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Weltklasse in zwei Sportarten
Wie ein Schweizer ins Ausland musste, um ganz vorne mitzulaufen

Der Eisschnellläufer Livio Wenger, aufgenommen am 18. Dezember 2023 in Geisingen (D).


© Michele Limina
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Weltmeister wolle er einmal werden, erklärt Livio Wenger als 11-jähriger Bub dem Schweizer Fernsehen im Rahmen des Swiss Inline Cup 2004. Heute, knapp 20 Jahre später, ist Livio Wenger zwar noch kein Weltmeister – zählt aber in gleich zwei Sportarten zu den Besten der Welt.

Der Luzerner ist zurzeit sowohl der erfolgreichste Inlineskater als auch der beste Eisschnellläufer der Schweiz: Zwei Medaillen gewann er an Inlineskating-Weltmeisterschaften. Und mit Rang 4 im Massenstart bei den Winterspielen 2018 erzielte er das beste Olympiaresultat in der Geschichte der Schweizer Eisschnellläufer.

Lanciert hat Wenger seine Karriere in seiner Kindheit auf seinen heiss geliebten Inlineskates – beim Rollerblade-Team Athleticum, einem zur damaligen Zeit professionell geführten Inline-Team, das die ganz grossen Stars der Szene unter Vertrag hatte. Darunter auch Wengers Jugendidol Kalon Dobbin. Der Neuseeländer gehörte zu den besten seines Fachs, krönte sich zum Inline-Sprint-Weltmeister und war für den jungen Wenger ein Mentor, von dem der Luzerner extrem zu profitieren wusste.

Doch die Zusammenarbeit von Wenger und seinem Vorbild beim Team Athleticum sollte nicht für immer halten: Als das Team Dobbin in Richtung Deutschland ziehen liess, verloren sich der Teenager und sein Held aus den Augen. Wenger kam dadurch nicht vom Erfolgsweg ab. Im Gegenteil: Zweimal konnte er bei den Junioren-Europameisterschaften reüssieren. Bei Nachwuchs-Weltmeisterschaften fuhr er insgesamt fünf Medaillen ein. Und auch bei den Erwachsenen konnte sich der Luzerner in der Weltspitze der nicht olympischen Sportart etablieren.

Der Wechsel von den Rollen auf die Kufen

Neben seinen Erfolgen im Inlineskating begann Wenger im Alter von 19 Jahren parallel mit dem Eisschnelllauf, um sich seinen grossen Traum von einer Olympiateilnahme zu ermöglichen. Er heuerte bei der hoch dotierten Eisschnelllauf-Akademie im bayerischen Inzell an, doch die Umstellung von den Rollen auf die Kufen fiel dem Luzerner zunächst schwer: «Die Trainer in Inzell waren Weltklasse, aber sie waren es nicht gewohnt, mit einem Inlineskater wie mir zu arbeiten», so der Luzerner. Wenger machte wenige und nur langsame Fortschritte. Es schien, als würde sein Traum zur Utopie werden – bis der Schweizer Rollsportverband vor den Winterspielen 2014 Wengers einstigen Jugendhelden Kalon Dobbin als neuen Nationaltrainer der Schweizer Inlineskater einstellte.

Dobbin verfolgte die gleiche Vision wie Wenger und wollte sich neben seiner Tätigkeit beim Schweizer Inline-Nationalteam als Eisschnellläufer für die Winterspiele in Sotschi qualifizieren. Dafür kreierte der Neuseeländer sogar eine spezielle Trainingsgruppe in seiner Heimat, die aufgrund der Herkunft aller Athleten aus dem Inlineskating alternative Trainingsmethoden anwendet. Als Wenger 2015 in Inzell nicht mehr weiterwusste, integrierte ihn Dobbin in seine Trainingsgruppe.

«Kalon hat es verstanden, dass ich wie ein kleines Kind auf dem Eis war und von vorne anfangen musste», so Wenger. «Ich war zwar fit und konnte relativ schnell Schlittschuh laufen, aber die Basics fehlten mir.» Unter Dobbin waren Wengers Fortschritte auf Anhieb gross, seine Resultate verbesserten sich stark. Und die Olympischen Spiele? Sie wurden 2018 vom Traum zur Realität.

