Kultobjekt Lavalampe «Wer diese Lampe kauft, braucht keine Drogen mehr»
Vor 60 Jahren ging einem Piloten, FKK-Aktivisten und Pub-Besucher ein besonderes Licht auf. Bis heute wird seine Erfindung an der englischen Küste hergestellt. Ein Besuch in Poole.
Wenn man erzählt, dass man zum Geburtsort der Lavalampe fährt, weiss zwar jeder, um welches Produkt es sich handelt, aber keiner errät, in welche Richtung die Reise eigentlich geht. Kaum jemand weiss, dass die Lavalampe in dem kleinen Küstenort Poole in der englischen Grafschaft Dorset erfunden wurde und bis heute dort produziert wird.
Bis chinesische Kopien in den Nullerjahren den Markt überschwemmten, kam jedes Exemplar aus dem kleinen Betrieb namens Mathmos (bis 1990 hiess die Marke Crestworth) im Gewerbegebiet von Poole. Der Ort hat den typischen Charme britischer Seebäder – ein bisschen möwenverdreckt, aber auch ein bisschen mondän. Während der Corona-Jahre hätten sich einige Premier-League-Spieler hier Häuser am Wasser gekauft, erzählt der Taxifahrer, und an den schönen Sommerwochenenden würden die Städter heute die 111 Meilen von London bis hierher überwiegend im Stau stehen.
Als Eieruhr überzeugte das System nicht
Fernab der Uferpromenade, im neuen Bürogebäude der kleinen Firma, wartet Cressida Granger, eine freundliche ältere Dame, die seit über 30 Jahren Herrin über die Lavalampen ist. Sie ist hier in der Gegend aufgewachsen, aber auch sie wusste lange nicht, dass es sich dabei um ein regionales Produkt handelte, das seit den 1960er-Jahren auf einem nahezu unveränderten Prinzip beruht: Wachs am Boden einer gefüllten Flasche wird durch die Abwärme einer darunterliegende Lampe erwärmt und beginnt, wenn es nach etwa einer Stunde weich genug ist, in leuchtenden Blasen durch die Flüssigkeit zu schweben, vermengt und trennt sich unablässig in einer einzigen ruhigen Bewegung, die das Ganze zu einem hypnotisierenden Dekorationsobjekt macht.
Erfunden hat es Edward Craven Walker, ein Mann, der nicht nur dem Namen, sondern wohl auch dem Wesen nach eine sehr britische Persönlichkeit war. Craven Walker war Pilot im Zweiten Weltkrieg und übte den Beruf auch danach mit Leidenschaft aus. In einem Pub beobachtete er eines Tages eine ulkige Vorrichtung, bei der von einer Glühbirne geschmolzenes Wachs als Zeitmesser fürs Eierkochen dienen sollte. Als Eieruhr war das System nicht allzu geeignet, aber etwas an dem Prinzip faszinierte Craven Walker, und in seiner Gartenwerkstatt begann er, mit wachsgefüllten Flaschen zu experimentieren, bis er schliesslich mit einer kegelförmigen Saftflasche der Marke «Tree Top» die besten Ergebnisse hinsichtlich Wärme- und Wachsverteilung erzielte. Ausserdem platzierte er eine kleine Stahlfeder am Boden, die das Wachs stabilisierte und beim Abkühlen wieder unten sammelte. Mit diesem simplen Aufbau entstanden 1963 die ersten Wachsleuchten, die Walker «Astro Lamps» nannte.
Die Lichtobjekte mit ihren schwebenden, bunten Blasen boten eine bis dato ungesehene Optik und passten sehr gut ins Design der «Space Age»-Epoche, in der organische Formen, neuartige Plastikmöbel und knallige Farben Einzug in die Wohnzimmer hielten. Aber da es sich um ein vollkommen neues Produkt ohne praktische Funktion handelte, taten sich Craven Walker und seine Frau Christine anfangs schwer, ihr Produkt bekannt zu machen. Im Lieferwagen tingelten sie zu Messen und Händlern und schalteten Anzeigen – auf denen freilich der eigentliche Zauber schwer abzubilden war.
Mit Ringo Starr ging die erste Lavawelle los
Hilfe kam wenige Jahre nach Beginn der Lampenproduktion via Fernsehschirm, als einige Astro-Lamps in der populären britischen Serie «Dr. Who» zu sehen waren. Auch andere Science-Fiction-Produktionen nutzten danach die schwerelosen und futuristischen Effekte der Leuchten für ihre Kulissen.
«Eines Tages kam ein Anruf von einem Laden in Birkenhead, der unsere Lampen führte, und der Besitzer erzählte, dass Ringo Starr gerade eine gekauft hätte. Da hatten wir das Gefühl, dass es jetzt losgeht», erinnert sich Christine Baehr, die Witwe von Craven Walker, die an diesem Sommernachmittag hochbetagt extra noch mal zu Besuch zu Mathmos gekommen ist, um von ihren Jahren an der Seite des rastlosen Unternehmers zu erzählen – und von der ersten Lavawelle, die sie mit ihm erlebte. Tatsächlich wurden Astro-Lamps dann zu einem Accessoire der 68er-Jugendkultur und sorgten für vergleichsweise wenig Geld für Pop-Art in den Wohnungen.
