Das Gehirn als HausWarum wir so viel vergessen
Was wollten Sie jetzt schon wieder machen? Dieser Text hilft Ihnen vielleicht auf die Sprünge.
Der Türschwelleneffekt ist ein psychologisches Phänomen, das immer dann auftritt, wenn man ein neues Zimmer betritt und dann …
… was wollten wir gerade schreiben?
Das Problem, dass wir in den Keller steigen und vergessen, was wir dort wollten, und nochmals in die Wohnung hochsteigen müssen, um wieder draufzukommen, ist eine Form von Kurzzeitgedächtnisverlust, der wohl den meisten vertraut ist.
Er kann auftreten, wenn man im Wortsinn eine Türschwelle überquert und in ein neues Zimmer tritt, aber auch, wenn man sprichwörtlich ein Zimmer verlässt und in ein neues wechselt, zum Beispiel, wenn man von der Excel-Tabelle kurz zu Instagram klickt.
Das Ganze wurde 2006 in einem Experiment nachgewiesen: Die Studienteilnehmenden wurden aufgefordert, in einem Raum verschiedene Gegenstände (schwarzer Würfel, weisse Kugel, roter Keil usw.) vom Tisch zu nehmen, in eine Schachtel mit Deckel zu tun und die Schachtel in einen anderen Raum zu tragen. Dort wurden sie befragt, welche Objekte sich in der Schachtel befinden. Diesen Vorgang wiederholten sie in einem grösseren Raum, in dem es keinen Durchgang gab. Als die Wissenschaftler die Ergebnisse der beiden Szenarien verglichen, stellten sie fest, dass die Probanden in der Umgebung mit der – Sie ahnen es – Tür viel häufiger dazu neigten, zu vergessen, welche Gegenstände sie in der Schachtel bei sich trugen.
Die Erklärung: Wir können uns nicht an alles erinnern.
Wir haben ein episodisches Gedächtnis, das heisst, wir verknüpfen unsere Erinnerung an Ereignisse und Orte. Deshalb fallen uns Episoden aus unserer Kindheit wieder ein, wenn wir wieder auf dem Pausenhof unserer Primarschule stehen, deshalb fällt uns erst, wenn wir aus dem Keller wieder hochgestiegen sind, ein, was wir unten wollten.
Man muss sich das Gehirn wie ein Haus vorstellen, es benutzt Markierungen – Zimmer – in denen eine Aufgabe bearbeitet wird, und sobald wir das Zimmer verlassen, legt es das Thema als «erledigt» ab. Manchmal ist das ein Problem, wenn eine Matheaufgabe zum Beispiel noch nicht erledigt ist, man aber «das Zimmer» verlässt, um sich auf Instagram Delfine, die mit Waschbären kommunizieren, anzuschauen, und dann wieder ins alte Zimmer zurückkehrt und beim besten Willen nicht mehr weiss, was es mit der Matheaufgabe auf sich hat.
Manchmal ist es aber auch ein Segen, denn das eigentliche Problem mit dem Gedächtnis ist ja nicht, dass wir zu vieles vergessen, sondern dass wir uns an zu vieles erinnern. Besonders an das, was wir unbedingt vergessen wollen. Und hier kann der Türschwelleneffekt uns eben helfen: Wer verzweifelt über etwas grübelt, ohne voranzukommen, wen Erinnerungen plagen wie böse Geister, der sollte aufstehen und das Zimmer wechseln, um neue Eindrücke zu erhalten. Nichts erfrischt so sehr wie ein Ortswechsel, ein Umzug oder gar ein Auslandsaufenthalt.
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