Switzerland's Livio Wenger competes in the men's Speed Skating 5000 m competition at the National Speed Skating Oval during the 2022 Olympic Winter Games in Beijing, China, on Sunday, February 6, 2022. (KEYSTONE/Salvatore Di Nolfi)

Wenger qualifizierte sich für die Winterspiele in Pyeongchang und erlief sich im Massenstart – seiner Paradedisziplin – mit Rang 4 ein olympisches Diplom.

Die fehlende 400-m-Eisbahn in der Schweiz macht ihm zu schaffen

Der Erfolg von Pyeongchang war für Wengers Karriere fundamental. Seine Leistungen auf der grösstmöglichen Bühne ermöglichten dem Luzerner die Aufnahme in das Sportprogramm der Schweizer Armee. Auch von der Schweizer Sporthilfe und Swiss Olympic wird er seither unterstützt. «Nach Pyeongchang habe ich mein Hobby zum Beruf machen können», erzählt Wenger, der bis dahin die finanzielle Unterstützung für seine Karriere von seinen Eltern erhalten hatte.

Dass Wenger trotz der praktisch inexistenten Infrastruktur in der Schweiz solche Erfolge einfahren konnte, ist eindrucksvoll. Eine 400-m-Eisbahn gibt es in der Schweiz nicht mehr, angemessene Trainingsmöglichkeiten für Eisschnellläufer sind Fehlanzeige. Das sorgt bei Wenger für Unverständnis: «Obschon es eine olympische Disziplin ist, die mehr Medaillen bringt als Ski alpin oder Langlauf, macht man in der Schweiz nicht mehr für diesen Sport.»

Der Eisschnellläufer Livio Wenger, aufgenommen am 18. Dezember 2023 in Geisingen (D).


© Michele Limina

Wenger ist überzeugt, dass viel Potenzial in der Schweizer Eisschnelllaufszene steckt. «Wir sind ein Wintersportland. Es gibt viele Leute, die mal eine neue Sportart ausprobieren wollen. Wieso dann nicht Eisschnelllauf?», so der beste Schweizer Eisschnellläufer, der wie seine Berufskollegen im Nationalteam nie in seiner Heimat eisschnelllaufen konnte. Die fehlenden Trainingsstandorte zwangen Wenger dazu, seine Trainingsbasis im süddeutschen Geisingen aufzuziehen.

Seine Schwester als Paradebeispiel

Derzeit versucht Wenger, mit guten Resultaten an Grossanlässen für seine Sportarten zu werben. Nach seiner aktiven Karriere ist es dem Luzerner wichtig, seinen Disziplinen erhalten zu bleiben. Er will mehr Talente vom Inlineskating auf die Schlittschuhe holen und diese gezielt fördern. Ein weiteres Paradebeispiel, wie das funktionieren kann, findet Wenger in seiner eigenen Familie: Seine ältere Schwester Nadja, welche auch aus dem Rollsport-Bereich stammt, begann 2018 mit dem Eisschnelllauf. Nur vier Jahre später nahm sie bereits an den Olympischen Spielen teil und erreichte den Halbfinal.

Ebenso will Wenger dafür sorgen, dass es dereinst wieder eine 400-m-Eisbahn in der Schweiz gibt. Am besten schon 2038, wenn die Winterspiele in der Schweiz stattfinden sollen. «Ich fände es lächerlich, wenn man die Eisschnelllauf-Wettkämpfe dann nach Heerenveen oder Inzell vergeben würde. Das wäre ein Armutszeugnis für den Schweizer Sport», so Wenger.

Bis dahin hat der 30-Jährige aber noch andere Ziele: Anfang Jahr stehen mit der Europameisterschaft im niederländischen Heerenveen und der Weltmeisterschaft in Calgary gleich zwei Grossanlässe an. Nach einem starken Saisonstart und zwei Podestplätzen will er auch bei den Saisonhöhepunkten um Edelmetall mitlaufen.

Und mit Olympia in Cortina d’Ampezzo steht 2026 gleich nochmals ein ganz grosses Highlight in seiner Karriere an. Um dann als erster Schweizer Eisschnellläufer auf dem Podium zu stehen und so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf seinen Sport zu lenken, scheut Wenger keinen Aufwand: «Ich werde in den nächsten zwei Jahren alles den Olympischen Winterspielen unterordnen.»