Mehr Separation an SchulenZürcher Förderklassen-Initiative mit 9200 Unterschriften eingereicht
Die integrative Schule ist unter Druck. Eine Systemanpassung steht im Kanton Zürich nun ernsthaft zur Diskussion. Basel ist bereits mehrere Schritte weiter und diskutiert einen überraschenden Ansatz.
Dieser Text erschien erstmals am 21. Juni 2024 und wurde grundlegend aktualisiert.
Die Gegnerinnen und Gegner des heutigen Schulsystems spüren derzeit Rückenwind. So hat Thierry Burkart in einem Interview mit dieser Redaktion einen bildungspolitischen Marschhalt gefordert. «Die integrative Schule ist gescheitert», sagt der Präsident der FDP Schweiz.
Im Kanton Zürich sammelten seit Januar Bildungspolitikerinnen und -politiker von FDP, GLP und SVP Unterschriften für die kantonale «Volksinitiative für eine Schule mit Zukunft – fördern statt überfordern» (Förderklassen-Initiative). Ihre zentrale Forderung: Die Separation von verhaltensauffälligen und lernschwachen Schülerinnen und Schülern soll wieder einfacher möglich sein als heute.
Mindestens ein Semester separieren
Diese sollen aus den Klassen genommen und für mindestens ein halbes Jahr in heilpädagogisch geführten Förderklassen unterrichtet werden. Den Entscheid für den Wechsel treffen die Schulpflegen, heisst es in der Initiative. Eine Rückkehr der Kinder in die Stammklasse soll angestrebt werden, die Durchlässigkeit gewährleistet sein. Der Systemwechsel soll saldoneutral erfolgen.
Das integrative System soll «um ein wichtiges Puzzlestück ergänzt» werden, sagt GLP-Kantonsrätin Christa Stünzi gemäss Mitteilung. Die SVP schreibt in einem Communiqué, die «Integration um jeden Preis » habe versagt, das Führen von Kleinklassen solle in der Volksschule wieder salonfähig gemacht werden.
Nachdem die Unterschriftensammlung harzig begonnen hatte, sind nun genügend Unterschriften beisammen. Gemäss einer Mitteilung vom Donnerstag wurden über 9200 Unterschriften eingereicht. Das Quorum von 6000 benötigten Unterschriften wurde somit klar übertroffen.
Unterstützung erhalten die Politikerinnen und Politiker von zahlreichen Personen aus dem Schulumfeld und vom kantonalen Gewerbeverband.
«Fast jeder unterschrieb»
Bei der Sammlung auf der Strasse habe «fast jeder, der stehen blieb, unterschrieben», berichtete die Zürcher FDP-Gemeinderätin und Co-Präsidentin des Initiativkomitees Yasmine Bourgeois, die von Beruf Schulleiterin ist. Das sei bei weitem nicht bei jeder Initiative so. Deshalb gibt sie sich zuversichtlich, dass das Vorhaben auch beim Stimmvolk gut ankommen werde.
Sind genügend Unterschriften beglaubigt, geht die Initiative an den Regierungsrat und kommt anschliessend ins Kantonsparlament. Da die drei Parteien, die im Initiativkomitee sind, die Mehrheit haben, könnte das Vorhaben ohne Volksabstimmung durchkommen, wobei wiederum ein Referendum möglich wäre.
Basel: Nur Lernschwache separieren
In Basel sind die Befürwortenden des Förderklassenmodells bereits ein paar Schritte weiter. Eine fast gleich wie in Zürich lautende Volksinitiative aus Lehrpersonenkreisen wurde von der Kantonsregierung zwar abgelehnt. Doch die Regierung schlug in einem Gegenvorschlag gewisse sogenannt «teilseparative» Massnahmen vor.
Diese gingen den Initianten aber zu wenig weit. Kürzlich aber kam es zu einem Drehmoment. Ende Juni hat die zuständige Parlamentskommission ihren Vorschlag publiziert. Und der kommt den Initianten so weit entgegen, dass diese einen Rückzug der Initiative erwägen, wie die «Basler Zeitung» (BaZ) berichtet hat.
Der Vorschlag, der als mehrheitsfähig gilt, sieht die Separation von Schülerinnen und Schülern «mit allgemeiner Lernschwäche oder einer ausgeprägten Lernstörung» vor. Sie sollen in heilpädagogischen Förderklassen unterrichtet werden.
«Lokomotive für vernünftige Politiker»
Anders als ursprünglich angedacht würden gemäss neuem Vorschlag die verhaltensauffälligen Jugendlichen nicht separiert. Hingegen sollen die Lehrpersonen im Schulzimmer besser unterstützt werden, um diesen Umstand aufzufangen. Vorgesehen ist vor allem der Einsatz von Sozialarbeiterinnen.
Auch mit Blick auf das Zürcher Vorhaben frohlockte Roland Stark, ein langjähriger Kleinklassenlehrer und früherer Präsident der SP Basel, in der BaZ: «Wir sind die Lokomotive für vernünftige Politiker in allen Kantonen. Praxisorientierte Integration statt weltfremder Ideologie.» Der Clou: Offiziell würde an der integrativen Schule festgehalten.
Steiner will Schulinseln verankern
Im Kanton Zürich hatte Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) auf die kritischen Berichte aus der Schullandschaft reagiert. Sie will das bereits praktizierte Schulinselmodell im Gesetz verankern. Steiner nannte den Platz fürs kurzfristige Mini-Time-out für auffällige Schülerinnen und Schüler «erweiterter Lernraum».
Auch wenn Steiner anerkennt, dass gewisse Jugendliche eine Belastung für die Lehrpersonen und den Klassenverband sein können, will sie am Prinzip, möglichst alle Kinder in der Regelklasse zu unterrichten, nicht rütteln. Auch mehr Sonderschulung ist für die Bildungsdirektorin kein Thema. Diese Haltung entspricht weitgehend jener des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands.
Fünf Verbände sagen Nein
Dieser und vier weitere Schul- und Elternverbände lehnen die Förderklassen-Initiative ab, wie sie mitgeteilt haben. Sie löse keines der bestehenden Probleme, sondern schaffe neue und gefährde die Chancengleichheit. Die Kinder und Jugendlichen in den Förderklassen würden ausgegrenzt und stigmatisiert.
Vielmehr sollen mit mehr Ressourcen die integrativen Massnahmen gestärkt werden, fordern die fünf Verbände.
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