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Einkommen in der Landwirtschaft
Bäuerin wird nach Offen­legung ihres Lohns stark kritisiert

Drei lächelnde Personen in warmer Kleidung stehen in einer Scheune mit Heuballen im Hintergrund.
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In Kürze:
  • Der durchschnittliche Stundenlohn von Bäuerinnen und Bauern beträgt 17 Franken.
  • Angesichts der jährlich 2,8 Milliarden Franken Subventionen überrascht dieses tiefe Einkommen.
  • Der Bund investiert viel in die Landwirtschaft, doch die Bauern müssen auch hohe Ziele erfüllen.
  • Die Verrohung der Debatte um die Bauernlöhne ist den vielen Abstimmungen in den letzten Jahren sowie dem Auftritt der Bauernlobby geschuldet.

Geld und Bauern – die Kontroverse war programmiert. Dennoch erschraken Gabi Schürch und ihre Familie über die Heftigkeit der Beiträge in den Kommentarspalten der grossen Schweizer Medien, in denen Leser über sie herzogen. Dabei waren sie lediglich transparent gewesen.

An der Jahresmedienkonferenz des Bauernverbands legte Gabi Schürch nämlich offen, wie viel sie und ihr Mann Beat im Jahr verdienen und auf was für einen Stundenlohn sie damit kommen: 18 Franken. Das ist im schweizweiten Vergleich sehr wenig, liegt jedoch leicht über dem Durchschnitt der Familienarbeitskräfte in der Landwirtschaft. Dieser beträgt 17 Franken, wie Bauernpräsident Markus Ritter an der Pressekonferenz mit alarmierenden Worten erzählte.

Doch in den Kommentaren ernteten die Schürchs nicht etwa Verständnis, sondern Hohn und Wut. Das könne gar nicht sein, dass die Bauern so wenig verdienten bei den hohen Subventionen für die Landwirtschaft. 2,8 Milliarden Franken Direktzahlungen schüttete der Bund 2023 an die Schweizer Bauern aus. Viel Geld. Trotzdem warnt Ritter vor dem Ende der Familienbetriebe, wenn die Löhne nicht steigen. Das wollen viele kaum glauben: Die Zahlen seien falsche Propaganda des Bauernverbandes, und sowieso seien die Bauern «ewige Jammeris».

Die Berechnungen, wonach die Schweizer Bauern pro Stunde nur 17 Franken verdienen, stammen nicht von Ritter selbst, sondern aus einem Bericht des Bundesrats beziehungsweise von Agroscope, einem Forschungszentrum des Bundes.

Lohnvergleich bei Bauern ist sehr komplex

Agroscope versuchte, die Stundenlöhne der Bauern möglichst vergleichbar zu machen mit denjenigen in anderen Branchen. Kein einfaches Unterfangen: Denn im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmenden wohnen Bäuerinnen und Landwirte am Arbeitsplatz, essen und trinken Eier, Fleisch und Milch aus eigener Produktion. Haushaltsarbeit geht fliessend in die Arbeit auf dem Hof über, dazu kommen steuerliche Sonderregeln.

Wie hat Agroscope also gerechnet? 

Vereinfacht gesagt, nahmen die Forscher alles Einkommen, das ein Bauernhof erwirtschaftete. Dazu gehören sowohl die Erträge aus dem Verkauf als auch Direktzahlungen des Staates. Auch den Wert aller Waren, die für den Eigengebrauch verwendet wurden, berechneten sie ein. Davon zogen sie alle Ausgaben ab, darunter die Löhne der externen Mitarbeitenden und Materialkosten. Dass Bauern eine tiefere Mehrwertsteuer auf Vieh, Futter oder Saatgut bezahlen und die Mineralölsteuer beim Kauf von Benzin rückerstattet erhalten, hat Agroscope in den Berechnungen des landwirtschaftlichen Einkommens berücksichtigt.*

Bei der Familie Schürch, die in Kirchberg einen Biohof mit 35 Milchkühen führt, sieht eine solche Betriebsrechnung dann wie folgt aus:

