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Einen Tag vor Nawalny-Prozess
Manch einer sieht Russland auf dem Weg in eine neue Diktatur

Tradition für Hartgesottene: Wladimir Putin zeigt sich zum Epiphanias-Fest oben ohne beim Eisbaden.
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Die Gegner von Kremlchef Wladimir Putin heilen nach den neuen beispiellosen Protesten mit vielen Verletzten und Tausenden Festnahmen ihre Wunden. Da bereitet sich Russlands Machtapparat auf seinen bisher grössten Schlag gegen Putins Gegner Nummer eins vor: Dem Oppositionellen Alexei Nawalny drohen bei einem Gerichtsprozess an diesem Dienstag viele Jahre Haft. Und kaum jemand zweifelt daran, dass die längst als Machtinstrument des Kreml verschriene Justiz den 44-Jährigen für Jahre hinter Gitter bringt. Schon im Vorfeld hatten Russlands Staatsmedien Nawalny als «Verbrecher» abgestempelt.

Und die Generalstaatsanwaltschaft macht am Montag in Moskau glasklar, dass Nawalnys Bewährung in einem früheren Strafverfahren in echte Haft umgewandelt werden solle. Der Politiker hatte sich gerade in Deutschland von einem Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholt, als er gegen Meldeauflagen verstossen haben soll. Der Strafvollzug hatte ihn deshalb zur Fahndung ausgeschrieben und am 17. Januar in Moskau nach seiner Rückkehr festnehmen lassen. Dem Kremlgegner drohen dort gleich mehrere Strafprozesse. (Lesen Sie dazu auch: Nawalny schwebt mehr denn je in grosser Gefahr.)

Als «Agent des Westens» und «Verräter» diffamiert

Dagegen prallen Nawalnys Forderungen, endlich wegen des Giftanschlags im August in Russland zu ermitteln, weiter an den Kremlmauern ab. Der für seine Enthüllungen zur Korruption im Machtapparat bekannte Politiker macht ein «Killerkommando» des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Befehl Putins für das Attentat verantwortlich. Mehrere westliche Labors, darunter eins der Bundeswehr, bestätigten die Vergiftung. Doch Putin und der FSB weisen die Vorwürfe zurück – ein deutliches Signal für russische Ermittler, sich da rauszuhalten.

Verbreitet wird vielmehr auf allen Kanälen der vom Kreml gesteuerten Medien, dass Nawalny mit dem US-Geheimdienst CIA zusammenarbeite – womöglich selbst die Vergiftung inszeniert habe. Der Oppositionelle sieht sich als «Agent des Westens» und als «Verräter» an den Pranger gestellt, der nur ein Ziel verfolge: Russlands Destabilisierung. Als nichts anderes tut auch die Staatspropaganda Nawalnys neues Enthüllungsvideo mit dem Titel «Ein Palast für Putin» ab, den «grössten Schmiergeldskandal in der russischen Geschichte».

Machtapparat vertritt Interessen einer eingeschworenen Zunft

Mehr als 100 Millionen Mal wurde das fast zweistündige Video über das milliardenteure «Zarenreich» am Schwarzen Meer bei Youtube schon aufgerufen. Es dauerte aber Tage, bis sich der Präsident von dem Palast distanzierte; fast zwei Wochen vergingen, bis sich Putins superreicher Kindheitsfreund Arkadi Rotenberg zu dem Paradies an der Küste bekannte. Der Oligarch meinte, es sei auch kein Palast, sondern ein Apart-Hotel mit 16 Zimmern.

Dabei blenden die Staatsmedien etwa Fragen dazu aus, warum das Anwesen auf einem Gelände fast 40 Mal so gross wie Monaco unter anderem einen Bunker mit 16 Etagen, eine Kirche und eine Eisarena habe. Die Bevölkerung werde vom Kreml und den Staatsmedien einfach für dumm verkauft, sagt der Politologe Dmitri Oreschkin. Zugleich bescheinigt er Nawalny, dass er mit seinen Recherchen und seinen erfolgreichen Protestaufrufen die Haltung der Menschen in Russland gegenüber dem Machtapparat verändert habe.

«Die Menschen verstehen, dass der Machtapparat ihre Interessen nicht vertritt, sondern eine eingeschworene Zunft bildet, die sich nur um ihre Angelegenheiten kümmert», sagt Oreschkin. Die aktuellen Proteste seien getrieben von einem tiefen Gefühl der Ungerechtigkeit und der fehlenden Aussicht auf einen Machtwechsel in Russland. «Das ist nicht die Mehrheit der Bevölkerung, sondern eine aktive Minderheit.» Der Experte sagt auch gern, dass Putins Apparat nicht von der Macht lassen werde, bis nicht auch der letzte Tropfen Öl aus Russland herausgepresst sei.

«Freiwillig liebt diesen Machtapparat niemand»

Die Ressourcen der unter Putin seit langem wieder vor Selbstbewusstsein strotzenden Atommacht gelten als riesig – Nawalny vor diesem Hintergrund als winzig. Es gebe viele, darunter vor allem die kremltreuen Propagandisten, die für ihre Loyalität viel Geld bekämen, sagt der Politologe Abbas Galljamow. «Freiwillig liebt diesen Machtapparat ja niemand.»

