Untersuchung läuftHat ein Schweizer Jetsetter den Fiskus um über 100 Millionen gebracht?
Die Berner Steuerverwaltung prüft, ob der 2019 verstorbene Maurice Amon seinen Hauptwohnsitz nur zum Schein ins Ausland verlegt hat.
Er führte ein Leben in Saus und Braus: Maurice Amon, Unternehmenserbe mit vielen hundert Millionen Vermögen, Jetsetter und VIP auf Glamour-Veranstaltungen – auf der ganzen Welt zu Hause. Ständig pendelte er zwischen seinen verschiedenen Liegenschaften in Gstaad, Paris, Monaco und New York, eine pompöser als die andere. In der holzverkleideten Autogarage unter dem Gstaader Anwesen hingen Bilder von Andy Warhol.
2019 fand das Leben von Maurice Amon, damals 68-jährig, nach einem Herzinfarkt ein abruptes Ende. Da tobte ein wüster, auch medial ausgetragener Rosenkrieg mit seiner dritten Ehefrau schon seit vier Jahren. Nach Amons Tod wurde daraus ein nicht minder hart geführter Kampf um güter- und erbrechtliche Ansprüche. Dieser Streit beschäftigt seit Jahren Gerichte von New York über Monaco bis zur Schweiz. Doch nun schalten sich auch die Berner Steuerbehörden ein, und damit wird der Fall auch für die Allgemeinheit von Bedeutung.
Denn es geht um die Frage, ob der schwerreiche Jetsetter Amon den Schweizer Fiskus um Dutzende Millionen Franken gebracht hat. Dies mit einem Manöver, das schon andere Superreiche angewendet haben: der fiktiven Verlegung des Lebensmittelpunkts in ein anderes Land.
Anfang des Jahres machte die SonntagsZeitung bekannt, dass der ehemalige Novartis-Chef Daniel Vasella sich steuerlich in der Schweiz abmeldete und behauptete, vorwiegend im Steuerparadies Monaco zu leben. In Wahrheit behielt er seinen Lebensmittelpunkt in Risch am Zugersee. Im rechtskräftigen Urteil des Zuger Verwaltungsgerichts steht, Vasella habe versucht, einen «äusserst hohen» Steuerbetrag einzusparen.
Gstaad, Hongkong, Monaco
Nach einer Anzeige gegen Maurice Amon führt die Berner Steuerverwaltung jetzt eine Untersuchung durch, der ein ähnlicher Anfangsverdacht zugrunde liegt. Maurice Amon hatte seinen offiziellen Wohnsitz bis 2007 in Gstaad im Berner Oberland. Dann meldete er sich dort ab und gab an, sich in Hongkong niederlassen zu wollen. 2011 erklärte er, fortan in Monaco zu wohnen. Das kleine Fürstentum erhebt weder Einkommens- noch Vermögenssteuer, was es für Superreiche besonders attraktiv macht.
Doch es gibt Zweifel daran, dass Maurice Amon seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt wie behauptet verschoben hat. In Hongkong besass er lediglich einen Ausweis, der die erleichterte Ein- und Ausreise mit einem Visum ermöglicht. Eine Aufenthaltsbewilligung hingegen hat er nie beantragt. Amon war von Mitte 2007 bis Ende 2008 Dauermieter einer Suite im Luxushotel Four Seasons Place – und liess sich das rund 2000 Franken pro Tag kosten.
Trotz des stolzen Preises: Genutzt haben soll Amon das Hongkonger Penthouse nur in einzelnen Nächten. Und eine eigene Bleibe soll er sich in Hongkong nicht eingerichtet haben. Das zumindest behauptet Tracey Hejailan Amon, die dritte Ehefrau von Maurice Amon. Sie war von 2008 bis 2015 mit ihm verheiratet. Dann reichte der Schweizer Jetsetter die Scheidung ein. Das Scheidungsverfahren war zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht abgeschlossen, weshalb Tracey Hejailan Amon als seine Witwe finanzielle Ansprüche aus Ehe- und Erbrecht geltend macht.
