LangstreckentestWas ist effizienter, tauschen oder laden?
Lange Ladezeiten sind noch immer das grösste Manko der E-Mobilität. Der chinesische Hersteller Nio hält mit Tauschbatterien dagegen. Doch ist das wirklich praktisch?
Auf der Geschäftsreise oder der Fahrt in die Ferien eine Zwangspause von 40, 50 Minuten einlegen zu müssen, um Strom zu «tanken» – das schreckt manche E-Auto-Interessenten nach wie vor ab. Es geht aber auch anders, wie die chinesische Marke Nio zeigt. Seit 2022 verkauft sie ihre Autos auch in Europa, und zwar mit einer besonderen Technik: Der Akku lässt sich innerhalb von wenigen Minuten tauschen. Dazu müssen die Käufer Wechselstationen anfahren, die Nio momentan europaweit aufbaut. Hierzulande gibt es noch keine – Nio plant, ab 2025 auch in der Schweiz präsent zu sein. Doch in Deutschland sind bereits acht dieser Power-Swaps gebaut, 50 weitere sind in Planung. Europaweit haben die Chinesen inzwischen knapp 30 Wechselpunkte eröffnet, neben Deutschland vorwiegend in Benelux und Skandinavien.
Doch wie gut funktioniert das Tauschsystem auf langer Strecke? Lohnt es sich, die Batterie zu wechseln, oder fährt man mit kurzen Ladestopps schneller? Wir machen den Praxistest auf der Strecke von Stuttgart nach Hamburg und zurück. 660 Kilometer mit genügend Schnellladern, aber nur einer Akku-Wechselstation in der Nähe von Hannover. Als Alternative bietet sich die Fahrt übers Ruhrgebiet an. Die Strecke über die A61, vorbei an Koblenz, Dortmund und über die A2 Richtung Hannover, ist mit 845 Kilometern zwar erheblich länger, passiert aber drei Power-Swap-Stationen. Die spannende Frage: Auf welcher Route kommt man schneller ans Ziel?
Die Batterie wird gemietet
Als Testwagen steht die 360 kW/490 PS starke Schrägheck-Limousine ET5 zur Verfügung, die in Deutschland ab 47’500 Euro kostet – plus 169 beziehungsweise 289 Euro pro Monat für die gemietete Batterie mit 75 respektive 100 kWh Kapazität. Denn Nio verkauft die Autos ohne Batterie, den Akku vermieten die Chinesen, inklusive der Möglichkeit, ihn kostenlos zweimal pro Monat auszutauschen. Bei jedem weiteren Tausch kostet die Kilowattstunde in Deutschland günstige 20 Cent – wobei nur die Ladedifferenz zwischen abgegebener und neuer Batterie berechnet wird.
Nio verspricht für den ET5 zwar 590 Kilometer Reichweite, der Bordcomputer meldet bei vollem Akku aber nie mehr als 500 Kilometer. Die Fahrt beginnt mit zu 92 Prozent gefüllten Akkuzellen und 412 Kilometern Reichweite. Als der ET5 nach 220 Kilometern vor der Power-Swap-Station in Waldlaubersheim bei Bingen zum Stehen kommt, sind noch 32 Prozent verfügbar. Doch das Rolltor ist verrammelt, kein Mensch zu sehen. Und auf dem Display im Cockpit kann der Wechselservice auch nicht gebucht werden. Nach wenigen Minuten kommt ein etwas überrascht schauender Nio-Mitarbeiter ans Auto. «Wir öffnen erst um neun Uhr, da müssen Sie noch zehn Minuten warten.»
Doch punkt neun Uhr poppt das Symbol der Wechselstation auf dem Bildschirm auf. Ein Klick, und der Service ist aktiviert. Die Navigation erkennt, dass der Nio richtig steht – los gehts. «Hände vom Lenkrad und nur im Notfall bremsen», warnt ein Hinweis auf dem Bildschirm. Dann rangiert der Wagen vollautomatisch vor und zurück und zirkelt selbstständig rückwärts in die Swap-Box, die wie eine Garage mit einer Hebebühne aussieht. Am Supercharger nebenan sitzen einige Tesla-Fahrer in ihren Autos, tippen gelangweilt auf ihren Smartphones herum. Als die Wechselaktion beginnt, eilen sie herüber. Eigentlich ziemlich clever von den Chinesen, ihre Stationen bevorzugt an grossen Lade-Hubs aufzubauen. Das könnte vielleicht den einen oder anderen E-Fahrer zum Umsteigen bewegen.
Keine fünf Minuten
Kaum steht der ET5, wird er ein paar Zentimeter angehoben. Es rüttelt und vibriert unter dem Fahrzeugboden, während die Schrauben gelöst, der alte Akku nach unten versenkt und die neue Batterie eingebaut wird. Keine fünf Minuten später leuchtet das Display wieder auf – alles okay, die Fahrt kann weitergehen. Um sie zu schonen, werden die Akkus an den Wechselstationen nur zu 90 Prozent geladen. Zwei Stunden und 190 Kilometer später erreichen wir mit 44 Prozent Ladestand und 231 Kilometern Restreichweite die Tauschstation in Hilden. Nach einem weiteren Wechsel in Grossburgwedel bei Hannover und insgesamt neun Stunden ist der Zielort Hamburg erreicht. Mit drei Stopps und der unfreiwilligen Wartezeit hat der Nio 843 Kilometer in neun Stunden geschafft. Ein Schnitt von 96 km/h an einem Werktag mit einem E-Auto? Ein Verbrenner wäre sicher nicht schneller.
Für den Rückweg wird die Strategie geändert: Auf dem Direktweg von Hamburg nach Stuttgart liegt nur eine Wechselstation nach 140 Kilometern, und da der ET5 nach dem Wechsel bereits nach 270 Kilometern bei zehn Prozent Füllstand neuen Strom verlangt, müssen unterwegs Ladestationen angesteuert werden. Denn der Nio kann auch ans Kabel gehängt werden, wenn keine Wechselstation erreichbar ist. Obwohl das Auto die Batterie vorkonditioniert, lädt der ET5 nur mit maximal 70 kW, dabei sollte er eigentlich 120 kW können. Gleiches beim nächsten Halt an der Raststätte Ob der Tauber, den wir deshalb gleich wieder abbrechen. Erst an der dritten Zapfstelle kommt der Bordlader richtig auf Touren. Am Ende dauert es gute acht Stunden, bis wir Stuttgart nach 680 Kilometern erreichen.
Fazit: Die moderat gefahrene direkte Route mit mehreren Ladestopps ging schneller als die 160 Kilometer längere Strecke mit drei Wechselstopps. Doch wenn das Netz der Swap-Stationen wächst, wird das System durchaus attraktiv. Vielfahrer können mit dem Wechselsystem definitiv Zeit und auch Geld sparen. Ganz eilige Fahrer haben dann nur noch ein Problem: Sie müssen während des Batteriewechsels im Auto sitzen bleiben und können die Zeit nicht für eine schnelle WC-Pause nutzen.
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