Kolumne von Markus FreitagMag ich Städter?
Unser Kolumnist sinniert über die Werte und Lebensgewohnheiten der Land- und der Stadtbevölkerung.
Den ersten Teil meines Lebens verbrachte ich auf dem Land. Ich wohnte in einem Nest mit nicht einmal 100 Einwohnerinnen und Einwohnern. Dort, wo man sich «Grüezi» sagt, ohne zu wandern. Also wirklich Land. Aber seit beinahe 30 Jahren verbringe ich meine Zeit in urbanen Zentren. Ich treibe mich in Städten mit bis zu vier Millionen Menschen herum. Dort, wo man flüchtig mit dem Kopf nickt, wenn man sich kennt. Also wirklich Stadt.
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Wenn Sie so wollen, bin ich der personifizierte Stadt-Land-Konflikt (Agglomerationen kenne ich nur vom Durch- oder Vorbeifahren). Ich verstehe die Mentalitäten beider Seiten, weiss um ihre Stärken und Schwächen, vermag ihre Unterschiede einzuschätzen. Städterinnen und Städter sind beispielsweise öfter in der Luft unterwegs, während Menschen auf dem Land mehr Autos und TVs besitzen. Oder man denke an das Verhältnis zwischen Mensch und Natur: Während das Land mit dem Allrad Wölfen nachjagt, ist das Auto der Wolf der Stadt.
Laut einer Studie des Instituts Sotomo nehmen zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizer einen grossen Graben zwischen Stadt und Land wahr. Allerdings sind die Gewichte zwischen beiden Lagern ungleich verteilt. Die urbanen Zentren werden in den Augen vieler als tonangebend wahrgenommen. Sie geben im Schweizer Alltag den Takt vor und bestimmen, was in Wirtschaft, Kultur und Medien angesagt ist. Dennoch haben sie am Abstimmungssonntag regelmässig das Nachsehen und beklagen eine Untervertretung im Bundesrat. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen. Deshalb einmal direkt gefragt: Wie ist das bei Ihnen? Mögen Sie eigentlich Städterinnen und Städter?
Meist findet sich der Ursprung für das Unbehagen gegenüber einem bestimmten Personenkreis im Gefühl der eigenen sozialen Identität. Diese wiederum wurzelt in der emotionalen Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Die Erfahrung der dort geteilten Lebenswelten und gemeinsamen Wertvorstellungen erfüllt uns mit Stolz und erleichtert die Abgrenzung von konkurrierenden Fraktionen. Zusätzlich stählen abschätzende Vergleiche mit den Rivalinnen und Rivalen die Identifikation mit unseresgleichen. Nicht selten festigen deshalb Schmähungen oder Vorurteile gegenüber den Widersachern unser Selbstwertgefühl als Gruppenmitglied zusätzlich.
Eigene Erhebungen zum sozialen Miteinander zwischen Stadt, Land und Agglomeration legen eindrücklich dar, dass die soziale Identität unter den Landbewohnerinnen und Landbewohnern hierzulande am deutlichsten ausgeprägt ist. Wer auf dem Land lebt, fühlt sich stark mit seinesgleichen verbunden und denkt mehr als die Menschen aus der Stadt und der Agglomeration, dass er viel mit seinen Weggefährten gemeinsam hat und wesentliche Ansichten teilt. Und je stärker die ländliche Identität keimt, desto eher schlagen dort Gefühle der politischen, kulturellen und ökonomischen Benachteiligung gegenüber den Städterinnen und Städtern aus. Rund 40 Prozent der Menschen auf dem Land sind beispielsweise der Meinung, dass ihr Lebensstil von den Bewohnerinnen und Bewohnern urbaner Räume belächelt wird.
Kein Wunder kommen da Städterinnen und Städter nicht besonders sympathisch rüber und werden vom Gros der ländlichen Schweiz als arrogant und egoistisch taxiert. Wer aber glaubt, das Landvolk stünde mit dieser Meinung allein da, der irrt gewaltig. Die Menschen in der Agglomeration sehen das ähnlich, und selbst die Mehrheit der Stadtbevölkerung hält die eigenen Leute für blasiert und selbstverliebt. Asche auf ihr Haupt. Man muss sie einfach mögen, diese Städter!
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