Muss die CDU nun mit der Linken zusammenarbeiten?
In Thüringen gewinnen die Linkspartei und die AfD. Das macht die Regierungsbildung schwierig – und eine ganz neue Koalition möglich.
Von einer «historischen Wahl» sprachen am Wahlabend viele – und von einer «dramatischen Lage». Erstmals in einer Wahl auf Landes- oder Bundesebene vereinigten die klassischen Parteien der politischen Mitte im ostdeutschen Thüringen keine parlamentarische Mehrheit mehr auf sich. Die Ränder – Linkspartei und Alternative für Deutschland (AfD) – gewannen zusammen mehr als die Hälfte der Stimmen.
CDU, SPD schrumpfen
Die ehemaligen «Volksparteien» CDU und SPD, die in Berlin Deutschland regieren, versammelten am Sonntag zusammen gerade noch 30 Prozent der Stimmen. Das sind fast zehn Prozentpunkte weniger als bei den bisherigen Tiefstständen anlässlich der Landtagswahlen in Berlin und Baden-Württemberg 2016 und in Sachsen 2019. Vor allem für die Christdemokraten von Spitzenkandidat Mike Mohring war das Ergebnis niederschmetternd.
Bevor 2014 der linke Bodo Ramelow Ministerpräsident wurde, hatte die CDU in Thüringen 24 Jahre lang ohne Unterbruch regiert, bis 2009 sogar mit einer absoluten Mehrheit. Statt wieder aufzuholen, sackte sie nun gar auf das schlechteste Ergebnis seit 1990 ab – und auf Platz 3 hinter der AfD. Sie gewann zwar 33'000 Stimmen von Bürgern, die 2014 nicht gewählt hatten, verlor aber gleichzeitig 37'000 Stimmen an die AfD – und 19'000 sogar an die Linkspartei.
Ramelows Geheimnis
Der grosse Sieger des Abends war Bodo Ramelow. Der 63-jährige ehemalige Gewerkschafter erzielte für seine Partei das historisch beste Wahlergebnis überhaupt. Die Werte waren der Lohn für eine Amtsführung, die parteiübergreifend als verantwortungsvoll, lösungsorientiert und fürsorglich betrachtet wurde.
Laut Umfragen halten 70 Prozent der Thüringer Ramelow für einen guten Ministerpräsidenten. Das ist deutschlandweit ein sehr hoher Wert; in Thüringen war einzig der legendäre CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel 1999 noch beliebter.
Selbst 72 Prozent der CDU-Wähler fanden, dass Ramelow seine Sache gut mache. Die Kehrseite des Erfolgs war, dass das Ergebnis seiner Partei zum Teil auf Kosten seiner Koalitionspartner SPD und Grüne ging, denen er viele Stimmen abwarb.
Der zweite Sieger des Abends war die AfD, die ihren Anteil gegenüber 2014 mehr als verdoppelte. Dass ihr rechtsradikaler Spitzenkandidat Björn Höcke die Wählerschaft bis in die eigenen Reihen polarisierte, schadete ihr offenbar wenig – wenn überhaupt. «Die Regierung Ramelow ist abgewählt», interpretierte Höcke das Ergebnis: «Das ist gut für Thüringen.»
Fast nur Unmöglichkeiten
Was gut für Thüringen ist, muss sich allerdings erst noch zeigen. Sicher war am Wahlabend vorerst nur, das keine der bisher als möglich erachteten Koalitionen eine Mehrheit im Landtag erreichte: Ramelows rot-rot-grünem Bündnis fehlten mindestens vier Sitze. Aber auch die «Koalition der Mitte» aus CDU, FDP, SPD und Grünen, die CDU-Chef Mohring angestrebt hatte, war von einer Mehrheit weit entfernt – zumal die Grünen und die FDP sich erst gegen Mitternacht sicher sein konnten, den Einzug in den Landtag überhaupt geschafft zu haben.
Da alle Parteien es ablehnen, mit der AfD zusammenzuarbeiten, bleiben – abgesehen von einer eher theoretischen Koalition aus Linkspartei, SPD, Grünen und FDP – im Grunde lediglich zwei Optionen: eine Minderheitsregierung, geführt von Ramelow, der als Ministerpräsident geschäftsführend im Amt bleiben würde, allenfalls toleriert von der CDU. Oder aber ein Bündnis von Linkspartei und CDU.
Was macht die CDU?
Die CDU hat bislang eine Zusammenarbeit mit der Nach-Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED kategorisch ausgeschlossen. Die Frage ist, ob das nach dieser historischen Wahl so bleiben kann. Dank dem pragmatischen Regierungsstil Ramelows wird die Linke zumindest in Thüringen nicht als Linksaussen-, sondern als staatstragende Kraft wahrgenommen; fast jeder zweite Thüringer sagte in Umfragen, die Linke sei in seinem Bundesland eine «Partei der Mitte».
68 Prozent der CDU-Wähler in Thüringen fanden denn auch, die Partei müsse ihre kategorische Ablehnung der Linken nun überdenken. Parteichef Mohring, der nicht nur ein Bündnis mit der Linken, sondern auch eine Minderheitsregierung Ramelows bislang scharf abgelehnt hatte, deutete am Wahlabend an, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. «Jetzt müssen wir schauen, was wir gemeinsam mit diesem Ergebnis machen», sagte er in Erfurt. Für abschliessende Antworten sei es noch zu früh. Das klang jedenfalls schon ganz anders als im Wahlkampf.
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