Kühner Plan im Volleyball Jung, unerfahren, einheimisch – ein Club greift nur mit Schweizerinnen an
Mit der Volleyball Academy steigt ein Team in die NLA-Saison, das Schweizerinnen zu Profis machen will. Die jungen Frauen träumen von Grossem.
Die Stimme ist tief und rau wie immer schon, der Blick fest, das Haar blond und zu einem Schwanz gebunden. Doch etwas an Svetlana Ilic ist anders: Als sie über ihre neue Arbeit redet, tut sie das auf Deutsch.
Rund zehn Jahre ihres Lebens verbrachte die gebürtige Serbin in der Schweiz, jetzt traut sie sich erstmals, in der Landessprache zu sprechen, «allerdings noch nicht auf Schweizerdeutsch», entschuldigt sie sich. Sie habe zwar schon immer einiges verstanden, aber sie sei halt Trainerin, sagt Ilic – und als solche eine Perfektionistin.
Ilic war einst eine brillante Aussenangreiferin und bald auch ein angesehener Coach. Volero-Präsident Stav Jacobi holte sie 2009 nach Zürich, Ilic wurde Jahr für Jahr Meisterin und Cupsiegerin, später auch zur Schweizer Nationaltrainerin. Dann zog sie weiter, etwa nach Russland, zum Starteam von Dynamo Moskau. Seit drei Jahren ist sie zurück. Und hat jetzt einen Job, der nicht viel mit dem gemein hat, was sie in Russland tat.
Dort war nur der Sieg gut genug, Spielerinnen wurden geholt und aussortiert, sie spürte die kühle Atmosphäre des Profitums, die auch im Volleyball herrschen kann. Die Saisons waren lang und streng, am einen Ort herrschten plus 20 Grad, am nächsten minus 25. Die langen Reisen im Flugzeug setzten allen zu, auch Ilic. Dagegen muss das, wofür sie nun verantwortlich ist, schon fast sein wie eine Wohlfühloase.
Das Projekt, das in Bülach verfolgt wird, ist ein kühnes. Ilics Team der Volleyball Academy will die Nationalliga A aufmischen. Und zwar nur mit Schweizerinnen. Einzig eine Norwegerin steht im 15-Frau-Kader, weil sich eine Mittelblockerin letzte Saison am Knie verletzte. Ähnliches gab es hierzulande noch nie.
Auf einmal ist Jacobi weg – wie die Ausländerinnen
Vor drei Jahren begann die Volleyball Academy als Leistungszentrum – gelabelt vom nationalen Verband Swiss Volley. Jacobi, der mehr als ein Jahrzehnt lang Dutzende Millionen in Volero steckte, um einmal die Champions League zu gewinnen, was nie gelang, war Mitgründer. Die Akademie erhielt einen festen Platz in der 1. Liga. Gleichzeitig kehrte Volero zurück in die nationale Liga und stieg bald in die NLA auf. Das Team: gespickt mit Ausländerinnen.
In dieser Saison nun, die am Samstag beginnt, ist alles anders. Jacobi hat mit dem Projekt kaum mehr etwas zu tun, der Name Volero ist verschwunden – wie die Ausländerinnen. Die Volleyball Academy hat zusätzlich zum 1.-Liga-Team den Platz von Volero in der NLA übernommen. Bald soll dieses das Label als nationales Ausbildungsteam bekommen und dann voraussichtlich nicht mehr aus der höchsten Liga absteigen können. Jacobi, der gebürtige Russe, der längst Schweizer ist, konzentriert sich auf sein europäisches Spitzenteam Volero Le Cannet in Frankreichs Ligue 1.
Macher ist in Bülach ein anderer: Vassilios Koutsogiannakis, viele Jahre Präsident des VBC Züri Unterland und seit ihrer Gründung bei der Volleyball Academy in derselben Funktion. Er sitzt in einem Sessel in den Büroräumlichkeiten in Bülach und redet über das Projekt, das mittlerweile zu einem eindrücklichen Konstrukt ausgewachsen ist.
Neu gibt es auch Beachvolleyball
In dieses wurde nicht nur das NLA-Team, sondern auch das Regionale Trainingszentrum fusioniert. Der Verein arbeitet mit dem Sportgymnasium Rämibühl, der Sport Academy Zürich und der United School of Sports zusammen, in denen die Spielerinnen Matur und KV absolvieren können. Aadorf, Baden, Luzern und Züri Unterland gehören zu den Partnerclubs in der NLB. Und in Bülach gibt es neu auch eine Beachvolleyball-Abteilung.
Es sollen möglichst viele Talente aus der ganzen Schweiz hierhergelockt werden, auch solche, die sich noch nicht entschieden haben, ob sie in der Halle oder auf Sand eine Karriere anstreben. Das ist das grosse Ziel aller Spielerinnen, die sich hier anmelden: Sie wollen Profis werden, im Ausland spielen, von ihrem Sport leben.
«Wir machen das Ganze hier nicht, damit unsere Spielerinnen für immer in der Schweiz bleiben.»
