wirklich Gedanken macht. Ich bezweifle, dass ich mir kurz vor dem Jenseits den Kopf darüber zerbrechen werde, ob ich das Abo bei X-Box Live hätte kündigen und auf die Playstation umsteigen sollen. Nein. Vermutlich nicht. Vermutlich werde ich eher darüber nachdenken, ob es sinnvoll war, dass ich einen wesentlichen Teil meiner Lebenszeit damit verschwendet habe, über Bill Gates nachzudenken. Und ob ich nicht glücklicher gewesen wäre ohne diese Gedanken. Stattdessen mit beiden Konsolen. Keine Ahnung.
Vermutlich werde ich daliegen und eine Liste von Dingen durchgehen, die ich bedauere. Zeitverschwendung, zum Beispiel. Das wird bestimmt auf der Liste stehen. Könnte es ein grösseres Bedauern geben? Die einzig wahre Ressource verschwendet zu haben, die es zu nutzen gilt. Oder galt, wohl eher. Statistisch gesehen gehört es in die Top 3 der am häufigsten auf dem Sterbebett bedauerten Dinge. Die Zeit nicht genutzt zu haben. Dicht gefolgt von dem tiefen Bedauern, nicht das eigene Leben gelebt zu haben. Sondern ein Leben nach den Erwartungen anderer. Und das drittgrösste Bedauern betrifft den Stellenwert, den man der Arbeit hat zukommen lassen. Zu viel Lohnarbeit, zu wenig Genuss.
Im März teste ich die Lebensweise des Wohltäters. Anfang April berichte ich über meine Erfahrungen.
Solche allgemeinen Statistiken sind für mein individuelles Leben zwar herzlich irrelevant, aber sie machen schon nachdenklich. Komisches Gefühl, sich seiner Sterblichkeit bewusst zu werden. Einerseits motivierend. Weil mir dadurch der Handlungsbedarf bewusst wird und ich um jeden Preis verhindern will, meine Lebensweise zu bereuen. Aber andererseits auch furchteinflössend. Weil ich das Risiko eines vergeudeten Lebens überhaupt erst realisiere. Aber nicht nur das. Auch die Tatsache, dass ein Grossteil davon, was ich meine Identität nenne, fremdbestimmt ist.
Denn die meisten Dinge, die mich als Individuum ausmachen, sind nicht das Ergebnis meiner Entscheidungen. Sie wurden mir von Geburt an mitgegeben. Eine Art Identitätsrucksack, der mir in die Wiege gelegt wurde. Ein Rucksack, der immer schwerer wird und den ich einfach so hinnehme, ohne den Inhalt zu hinterfragen. Ich bekomme einen Namen zugeteilt, eine Familie, eine Verwandtschaft und Vorfahren. Eine Staatsangehörigkeit, einen Lebensmittelpunkt, eine Gesellschaft und eine soziale Schicht. Auf meine Erziehung, das Schulsystem und den Zeitgeist habe ich genauso wenig Einfluss wie auf die Moral, die Ethik und sonstige Verhaltenskodizes, die mir vorgelebt werden. Selbst die Antwort auf die Gretchenfrage wird mir in den Rucksack gelegt.
All diese Dinge in meinem Rucksack formen meine Persönlichkeit. Meinen Charakter. Meine Glaubenssätze, meine Überzeugungen und meine Prinzipien. Meine komplette Identität, die ich am Ende meines Lebens begutachten werde, basiert auf diesen Dingen.
Ich finde, es ist an der Zeit, einige dieser Dinge zu hinterfragen. Und Alternativen zu testen. Zumindest dort, wo Alternativen möglich sind. Und auch nicht alle Alternativen, die theoretisch möglich wären. Man muss es ja nicht gleich übertreiben. Im März 2023 verfolge ich eine Lebensweise, die aktuell hoch im Kurs ist. Ich teste das Leben als Wohltäter. Als Altruist. Und werde Anfang April über meine Erfahrungen berichten. Bis bald.
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