Max Küng sitzt im FlugzeugEine grossartige Idee!
Doch aus heutiger Sicht ist sie komplett behämmert.
Robert E. Timm war ein ehemaliger Militärpilot und in den Fünfzigerjahren als Glücksautomatenmechaniker in einem Hotel-Casino namens Hacienda in Las Vegas beschäftigt. Und er hatte eine grandiose Idee, wie man das Hacienda etwas bekannter machen könnte. Man würde den Namen des Hotel-Casinos auf ein Flugzeug pinseln und dann so lange damit fliegen, wie noch nie jemand zuvor geflogen war, und zwar ohne Zwischenlandung, nonstop. Sein Chef war begeistert.
Also kletterten Timm und sein Kumpel John Cook am 4. Dezember des Jahres 1958 kurz vor vier Uhr nachmittags in eine leicht modifizierte Cessna 172. Der einmotorige Schulterdecker hob ab, und sie flogen davon. Sie flogen tags, sie flogen nachts, wechselten sich am Steuerknüppel und mit dem Schlafen ab. Die Platzverhältnisse waren beengt, die Cessna ist ein Kleinflugzeug, aber zwei der vier Sitze hatten sie zugunsten einer Matratze rausgeschmissen.
Wie sie ihre Notdurft verrichteten, ist nicht überliefert. Ebenso wenig, wie sehr sie sich mit der Zeit gegenseitig auf die Nerven gingen. Aber täglich musste aufgetankt werden. Der Sprit wurde aus einem fahrenden Truck in das so langsam wie möglich fliegende Flugzeug hochgepumpt. Dann flogen sie weiter, kreuz und quer über die wüste Wüste, hin und her, und manchmal auch über die schillernde Stadt Las Vegas. 64 Tage, 22 Stunden, 19 Minuten und 5 Sekunden nach dem Start landeten sie wieder, da der Motor den Geist aufzugeben drohte.
Fast 65 Tage in einem fliegenden Kleinflugzeug zu verbringen, bot sicherlich auch die eine oder andere Gelegenheit, über Sinn und Zweck der Sache nachzudenken. Aber dies haben grossartige Ideen dann und wann an sich: dass sie sich früher oder später als ziemlich blöd herausstellen können.
Ich hatte auch mal so eine Idee, zu einer Zeit, als das Wort Flugscham noch nicht gezeugt worden war. Dass die Idee vielleicht doch nicht so grossartig war, bemerkte ich auf dem Flughafen von Melbourne, als ich auf den Flug nach Los Angeles wartete und mir langweilig war wie noch nie zuvor im Leben.
Vielleicht aber auch erst auf dem Flug selbst, bei dem man vierzehn Stunden nichts sah als Himmel und Meer und noch mehr Meer, der Stille Ozean einem ein Gefühl dafür vermittelte, dass die Welt doch kein Dorf ist, sondern recht gross und öde.
Die aus heutiger Sicht komplett behämmerte Idee: eine Reportage über das Phänomen Jetlag zu schreiben – und dafür in acht Tagen einmal um die Welt zu fliegen, immer schön gen Osten, via Bangkok und Australien, damit die innere Uhr komplett durchdrehte und der Jetlag so richtig reinknallte. Was dann auch der Fall war. Seither habe ich den europäischen Kontinent kaum je wieder verlassen.
Dabei haben Langstreckenflüge durchaus ihren Reiz: die «Interkontinentalbevormundung» oder «Erdenflucht». Für ein paar Stunden kann man sich jeglicher Verantwortung entziehen, man vertraut auf die Gesetze der Physik und auf die Technik sowie das Können von Pilotinnen und Piloten. Man hockt in seinem Sitz und kann, muss, darf nichts anderes tun, als die Zeit totzuschlagen – egal auf welche Weise, an einem Gin Tonic im Plastikbecher nippend, während 30’000 Fuss unter einem die wuselige Welt sich langsam um die eigene Achse dreht. Die Welt, mit der man für ein paar Stunden nichts zu tun hat.
Der Dauerflugweltrekord von Timm und Cook hat noch immer Bestand. Die Cessna mit dem Hacienda-Schriftzug kann man im Flughafen von Las Vegas in Terminal 1 bestaunen – ein Denkmal für grandios behämmerte Ideen vergangener Zeiten.
Max Küng ist Reporter bei «Das Magazin».
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