Harrods passten sie nicht «zum Stil des Hauses»
Der Sprung auf den US-Markt brachte den Namen «Lava-Light» mit sich, der sich später überall durchsetzte. Psychedelische Musik und das allgemeine Bedürfnis nach Sinneserweiterung bildeten in diesen Jahren das natürliche Umfeld für die sanften Lichtquellen, auch wenn das nicht jedem gefiel. «Im Kaufhaus Harrods in London haben sie damals den Tisch mit unseren Lampen nach einem Tag wieder abgebaut und gesagt, es passe nicht zum Stil des Hauses», erinnert sich Christine Baehr. Heute gilt dieser Bann dort nicht mehr. Von Erfinder Craven Walker selbst ist das Zitat überliefert: «Wer diese Lampe kauft, braucht keine Drogen mehr.» Manche haben damals aber vermutlich doch beides zusammen ausprobiert.
So schnell wie die Welt der Faszination der skurrilen Lavalampe erlag, so schnell erkaltete der Trend auch wieder. In die sterile Ästhetik der 1980er-Jahre passte das hippieske Dämmerlicht nicht mehr, die kleine Manufaktur Crestworth in Dorset und ihr Wachslicht gerieten in Vergessenheit. Edward Craven Walker frönte anderen Passionen, etwa als Helikopterpilot und FKK-Aktivist, er hatte unter anderem bei einigen der ersten Filme zur Nudistenkultur in Grossbritannien Regie geführt.
Das Wachs blieb kalt, bis eines Tages Ende der 1980er-Jahre die junge Cressida Granger zufällig auf ein paar ausrangierte Lavalampen stiess. Granger hatte damals gerade ihr Kunstgeschichtsstudium abgeschlossen und in London einen kleinen Handel mit Designklassikern der 1960er- und 1970er-Jahre begonnen. Von designaffinen Kunden wurden ihr die Lavalampen aus den Händen gerissen und sie fing an, überall nach Nachschub zu suchen.
Der Name Mathmos geht auf die mysteriöse Lavaflüssigkeit im frivolen Kultfilm «Barbarella» zurück.
Eines Tages fiel ihr dabei ein Exemplar im Originalkarton in die Hände, auf dem die Adresse des Herstellers stand – zu ihrer Überraschung der Name ihres Heimatortes. Ob die Firma noch existierte oder gar noch Lampen produzierte, konnte Granger aber lange nicht in Erfahrung bringen, bis sie eines Tages Craven Walker ans Telefon bekam, der sie kurzerhand zu sich einlud.
Bis heute erinnert sich Granger eindrücklich an die seltsame erste Begegnung mit dem Erfinder, die Kurzversion geht so: Sie war damals 26 Jahre alt und nur nach Poole gekommen, um zu sehen, ob sie vielleicht Restbestände aufkaufen könnte. Sie fuhr wieder als Miteigentümerin einer Leuchtenmanufaktur, die fast keinen Umsatz mehr machte – aber immer noch das Patent auf ein eigenwilliges Produkt hielt. Zusammen mit einem weiteren Kompagnon übernahm sie die Firma dann schliesslich ganz und gab ihr den Namen Mathmos – inspiriert vom Namen der mysteriösen Lavaflüssigkeit im frivolen Kultfilm «Barbarella» aus dem Jahr 1968.
Was dann folgte, brachten der jungen Quereinsteigerin Granger mehrfach Nominierungen als «Unternehmerin des Jahres» ein. In wenigen Jahren machte Mathmos mit den Lampen wieder Millionenumsätze, die zweite Lavawelle fiel noch umfangreicher aus, die ganze Retrobegeisterung der 90er-Jahre und jede zweite Studenten-WG wurde mit weichem Blubberwachs aus Dorset beleuchtet. «Das Patent war damals zwar ziemlich bald ausgelaufen, aber irgendwie bekam das lange niemand mit», erklärt Granger den enormen Erfolg jener Jahre, in denen sie das Monopol auf die Leuchten hatte und mit der Produktion kaum nachkam – unglaubliche 700’000 verkaufte Lampen pro Jahr waren es zu Spitzenzeiten. Craven Walker, der im Jahr 2000 starb, erlebte die zweite Welle seiner Erfindung.
Die warm-wabernden Wachsmassen faszinieren auch im digitalen Zeitalter.
Im Showroom, in dem es dank ein paar Dutzend laufender Lampen sehr warm ist, sieht man heute, dass das Sortiment zwar etwas breiter geworden ist, ein paar unterschiedliche Grössen und Glaszylinder, Kinderlampen und solche, die mit Kerzen betrieben werden können, sind dazugekommen. Der Charme des Urprodukts ist aber auch an seinem 60. Geburtstag noch sehr nah, und die warm-wabernden Wachsmassen haben auch im digitalen Zeitalter nichts an Faszination eingebüsst: Immer anders, immer neu fliesst das Wachs ineinander.
Kooperationen mit Designern sollen seit einiger Zeit dabei helfen, das Kultobjekt weniger anfällig für Moden zu machen und dauerhaft in der Wohnung zu verankern. Weniger psychedelisch und bunt sind die Lampen aber auch in Wellness- oder Ruheumgebungen gut brauchbar – zum Geburtstag werden in diesen Tagen limitierte Editionen von zeitgenössischen Designstars wie Camille Walala oder Studio Job vorgestellt, die die Möglichkeiten der Lava neu ausloten.
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