Lexikoneintrag zu TöffaktivistinHistorisches Lexikon erwägt, Fake-Artikel wieder aufzuschalten
Das wichtigste Lexikon zur Schweizer Geschichte hat einen frei erfundenen Artikel gelöscht. Doch nun wird der Eintrag zu einer Motorradaktivistin nochmals geprüft.
Marie-Thérèse Zündapp führte ein bewegtes Leben: 1981 beteiligte sich die damals 49-Jährige an militanten Aktionen der Arbeitsgemeinschaft Kreiselverkehr. Deshalb wurde die gelernte Hebamme wegen Landfriedensbruch verurteilt.
Für Zündapp muss das eine Auszeichnung gewesen sein. Denn die gebürtige Villmergerin war Rebellin aus Überzeugung: Bereits 1966 schloss der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft die Tochter eines Tierarztes als Lehrerin aus der Hebammenschule Liestal aus – «wegen umstürzlerischen Umtriebs», wie es heisst. Nach der Suspendierung vom Schuldienst trat Zündapp dem Komitee «Nein zum Gegenwind» bei und machte sich einen Namen als Verfasserin «programmatischer Werke zum Feminismus der motorisierten Bewegung».
Aus Onlinelexikon gelöscht
In den letzten Jahren drohte Zündapps Leben jedoch in Vergessenheit zu geraten: Das «Historische Lexikon der Schweiz» (HLS) hat den Artikel zur Motorradaktivistin in seiner Onlineversion gelöscht. Nur auf einer Archivseite sowie im gedruckten Lexikon findet man noch den Eintrag zu ihr.
Für die Löschung gibt es einen relativ handfesten Grund: Das Leben von Marie-Thérèse Zündapp ist frei erfunden. Und trotzdem gibt es einen Lexikonartikel zu ihr? Ja, Zündapps Eintrag ist ein U-Boot oder ein sogenannter Nihil-Artikel: Alle grossen Lexika haben mindestens einen solchen Eintrag, der frei erfunden ist, weil diese Artikel Spass machen – zum Lesen ebenso wie zum Schreiben. Und weil sie den kritischen Sachverstand der Lexikon-Nutzerinnen und -Nutzer herausfordern.
Steinlaus, Kurschatten und antikes Fussballspielen
Der bekannteste dieser Nihil-Artikel ist der Eintrag zu Loriots Steinlaus im «Pschyrembel», einem medizinischen Nachschlagewerk. Dort wird das erfundene Tier als «stimmungsaufhellender Endoparasit» beschrieben. Ebenfalls einige Bekanntheit erlangt hat der Eintrag zum «Kurschatten» – einer platonischen Beziehung während eines Kuraufenthalts – im «Pschyrembel»-Wörterbuch Naturheilkunde und alternative Heilverfahren. Ein anderes Beispiel findet sich im Antiken-Lexikon «Der neue Pauly»: Dort gibt es den Eintrag zu «Apopudobalia», einer Frühform des Fussballs, die in späthellenistischer Zeit nach Rom importiert worden sei – und der dann die frühen Christen den Kampf ansagten. Auch dieser Lexikoneintrag ist Fantasie.
Und Marie-Thérèse Zündapp? Sie ist das Geschöpf einer Historikerin, die das Leben der Töffrebellin im Rahmen eines Wettbewerbs erfunden hat. Der Eintrag zu Zündapp wurde aber bereits 2019 aus der Onlineversion gelöscht, als die Artikel des HLS in ein neues System migriert wurden.
Warum sich der damalige Direktor des Lexikons bei diesem Datentransfer für eine Löschung des Zündapp-Artikels entschied, ist der heutigen Redaktion des «Historischen Lexikons der Schweiz» nicht bekannt. Auf Anfrage teilt sie mit, dass zurzeit eine Wiederaufnahme des Zündapp-Artikels in die digitale Version des Nachschlagewerkes erwogen werde – unter anderem auch, weil der Lexikoneintrag in einer aktuellen Ausstellung des Museums für Kommunikation in Bern zum Thema «Nichts» aufgegriffen werde.
Eine Entscheidung für oder gegen den Artikel der Töffaktivistin sei – so die Redaktion des HLS – aber noch nicht gefallen. Wann mit dem Entscheid gerechnet werden kann, ist nicht bekannt.
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