Israels Kampf gegen Omikron«Lockdowns funktionieren nicht»
Bis zu 100’000 Israelis infizieren sich täglich, die Omikron-Welle gilt als unaufhaltsam. Premier Naftali Bennett verzichtet aber auf schärfere Anti-Corona-Massnahmen.

Israels Regierung will die mächtige Omikron-Welle ohne grössere Einschränkungen des öffentlichen Lebens durchstehen. «Lockdowns funktionieren nicht», sagte Premierminister Naftali Bennett in einer Ansprache, die er vom Armeehauptquartier in Tel Aviv aus an die Öffentlichkeit richtete.
Die Infektionszahlen steigen indes in nie dagewesener Geschwindigkeit. Fast 44’000 neue Fälle wurden am Donnerstag offiziell gemeldet. Wegen der eingeschränkten PCR-Testmöglichkeiten gehen Experten jedoch davon aus, dass sich derzeit täglich bis zu 100’000 Menschen anstecken. Bennett rechnet damit, dass sich zwei bis vier der insgesamt gut neun Millionen Israelis in den nächsten Wochen mit dem Virus infizieren.
In militärischer Knappheit nannte der Regierungschef die «drei Hauptprinzipien» seiner Corona-Politik. Erstens: Die Wirtschaft so weit offen halten wie möglich. Zweitens: Den Schutz der Risikogruppen gewährleisten. Drittens: Auf das Wohl der Kinder achten.
Omikron-Welle gilt laut Experten als unaufhaltsam
Der Verzicht auf schärfere Gegenmassnahmen steht in deutlichem Kontrast zu Israels früherer Anti-Corona-Politik. Die war geprägt von strengen Lockdowns und einer fast zwei Jahre währenden Einreisesperre für Ausländer. Zwischenzeitlich wurde sogar der Inlandsgeheimdienst Shin Bet für das Telefon-Tracking eingespannt.
Nun scheint die Devise eher zu lauten: Augen auf und durch. Bennett fordert von den Bürgern mehr Eigenverantwortung und versichert zugleich: «Es gibt keinen Grund zu Panik oder Hysterie.» Unterstützt wird sein Kurs von einem Expertenkomitee des Gesundheitsministeriums, das die Omikron-Welle als «unaufhaltsam» bezeichnet hat.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Gerechnet wird dabei in den kommenden Wochen auch mit einem stark steigenden Druck auf das Gesundheitswesen. Noch ist die Zahl der schweren Fälle niedrig, aber sie hat sich bereits binnen einer Woche verdoppelt auf nunmehr 250. Bennett wies den Gesundheitssektor an, sich auf die Aufnahme von bis zu 4000 schwer Erkrankten einzustellen. Auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie hatte es in Israel im Februar 2021 rund 1200 schwere Fälle gegeben.
Der rapide Anstieg der Zahlen könnte in den nächsten Wochen entgegen der Regierungspläne de facto dennoch zu einem Teil-Lockdown führen. Schon jetzt ist es zum Beispiel auf den Strassen von Tel Aviv wesentlich ruhiger als sonst – weil offenkundig viele erkrankt oder in Quarantäne sind, andere wieder im Homeoffice bleiben oder auf Aktivitäten verzichten.
Bisher haben über 400’000 Menschen den zweiten Booster erhalten.
Im Parlament zum Beispiel haben sich aktuell 11 von 120 Abgeordneten mit dem Coronavirus infiziert, dazu wurden zwei Minister positiv getestet. Weit dramatischer noch könnte sich die Knappheit an Personal in den Spitälern auswirken.
Beim Schutz für die Risikogruppen setzt Israel vor allem auf eine vierte Impfung. Als erstes Land der Welt hat man zu Jahresbeginn den Booster für den Booster angeboten, derzeit allein für die Altersgruppe über 60 Jahre. Bislang haben davon mehr als 400’000 Israelis Gebrauch gemacht. (Lesen Sie zum Thema den Artikel «Wieso Israel auf den Booster-Booster setzt».)
Erste Erkenntnisse zu zweiter Auffrischimpfung
Schon in der vorigen Woche hatte Regierungschef Bennett unter Berufung auf erste Studienergebnisse verkündet, mit der zweiten Auffrischung würde sich die Zahl der Antikörper verfünffachen. Er pries das als grossen Erfolg an. Die Studienleiterin hatte aber sogleich eingeschränkt, dies sei «gut, aber nicht ausreichend», weil damit die Immunabwehr lediglich wieder auf den Stand nach der dritten Impfung gebracht werde.
Skeptisch zeigen sich auch Vertreter der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Häufige Booster-Impfungen seien nicht praktikabel und könnten das Immunsystem sogar schwächen. (Lesen Sie auch diesen Artikel zur Studienlage betreffend der dritten Corona-Impfung.)
Pfizer-CEO Alfred Bourla reagierte diese Woche ausweichend auf die Frage, ob eine vierte Impfdosis nötig sei. Dazu sei noch mehr Forschung notwendig. «Aber wir sollten nichts tun, was man nicht braucht», sagte er. Für März kündigte er ein Vakzin an, das der Omikron-Variante angepasst sei.
Fehler gefunden?Jetzt melden.