Leder von illegalen FarmenLuxusauto-Boom ist mitverantwortlich für Regenwald-Zerstörung
Viehzüchter in Südamerika beliefern die Autoindustrie mit feinem, doch illegalem Rindsleder, weil sie für die Tiere geschützte Tropenwälder roden.
Ohne Brasilien geht nichts im Automarkt. Kein Land liefert mehr Rinderhäute für Ledersitze in Luxusautos, die von den Kunden zunehmend verlangt werden. Und den Herstellern satte Profite ermöglichen. Profitabel ist das Geschäft aber auch für die Rinderzüchter. Sie erzielen mit den Tierhäuten neben der Fleischproduktion ein umso grösseres Einkommen, je mehr sie Herkunftskontrollen und internationale Abmachungen umgehen.
Den Autokäufern wird zwar versichert, das Leder komme aus legalen Farmen, doch Nachforschungen von Umweltverbänden und Journalisten stellen solche Aussagen infrage. Ein Beispiel: Im Umweltschutzgebiet Jaci-Paraná im brasilianischen Amazonas haben 600 Bauern auf illegale Weise 56 Prozent der Wälder abgeholzt und die Lebensgrundlage der indigenen Völker vernichtet. Sie haben damit Weiden für rund 120’000 Rinder geschaffen.
Dabei spielen die drei grössten industriellen Fleischverarbeiter in den USA eine Schlüsselrolle: JBS, Marfrig und Minerva kaufen die Rinder und verarbeiten sie vor Ort. Die Häute werden nur roh verarbeitet und zur Feinverarbeitung in die USA, nach Europa und Asien exportiert.
«Cattle Washing» verwischt Spuren
Zwar werden die Schlachttiere mit einer Herkunftsbezeichnung versehen, die eine legale Aufzucht garantieren soll. Doch die Lieferkette vom Zuchtbetrieb zum Schlachthof ist voll von Schlupflöchern, die von skrupellosen Bauern ausgenutzt werden.
Bevor die Tiere geschlachtet werden, verschieben sie die Rinder auf einen legalen Hof und verschleiern die illegale Aufzucht. Diese Praxis des «Cattle Washing» kann mit der Spurenverwischung durch Geldwäscher verglichen werden, weshalb es den Behörden oft schwerfällt, das Leder aus illegalen Farmen ausfindig zu machen.
Die Sitze eines einzigen Luxusautos brauchen rund ein Dutzend Rinderhäute. Die Nachfrage der Kunden steigt und macht Leder profitabler als das Fleisch selber, wie Berichte der «New York Times» sowie der Umweltorganisationen Earthsight, Imazon und Rainforest Foundation Norway aus Brasilien zeigen.
Kein Land produziert mehr Rindfleisch für die Welt; und kein Land kann die steigende Nachfrage nach Leder besser befriedigen als Brasilien. Das Land züchtet Tiere, die für rund 20 Prozent des weltweit verarbeiteten Leders verantwortlich sind. Der US-Konzern Lear, der grösste Abnehmer für die Autoindustrie, bezieht sogar fast 70 Prozent seiner Häute aus Brasilien.
Rinderhäute sind robust und werden überwiegend für die Sitze in SUVs und Trucks verarbeitet. «Für die Käufer riecht Leder nach Luxus, und Leder treibt den Wiederverkaufspreis eines Autos nach oben», sagt Drew Winter, Analyst von Ward Intelligence, einer auf den Automarkt spezialisierten Marktforschungsfirma.
Für Lear sind die Ledersitze für SUVs und Trucks von General Motors gemäss Unternehmenschef Raymond Scott das profitabelste Geschäftssegment geworden. Dieser Trend werde sich dank des Booms von luxuriösen Elektroautos weiter verstärken.
«Leder ist die Lösung, nicht das Problem»
Die Euphorie auf der Business-Seite steht im krassen Gegensatz zur lauten Kritik daran: 40 Prozent des Autoleders kommt aus Brasilien und zu einem kleineren Teil aus Paraguay, Mexiko und Argentinien. Die Rinderzucht ist dort der Hauptgrund für die Abholzung von Waldflächen. Nach einem Bericht von Amnesty International sind 63 Prozent des zwischen 1988 und 2014 abgeholzten Regenwalds zu Weideflächen geworden. Das entspricht einer Fläche, die fünfmal so gross ist wie Portugal.
Leder ist ein Beiprodukt der Fleischproduktion und wird von der Branche auch als solches verteidigt. Hauptschuldig sei die immense Nachfrage nach Fleisch vor allem in Asien, doch Leder trage nicht direkt zur Abholzung bei. Wegen des Klimas sei es sogar vorzuziehen, Leder zu nutzen, statt es zu vergraben und stattdessen Kunststoffe zu verarbeiten. «Leder ist die Lösung, nicht das Problem», fasst der britische Dachverband Leather UK zusammen.
Was sicher nicht zur Lösung beiträgt, sind gesetzliche Schlupflöcher in Europa und den USA, die Transparenz über die Herkunft der Häute erschweren. Deklariert werden muss zum Beispiel nicht das Produktionsland, sondern das verarbeitende Land. In der EU sind dies in erster Linie Deutschland, Italien und Tschechien. Leder aus diesen Ländern könne somit durchaus aus illegalen brasilianischen Farmen stammen, fasst die brasilianische Umweltorganisation Imazon zusammen.
«Kein Hersteller kann zurzeit nachweisen, dass er nicht mit der illegalen Abholzung verbunden ist», sagt auch Joana Faggin von der Rainforest Foundation Norway. «Wenn die Konsumenten wissen wollen, woher das Leder wirklich kommt, werden sie es kaum herausfinden. Die Produktionskette ist zu undurchsichtig.»
Derweil beschleunigt sich der Verlust der Tropenwälder. Letztes Jahr wurde in Südamerika eine Fläche von über 11’000 km² abgeholzt – das ist mehr als ein Viertel der Fläche der Schweiz.
EU will durchgreifen
Der grösste Fleischverarbeiter der Welt, JBS International mit Sitz im US-Bundesstaat Maryland, prüft gemäss Amnesty International seine Lieferkette noch immer nicht ausreichend. Und dies, obwohl das Unternehmen spätestens seit 2009 wisse, dass Rinder, die illegal in Schutzgebieten weideten, in seine Lieferkette gelangten. JBS will nach eigenen Angaben bis 2025 ein lückenloses Tracking-System einführen; die Konkurrenten Marfrig und Minerva wollen bis 2030 so weit sein.
Besserung versprechen auch die europäischen Autohersteller. BMW will «mittelfristig» kein Leder mehr aus Südamerika zulassen, Volkswagen besteht darauf, nur Leder aus europäischer Herkunft zu verwenden. Daimler verlangt nach eigenen Angaben eine Bestätigung, wonach das Leder nicht aus illegalen Betrieben stammt.
Solche Versprechen genügen allerdings der EU nicht mehr. Sie will die 27 Mitglieder auf ein Abkommen zu einem besseren Schutz der Tropenwälder verpflichten. Die Vereinbarung ist deshalb bemerkenswert, weil damit erstmals der Handel mit Leder verboten würde, wenn die Rinder in Schutzgebieten gehalten wurden.
«Das ist ein totaler Kurswechsel», sagt Leonardo Bonanni, Chef von Sourcemap, einer Kontrollfirma der globalen Lieferketten. «Autokonzerne sind dann nicht mehr nur für die direkten Zulieferfirmen verantwortlich, sondern auch für die Zulieferer der Zulieferfirmen.»
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