Auf zwei Sesseln haben Mia Lüthi und Chiara Ammirati Platz genommen, die eine aufstrebende Passeuse aus dem Thurgau, die andere eine gestandenere Angreiferin aus dem Tessin. 19 ist Lüthi jüngst geworden, vor einem Jahr kam sie aus Aadorf. Für sie ist das hier auch eine Art Traumfabrik, bald redet sie von den Profiligen in Italien und der Türkei, mitunter die höchsten aller Ziele für eine Volleyballerin. Dafür steht sie über 20 Stunden pro Woche in der Halle und schuftet im Kraftraum. Daneben arbeitet sie bei der United School of Sports an der Berufsmatur, lässt sich bei einer Versicherung zur Kauffrau ausbilden, später will sie ein Fernstudium beginnen. Leben aber will sie von ihrem Sport.
2024 hat sie ihre Ausbildung abgeschlossen, dann soll sie bereit sein für den Sprung ins Ausland. Und sie wird es sein, Lüthi ist überzeugt. Schliesslich wird in der Klotener Sporthalle Ruebisbach genau darauf hingearbeitet. Präsident Koutsogiannakis sagt: «Wir machen das Ganze hier nicht, damit unsere Spielerinnen für immer in der Schweiz bleiben.»
Sie bezwangen ein französisches Topteam
Doch um auf sich aufmerksam zu machen, reichen die Spiele in der Schweizer Liga kaum. Deshalb sucht Koutsogiannakis für seine Spielerinnen das internationale Schaufenster. Jüngst spielten sie an einem Turnier beim italienischen Spitzenteam Novara – und schlugen dort prompt Terville Florange aus der höchsten französischen Liga. Die beste Angreiferin? Die Topskorerin? Die Spielerin mit der besten Annahme? Die Tessinerin Chiara Ammirati.
Prompt erhielt sie ein Angebot eines griechischen Vereins. Doch die 21-Jährige lassen die Verantwortlichen nicht so schnell ziehen, zu wertvoll ist sie mit ihrer Erfahrung für das Team.
Ammirati steht an einem anderen Punkt in ihrer Karriere als Lüthi. Sie ist eine von nur drei Spielerinnen in der Volleyball Academy, die über einen Vertrag mit Fixlohn verfügen. Die meisten anderen der knapp 50 Spielerinnen bezahlen einen Jahresbeitrag von rund 7500 Franken – wie Lüthi. 400’000 Franken des 1-Millionen-Budgets werden so gedeckt. Der Rest setzt sich aus Subventionen von Swiss Olympic, des regionalen und nationalen Volleyballverbandes, aus Geldern von J&S sowie vom Sportamt des Kantons Zürich und durch die Unterstützung der Gemeinden Kloten und Bülach zusammen. Ausserdem sind die Sponsoren mehr geworden, nun, da das Projekt mit einem Schweizerinnen-Team in der NLA greifbarer wurde.
So kann die Akademie einigen Spielerinnen auch Wohnungen direkt neben dem Hauptsitz in Bülach anbieten. Ammirati wohnt hier mit drei Teamkolleginnen in einer WG, auch teilen sie sich ein Auto. Das Zusammenleben funktioniere gut, sagt Ammirati, «wir haben ja zum Glück zwei Badezimmer», dann lacht sie schallend.
Ammirati ist eine der Leaderinnen im Team, letzte Saison hat sie schon für Volero in der NLA gespielt, «aber das jetzt ist unglaublich», sagt sie. «Es ist das erste Mal, dass es in der Liga ein so gutes Team gibt, das nur aus Schweizerinnen besteht.» Und: «Im letzten Jahr mussten wir immer gewinnen. Jetzt können wir wachsen.»
Es ist ein Satz, der Trainerin Ilic gefällt. Als Coach sei sie schon immer mehr gewesen als eben nur das, «jede Spielerin ist zuerst Mensch», sagt die 51-Jährige. «Jetzt aber ist das noch ausgeprägter, die Athletinnen sind so jung und unerfahren, da kann es nicht nur um einen Ball gehen und die Stunden in der Halle. Von Profis kann ich Abstand nehmen, die haben ihr privates Leben, für sie ist Volleyball ein Job. Hier ist das komplett anders, bin ich auch neben dem Feld für viele die Ansprechperson.»
Ihr gefällt die Rolle als Ausbilderin, sie könne zur Entwicklung junger Spielerinnen beitragen und auch dafür sorgen, dass diese «anständige Menschen» würden.
Passeuse Lüthi sagt über ihre Trainerin: «Sie war selbst Spielerin, wir spüren, dass sie uns versteht, wenn wir auch einmal einen schlechten Tag haben. Sie weiss genau, wie sie mit uns umgehen muss. In jedem ihrer Sätze ist ihre Erfahrung zu hören.» Und ja, sagt Lüthi auch noch: «Unterschätzen sollte uns in der NLA niemand. Und wer es tut, ist selbst schuld.»
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