Das so berechnete landwirtschaftliche Einkommen geteilt durch die Arbeitsstunden der Bäuerinnen und Bauern ergibt nun den Stundenlohn. Die Arbeitszeit ist hoch. «Die Landwirtschaft ist sehr arbeitsintensiv», sagt Robert Finger, Professor für Agrarökonomie und Agrarpolitik an der ETH Zürich, und: «Einen Bauernhof kann man nicht nach Belieben an- und abschalten.» Durchschnittlich arbeitet ein Schweizer Bauer über 50 Stunden pro Woche.

Beat Schürch arbeitet bis zu 70 Stunden pro Woche

Beat Schürch kommt sogar auf 60 bis 70 Stunden pro Woche. Sein Tag beginnt morgens um 5.45 Uhr mit Melken und Misten und endet um 18 Uhr mit dem Beschicken der Biogasanlage und dem Füttern der Tiere. Gabi Schürch schätzt, sie sei ungefähr 35 Stunden pro Woche auf dem Hof tätig. Insgesamt zählen sie so als 1,4 auf dem Betrieb arbeitende Personen und arbeiten im Jahr rund 4150 Stunden auf dem Hof.

So kommen die Schürchs auf einen Stundenlohn von etwas über 18 Franken.

Doch was müssen sie mit diesem Geld alles bezahlen? Ist das einfach Sackgeld, wie es manche Kommentarschreiber vermuten? «Überhaupt nicht», sagt Gabi Schürch. «Wie alle anderen auch müssen wir von diesem Geld unsere Steuern und die Krankenkasse bezahlen: jeweils rund 15’000 Franken und 16’000 Franken für die ganze Familie.»

Auch den Eigenmietwert ihres Wohnbereichs müssen die Schürchs regulär versteuern – wenn auch der Eigenmietwert für landwirtschaftliches Wohneigentum etwas tiefer ist als für die übrige Bevölkerung. Die Kosten fürs Auto können sie entgegen der landläufigen Meinung ebenfalls nur zur Hälfte über den Betrieb abrechnen. Dazu kommen alle übrigen alltäglichen Ausgaben. Besonders viel übrig bleibe so nicht, sagt Gabi Schürch.

Ein alter Traktor steht vor einem schneebedeckten Bauernhof mit Kühen in einem offenen Stall.

Unter anderem deshalb arbeitet die Bäuerin auch noch ausserhalb des eigenen Hofs. Schürch ist Vizepräsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands, was einem Pensum von ungefähr 40 Prozent entspricht. Rund 90 Prozent der Schweizer Bauern haben ein Nebeneinkommen, mit dem sie insgesamt rund ein Drittel des gesamten bäuerlichen Einkommens erzielen. Diese ausserbetrieblichen Einkommen sind allerdings nicht Teil der Lohnberechnungen von Agroscope.

Grosse Unterschiede zwischen den Bauernhöfen

«Agroscope hat methodisch sauber gearbeitet», sagt Robert Finger. Dennoch mahnt er, die unterschiedlichen Landwirtschaftsbetriebe differenziert zu betrachten: Die Einkommenssituation der Bauern variiere stark, zum Beispiel aufgrund der Produktionsbedingungen. Landwirte in Talregionen verdienen beispielsweise rund 65 Prozent mehr als Bergbauern.

Für Finger ist trotzdem klar: Mit der Landwirtschaft wird in der Schweiz kaum einer reich. Der Bund stecke zwar viele Mittel in die Landwirtschaft: «Aber um Direktzahlungen zu erhalten, muss ein Betrieb auch gewisse Leistungen erbringen», erklärt Finger. Ob es um Nahrungsmittelproduktion, Pflege der Kulturlandschaft, artgerechte Tierhaltung oder um Biodiversität geht: Jede Direktzahlung des Bundes soll laut dem ETH-Professor einen spezifischen Zweck erfüllen.