Menschenrechtler indes beklagen immer stärkere Repressionen gegen Andersdenkende, die auch durch neue Gesetze des vom Kreml kontrollierten Parlaments möglich würden. Manch einer sieht Russland deshalb sogar auf dem Weg in eine neue Diktatur wie im Kommunismus, als Putin im gefürchteten sowjetischen Geheimdienst KGB Karriere machte. Nawalny hätte diesem System bei der Parlamentswahl im Herbst gern einen Schlag versetzt. Doch daraus dürfte nichts werden.

Proteste gegen Nawalnys Inhaftierung: Die Polizei verhaftet in Moskau einen Mann, der die Freilassung des Kremlkritikers forderte. (23. Januar 2021)

Inzwischen sieht sich jeder, der nicht für Putin ist, als Staatsfeind verunglimpft, wie es etwa in der Denkfabrik Moskauer Carnegie-Zentrum heisst. Forderungen nach einem Leben ohne Korruption mit fairem politischem Wettbewerb, mit Meinungsvielfalt und mit unabhängigen Medien würden als Bedrohung gesehen. Zugleich sieht die Opposition ihren Anführer Nawalny nach seiner Rückkehr und dem praktisch freiwilligen Gang ins Gefängnis nun als «wahren Helden».

Der Apparat müsse sich mit dem «politischen Gefangenen Nummer eins» aber nicht nur aus innenpolitischen Gründen befassen, sagt der Carnegie-Autor Stanislaw Belkowski. «Der Kreml muss sich mit dem Oppositionsführer nun als bedeutenden Faktor der internationalen Politik auseinandersetzen.» Erste EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Mordanschlags gibt es schon. Nawalnys Team hofft jetzt auf weitere Strafmassnahmen der USA und der EU und hat dazu bereits eine Liste vorgelegt – mit Funktionären und Oligarchen aus Putins Umfeld.

Gericht verurteilt prominenten Oppositionellen zu Arrest

Derweil hat die russische Justiz den prominenten Moskauer Oppositionspolitiker Ilja Jaschin aus dem Verkehr gezogen. Der Politiker wurde am Montag zu zehn Tagen Arrest verurteilt, weil er am Sonntag einer Anweisung der Polizei bei nicht genehmigten Protesten gegen Putin und Nawalnys Inhaftierung nicht nachgekommen sei. Das teilte sein Anwalt mit.

Jaschin unterstützt den inhaftierten Nawalny, dem in einem umstrittenen Gerichtsverfahren an diesem Dienstag in Moskau eine langjährige Haftstrafe droht.

Vor ein paar Tagen sprach er in Moskau mit Journalisten: Ilja Jaschin. (29. Januar 2021)

Das Team von Nawalny rief zu Protesten am Gerichtsgebäude auf, um Nawalny zu unterstützen. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch wurde am Montag nach einer mehrtägigen Haft in einem weiteren Verfahren zu Hausarrest bis zum 23. März verurteilt. In dieser Zeit ist etwa die Kommunikation mit der Aussenwelt über das Internet verboten. Jarmysch wurde wie viele Mitarbeiter Nawalnys wegen angeblicher Missachtung von Hygieneregeln in der Corona-Pandemie verurteilt. Die Verfahren gelten als politisch motiviert, um die Gegner Putins mundtot zu machen.

Mit neuem Gesetz Protestaufrufe im Internet verhindern

Doch auch das Internet ist der russischen Regierung ein Dorn im Auge: Deshalb geht Moskau weiter gegen Aufrufe im Internet zu nicht genehmigten Protesten vor. Am Montag trat ein Gesetz in Kraft, das Betreiber sozialer Netzwerke verpflichtet, zum Beispiel Informationen über solche Demonstrationen zu suchen und diese zu blockieren. Das geht aus dem Gesetzestext hervor. Demnach sollen auch Inhalte über Terrorismus und Staatsgeheimnisse nicht mehr aufgerufen werden können. Blockiert werden müssten zudem Anleitungen zum Herstellen von Drogen, kinderpornografisches Material, Aufrufe zum Suizid und Äusserungen, die die russische Verfassung missachten.

Die russischen Behörden waren zuletzt schon gegen soziale Netzwerke vorgegangen, weil dort Aufrufe zu Protesten für Nawalny verbreitet worden waren. In diesem Zusammenhang sind bereits Geldstrafen etwa gegen Facebook, Twitter und Youtube verhängt worden. Dem Vernehmen nach wurden aber keine Inhalte gelöscht – anders, als von den Behörden in Moskau behauptet.

Putin jammert über Einfluss der Internetriesen

Aufforderungen von Regierungen, Inhalte zu entfernen, werde zuweilen nicht stattgegeben, wenn durch diese Informationen nicht die Regeln von Facebook verletzt würden, sagte ein Sprecher des Unternehmens. In Russland habe sich Facebook für die Redefreiheit zu den Protesten der vergangenen Woche entschieden.

Auch Menschenrechtler betonen immer wieder das Recht auf Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken. Putin, der das neue Gesetz unterzeichnet hatte, beklagte vorige Woche in einem Online-Auftritt auf dem Weltwirtschaftsforum Davos den starken Einfluss der Internetriesen auf das Leben der Menschen. Das sei eine Konkurrenz für den Staat, meinte er. In Russland sind bereits Hunderte Internetseiten gesperrt, darunter auch solche von Regierungsgegnern.

sda/afp