Darüber entscheiden müssen die Gerichte am Wohnsitz des Verstorbenen. Tracey Amon hat im Erbstreit bessere Karten, wenn das Verfahren nach Schweizer Recht geführt wird. Sollte sie hier obsiegen, stünde ihr ein dreistelliger Millionenbetrag zu – Geld, das ihr entgeht, wenn die Auseinandersetzung in Monaco abgewickelt wird. So hat die 55-jährige Tracey Amon also ein grosses Interesse daran, dass eine Behörde festhält, ihr verstorbener Mann sei zum Zeitpunkt der Trennung in der Schweiz wohnhaft gewesen.
Deshalb hat sie bei der Berner Steuerverwaltung eine straflose Selbstanzeige eingereicht, die sich auch auf Maurice Amon bezieht. Sie ist der Anlass des im Dezember 2022 eröffneten Verfahrens der Steuerbehörden. Auf 46 Seiten trägt der Anwalt von Tracey Amon detaillierte Indizien zusammen, die aufzeigen sollen, dass sich der Lebensmittelpunkt seiner Klientin und ihres verstorbenen Mannes fortwährend im Berner Oberland befand. Denn sein fünfstöckiges, 2500 Quadratmeter grosses Chalet im Wert von über 100 Millionen Franken gab Amon die ganze Zeit nie auf. Durch den vorgetäuschten Umzug ins Ausland habe Maurice Amon «Gemeinde-, Staats- und Bundessteuern von insgesamt über hundert Millionen Schweizer Franken hinterzogen».
Bis 2015 keine eigene Bleibe in Monaco
Nach dem vierjährigen Hongkong-Intermezzo verlegte Maurice Amon 2011 seinen offiziellen Wohnsitz nach Monaco. Dort kaufte er im Hochhaus «Le Mirabeau» gleich fünf Wohnungen in der Absicht, diese zu einer einzigen grossen Wohnung umzubauen. Dieser Umbau zog sich aber Jahre hin und war erst 2015 fertig, wie Unterlagen belegen. Bis dann hatte er gemäss seiner Gattin in Monaco keine bewohnbare eigene Unterkunft.
Das veranlasste den Multimillionär 2014 zu einem Manöver à la Hongkong. In diesem Jahr stand die Verlängerung der monegassischen Aufenthaltsbewilligung an. Maurice Amon wurde erneut Dauermieter in einem Hotel, wie eine Rechnung beweist. Dieses Mal wählte er jedoch keine Suite in einem Luxushotel, sondern ein normales Zimmer im Dreisternhaus Columbus. 126 Nächte à 175 Euro, allesamt im Voraus bezahlt.
Übernachtet hat Maurice Amon jedoch laut seiner Witwe nicht im Columbus. Er habe sich «weder vor noch nach dieser Zeit je mit einem Zimmer in dieser Preisklasse zufriedengegeben», ist in der Selbstanzeige zu lesen. Für die wenigen Tage, die Maurice Amon zwischen März und Juli 2014 tatsächlich in Monaco verbrachte, habe er sich eine Suite im luxuriösen Hotel de Paris gemietet – und zwar nicht unter seinem eigenen Namen, sondern unter dem seines Butlers.
Viele Angestellte in Gstaad – und mondäne Feste
Die Amons luden im Berner Oberland auch regelmässig zu rauschenden Festen ein. In der Jetset-Szene hatten die Anlässe im Chalet Mata (benannt nach den Initialen von Maurice Amon und Tracey Amon) einen legendären Ruf. «Die wichtigsten Einladungen und mondänen Feste der Familie Amon mit zum Teil Hunderten von Gästen haben in der hier interessierenden Zeit praktisch ausschliesslich in Gstaad stattgefunden. So wurden praktisch sämtliche Feiertage und die Geburtstage von Maurice und Tracey Amon in Gstaad gefeiert», steht in der Selbstanzeige.
«Fast ausschliesslich» in Gstaad seien auch die Personen angestellt gewesen, «die für die privaten Belange» wie «Wohlbefinden und Sicherheit» der Familie Amon zuständig waren. In den Arbeitsverträgen von Amons persönlichem Butler und vom Chefkoch der Familie beispielsweise ist das Chalet Mata explizit als primärer Arbeitsort festgelegt. Gemäss einer Zusammenstellung umfasste Amons Bediensteten-Korps in Gstaad 2014 mindestens elf Personen.