Bauern müssen Umweltziele erfüllen

Dass die Schweizer Landwirtschaftsbetriebe gewisse Ziele erfüllen müssen – nicht nur zur Selbstversorgung, sondern etwa auch zum Schutz natürlicher Ressourcen oder zur Erhaltung dezentraler Besiedlung –, ist verfassungsrechtlich festgelegt. «Auch dank den Direktzahlungen können wir die kleinstrukturierte, diverse Landwirtschaft aufrechterhalten, die wir heute haben», sagt Finger.

Und woher kommt dann der Unmut, den viele gegen die Landwirtinnen und Landwirte haben?

Eine abschliessende Antwort darauf hat auch Sandra Contzen nicht, nur Vermutungen: «Die Bauern standen in den letzten Jahren wahnsinnig stark im Fokus. Es gab so viele Abstimmungen über Landwirtschaftsfragen wie noch nie zuvor.» Contzen ist Professorin für Agrarsoziologie an der Berner Fachhochschule und forscht seit Jahren zu den Lebensbedingungen der Schweizer Bauernfamilien. Die vergangenen Abstimmungen seien sehr hart und teilweise auch gehässig geführt worden, zum Beispiel die zur Trinkwasserinitiative. «Da hat sicher der eine oder die andere eine generelle Ablehnung gegenüber den Bauern entwickelt.»

«Nicht nur die Bauern arbeiten hart für wenig Geld»

Bei manchen der wütenden Kommentarschreibenden spiele wohl aber auch der Neid eine gewisse Rolle: «Die Bauern sind nicht die Einzigen, die für wenig Geld hart arbeiten. Wird die ganze Zeit gross über Subventionen berichtet, kann das zu Missgunst führen.» Diese werde noch verstärkt, weil vielen nicht bewusst sei, wie die Subventionen genau funktionierten.

Einen Teil der Verantwortung für die Verrohung der Debatte sieht Contzen jedoch auch bei den Bauern selbst. Diese würden politisch oft sehr stark und fordernd auftreten, was bei manchen eine Abwehrhaltung hervorrufen könne.

Ein Teilnehmer reinigt eine Kuh auf der Bezirksviehschau in Wädenswil, 19. Oktober 2023. Kühe mit beigem Fell stehen in einer Reihe.

Während ihrer Forschung habe sie immer wieder gehört, wie stark die negative Sicht auf die Bauern diese belasteten. «Die Menschen in der Landwirtschaft arbeiten sehr hart. Sie erachten ihre Arbeit als wichtigen Dienst für das Land. Die teils mangelnde Wertschätzung ist für viele bedrückend», sagt Contzen.

Für die Zukunft ist die Agrarsoziologin zuversichtlich. «Ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung steht hinter den Landwirtinnen und Landwirten, das haben die gewonnenen Abstimmungen gezeigt.» Es sei jedoch an beiden Seiten, aufeinander zuzugehen und Verständnis füreinander zu zeigen.

Experte wünscht Fokus auf Lösungen

ETH-Experte Robert Finger wünscht sich, die Debatte würde sich stärker um konkrete Lösungen drehen als um einzelne Zahlen. Die Landwirtschafts­betriebe sollen künftig unter anderem stärker überbetrieblich zusammenarbeiten, Wertschöpfung erhöhen, Kosten senken und sich besser auf die zunehmenden Extremwetterereignisse vorbereiten können. Um das zu ermöglichen, stehen laut Finger sowohl die Betriebe als auch die Wirtschaft und die Politik in der Verantwortung.

Sie und ihre Familie führten auf dem Hof ein zufriedenes Leben, sagt Gabi Schürch: «Dennoch bin ich der Überzeugung, dass man über Probleme sprechen und auf Defizite hinweisen darf.» Sie werde sich deshalb auch weiterhin für eine faire Entschädigung der Bäuerinnen und Bauern einsetzen.

*Präzisierung vom 13.1.2025: Dieser Absatz war in einer früheren Version unklar formuliert und konnte missverstanden werden. Der Text wurde entsprechend angepasst.