Frauenmord in GrossbritannienLondoner Polizei ging rabiat gegen Mahnwache vor
Beamte nahmen Demonstrantinnen fest, die einer getöteten Londonerin gedachten. Nun fordern Politiker den Rücktritt der Polizeipräsidentin.
Das rabiate Vorgehen Londoner Polizeibeamter gegen eine Mahnwache hat in Grossbritannien Empörung ausgelöst. Über tausend Frauen hatten sich am Samstag eingefunden, um Blumen für eine ermordete Londonerin niederzulegen und mehr Schutz für Frauen zu fordern vor männlicher Gewalt. Ausgerechnet bei dieser Versammlung kam es zu Szenen, die auch konservative Politikerinnen als «schockierend» bezeichneten.
Polizisten trieben Gruppen junger Frauen vor sich her, stiessen sie zu Boden und führten mehrere Sprecherinnen der Kundgebung ab, nachdem sie ihnen Handschellen angelegt hatten. Aufgeschreckte Teilnehmerinnen der Versammlung sprachen von einem «militärischen Vorgehen» gegen eine «ganz und gar friedliche» Zusammenkunft. Innenministerin Priti Patel verlangte von der Met – der Polizei der Hauptstadt – eine Erklärung für die «verstörenden» Vorfälle vom Samstagabend am Musikpavillon des Südlondoner Stadtparks Clapham Common.
Rücktritt der Londoner Polizeipräsidentin gefordert
Der Chef der britischen Liberaldemokraten, Ed Davey, forderte den Rücktritt der Londoner Polizeipräsidentin Cressida Dick. Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass bei der nicht speziell genehmigten Versammlung Hunderte von Personen dicht gedrängt beisammen gestanden hätten: «Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Versammlungen dieser Art mit Leuten aus ganz London und von ausserhalb der Stadt gefährden noch immer die Sicherheit der ganzen Bevölkerung.»
Ohne Zusammenstösse ging es ab in anderen Städten, in denen ebenfalls Mahnwachen stattfanden, wie in Birmingham und in Glasgow. Die Zusammenkünfte galten dem Gedenken an die Entführung und Ermordung einer 33-jährigen Londonerin namens Sarah E., deren Schicksal die Nation seit Tagen beschäftigt und aufgewühlt hat. Sarah E. verschwand am Abend des 3. März nach 21 Uhr spurlos auf dem Heimweg von einer Freundin zwischen Clapham und Brixton, zwei relativ belebten und gut ausgeleuchteten Stadtteilen Londons.
Immer mehr Frauen berichten über Belästigungen
Ihre Leiche, in einen Sack gebündelt, wurde vorige Woche in einem Wäldchen in der Grafschaft Kent im englischen Südosten gefunden. Des Mordes an ihr beschuldigt wird ein 48-jähriger Polizeibeamter, der den bewaffneten Einheiten der Met zugehörte und der zuletzt offenbar zur Bewachung des Parlamentsgeländes und diverser Botschaften in London eingeteilt war. Der Mann arbeitete, bevor er sich 2018 der Polizei anschloss, in einer Werkstatt seiner Familie in Kent.
Der Fall, der mit einer verzweifelten Suche nach Sarah E. begann, wandelte sich nach der Verhaftung des Beschuldigten in eine von Zorn und Frustration gespeiste nationale Affäre. Er führte dazu, dass von Tag zu Tag mehr Frauen über eigene Erfahrungen berichteten mit Einschüchterung durch Männer, Belästigungen aller Art und Gewalt. Zum Ende vergangener Woche hatte sich unter dem Namen «Reclaim These Streets» (Holt euch eure Strassen zurück) eine neue Aktionsgruppe formiert, die mehr Schutz für Frauen verlangte vom Gesetzgeber, von der Polizei und männlichen Mitbürgern überall im Land.
Die Labour-Abgeordnete Jess Phillips hatte, just zum Internationalen Tag der Frau, im Parlament die Namen der 118 Mädchen und Frauen verlesen, deren Tod allein im vorigen Jahr Männern zur Last gelegt worden war von Staatsanwälten oder Gerichten in Grossbritannien. Dem Statistischen Amt zufolge werden jedes Jahr über drei Millionen Frauen auf der Insel Opfer sexueller Belästigungen oder Übergriffe. Jede fünfte Frau weiss von einem Mann zu berichten, der ihr irgendwann nachgestellt und vor dem sie sich geängstigt hat.
Mit ihrer Mahnwache in Clapham Common wollten die Organisatorinnen Sarah E. gedenken, Solidarität bekunden und neue Massnahmen fordern. Offiziell sagten sie die Veranstaltung zwar ab, als wegen der Lockdown-Restriktionen weder Polizei noch Gerichte für die Versammlung grünes Licht geben wollten. Dennoch kamen im Lauf des Nachmittags Hunderte von Frauen zum Common gepilgert, um Präsenz zu zeigen und Blumen und Kränze niederzulegen. Einige Zeit vor dem Polizeieinsatz war überraschend auch Kate, die Herzogin von Cambridge, am Musikpavillon erschienen, um ihrer Trauer um Sarah E. Ausdruck zu geben. Aus der Zeit vor ihrer Heirat mit Prinz William, erklärte sie, könne sie sich noch sehr genau daran erinnern, wie es war, als Frau «nachts durch London zu ziehen».
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