Es gibt weitere Indizien für einen Lebensmittelpunkt in Gstaad. Rechnungen und Zollformulare von Schmuckkäufen in Pariser Boutiquen von 2011 und 2012 zum Beispiel, auf denen die Gstaader Adresse als Wohnsitz eingetragen ist. Und auf einem Formular, das Amon 2010 für den Kauf einer Wohnung in New York unterzeichnet hat, ist unter «Principal Place of Residence» ebenfalls das Gstaader Chalet Mata eingetragen.
Unter dem Strich weist Tracey Amon in der Selbstanzeige aus, in den Jahren 2011 bis 2014 lediglich 40 Tage in Monaco, hingegen je rund 300 Tage in der Schweiz, in den USA und in England verbracht zu haben.
Keine Schwarz-Weiss-Angelegenheit
Gleichzeitig räumt ihr Anwalt in der Selbstanzeige ein, dass die Bestimmung des tatsächlichen Lebensmittelpunkts keine Schwarz-Weiss-Angelegenheit sei. Insbesondere nicht bei einem Jetset-Lebensstil, wie ihn die Amons geführt haben. In so einem Fall müsse der Lebensmittelpunkt «durch einen Vergleich der Intensität der Beziehung zu diesen Orten» ermittelt werden.
Diese Abwägung obliegt nun der Berner Steuerverwaltung. Kommt sie zum selben Schluss wie Tracey Amon, dann winken auch dem Fiskus auf einen Schlag Mehreinnahmen von vielen Millionen. Der Sohn des verstorbenen Maurice Amon, Albert Amon, hingegen müsste in diesem Fall auf einen Teil des ansonsten ihm zustehenden Erbes verzichten.
Wie schon das Verfahren von Daniel Vasella zeigte, müssen die Behörden hier aufgrund von zahlreichen einzelnen Indizien urteilen. Zu den Argumenten von Tracey Amon wird es also entsprechende Gegenargumente geben. Konfrontiert mit den Darstellungen der Witwe will sich der Berner Anwalt des Nachlasses von Maurice Amon mit Verweis auf das laufende Verfahren allerdings nicht zu einzelnen Punkten äussern. Der Willensvollstrecker kooperiere mit den Steuerbehörden «bezüglich sich stellender steuerrechtlicher Fragen», erklärt er auf Anfrage.
Der Berner Anwalt weist zudem auf die Interessenskonflikte von Tracey Amon hin: «Die Sachdarstellungen und Anschuldigungen von Frau Tracey Hejailan Amon werden in aller Form zurückgewiesen. Frau Tracey Hejailan Amon versucht seit langem, mit zahlreichen Anzeigen gegen ihren inzwischen verstorbenen Ehemann vorzugehen, und bestreitet seit acht Jahren in zahlreichen Verwaltungs-, Zivil- und Strafverfahren in der Schweiz und im Ausland den Wohnsitz von Herrn M. Amon sel. Und dies aus eigenen finanziellen Interessen. Keine der urteilenden Instanzen hat ihr bisher recht gegeben. Frau Tracey Hejailan Amon versucht nun, mittels einer weiteren Anzeige die Steuerbehörden des Kantons Bern zu instrumentalisieren und dadurch die erwähnten Verfahren in ihrem Sinne zu beeinflussen.»
Stromverbrauch in Gstaad drei- bis sechsmal höher
Derweil bleibt Witwe Tracey Amon umtriebig, um an die von ihr geltend gemachten Gelder zu kommen. Vor kurzem reichte sie neue Beweisstücke ein, die zeigen sollen, dass der Lebensmittelpunkt von Maurice Amon auch lange nach ihrer Trennung 2015 noch immer in der Schweiz war: Stromrechnungen für die Liegenschaften in Gstaad und Monaco aus den Jahren 2018 und 2019. Je nach Quartal wurden im Chalet Mata pro Monat durchschnittlich zwischen 12’000 und 25’000 Kilowattstunden Strom verbraucht. Zum Vergleich: In der Wohnung in Monaco waren es in den Monaten Mai und Juni 2019 durchschnittlich lediglich knapp 4000 Kilowattstunden, also drei- bis sechsmal weniger.
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