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Interview zu gefeierter Forschung
«Es stimmt nicht, dass nur die Besten den Nobelpreis bekommen»

Women clean the carpet in front of a bust of Swedish philanthropist and scientist Alfred Nobel at the Stockholm Concert Hall as preparations are under way for the awarding ceremony of the 2015 Nobel Prizes on December 10, 2015 in Stockholm. The 2015 laureates will receive their prizes, which consist of a diploma, a gold medal and the prize sum of eight million Swedish kronor (about 860,000 euros, $950,000), at formal ceremonies in Stockholm and Oslo as tradition dictates on December 10, the anniversary of the death of Alfred Nobel in 1896.      AFP PHOTO / SOREN ANDERSSON (Photo by SOREN ANDERSSON / AFP)
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Heute beginnt in Stockholm die Nobelpreiswoche. In den nächsten Tagen werden die Forschenden gefeiert und offiziell geehrt, die im Oktober den Nobelpreis erhalten haben. Der Nobelpreis gilt als grösste wissenschaftliche Anerkennung. Aber werden immer die Richtigen geehrt?

Nils Hansson hat da seine Zweifel. Er ist Medizinhistoriker an der Uni Düsseldorf und forscht zur Bedeutung von Anerkennung in den Wissenschaften. In seinem Buch «Wie man keinen Nobelpreis gewinnt» beleuchtet er verkannte Genies.

Herr Hansson, haben die Richtigen den Nobelpreis erhalten?

Man kann objektiv gar nicht sagen, wer der oder die Richtige für den Nobelpreis ist. In der Presse heisst es oft, der Preis sei so etwas wie die Olympiade für die Wissenschaft – ein schlechter Vergleich. Bei Athleten kann man genau messen, wer am höchsten springt oder am schnellsten läuft. Aber so ist das in den Wissenschaften eben nicht.

Klingt so, als sei der Nobelpreis wenig aussagekräftig. Dabei gilt das doch als die höchste Auszeichnung überhaupt.

Ich befasse mich jetzt seit zehn Jahren mit dem Nobelpreis, aber ich habe immer noch keine Antwort darauf, warum er so wichtig ist, dass sämtliche Medien berichten und er in den «Simpsons» auftaucht. Der Preis kommt wie ich aus Schweden, das ist in vielerlei Hinsicht peripher, auch wissenschaftlich gesehen. Er ist nicht mal der älteste Preis, auch wenn er seit 1901 vergeben wird. Und auch das Geld – man bekommt eine knappe Million Euro mittlerweile, aber es gibt andere Preise mit noch höheren Geldern. Auf Schwedisch sagt man: Das ist ein Klavier, das von selbst spielt.

Sagen Preise generell womöglich nicht so viel aus?

Wir wissen recht wenig über die Rolle von Preisen. Nicht nur für den Nobelpreis gilt, dass man infrage stellen kann, wie aussagekräftig er ist und wie die Auswahl zustande kommt. Da könnte man etwa auch auf die Oscars schauen.

Ihr Buch heisst «Wie man keinen Nobelpreis gewinnt». Ein Weg wäre auf alle Fälle: indem man eine Frau ist.

Ja, das ist ein internationales Muster: Frauen bekommen in den vergangenen Jahren zwar nach und nach mehr Preise, aber die wichtigen, sichtbaren, hoch dotierten gehen meist an Männer.

Warum?

Frauen verdienen weniger, sie werden weniger oft befördert, und sie werden in der Wissenschaft seltener zitiert. Bekannt ist der sogenannte Matilda-Effekt: Wegen einer Art gesellschaftlicher Voreingenommenheit werden die Beiträge von Wissenschaftlerinnen nicht nur ignoriert, sondern auch unterdrückt. Das führt dann zum Gender Award Gap, der Preislücke eben.

Und was kann man dagegen tun?

Bei manchen Nachwuchspreisen, die etwa bis 35 vergeben werden, würde es schon helfen, wenn nicht das biologische Alter zählt, sondern das akademische, weil Frauen aus Familiengründen oft länger zu Hause sind als Männer. Man sollte die Vergabe transparenter und zugänglicher gestalten – auch beim Nobelpreis.

Für Ihre Recherchen waren Sie im Nobelpreis-Archiv in Stockholm und konnten mit Teilen des Komitees sprechen. Wie also kommt die Auswahl zustande?

Leider gilt für die Akten eine Sperrfrist von 50 Jahren, die nähere Vergangenheit ist darum kaum nachvollziehbar. Überrascht hat mich, wie viel Arbeit dahintersteckt. Das Komitee ist nicht einfach so ein Klüngel-Ding. Die machen sich zu wirklich jeder Nominierung Gedanken und schreiben Gutachten, die teils 50 oder 100 Seiten umfassen. Die letzte Sitzung, in der die finale Entscheidung fällt, wird leider nicht protokolliert.

Für mehr Preisträgerinnen müsste sich vielleicht auch die Besetzung des Komitees ändern.

Wir wissen ja nicht, wie viele Frauen überhaupt nominiert wurden in den letzten 50 Jahren. Es kann sein, dass die wissenschaftliche Community nicht genug Frauen vorschlägt. Da müssen die Komitee-Mitglieder selbst aktiv werden und gezielt nach Frauen suchen.

Aber in der Vergangenheit haben nicht immer die Vorschläge gefehlt. Berühmt etwa ist das Beispiel der Physikerin Lise Meitner, die entscheidend zur Entdeckung der Kernspaltung beitrug und 48-mal nominiert war.

Und gewonnen hat dann ihr Kollege Otto Hahn, ja. Es stimmt eben nicht, dass nur die Besten den Nobelpreis bekommen.

Im Buch beschreiben Sie den Nobelpreis so: «Ein Schwede verleiht den Preis an alte Herren aus den USA.»

Als wären die die absolut besten Wissenschaftler. Aber um einen Preis zu bekommen, ist nicht nur die Leistung entscheidend, sondern auch die Lobby um einen herum. An amerikanischen Universitäten gibt es da eine ganz andere Kultur, Nominierungsgruppen, die gezielt absprechen, wer wen wann für welchen Preis vorschlägt. Es ist auch ein soziales Spiel.

Zu den Erfindungen, die nie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, gehören etwa Dialyse, Narkose und Ultraschall. Über welches Beispiel staunen Sie selbst noch?

Etwa über Themistocles Gluck, einen Orthopäden, der Ende des 19. Jahrhunderts schon künstliche Gelenke geschaffen hat. Das ist ja eine der am häufigsten durchgeführten Operationen heutzutage! Aber damals hiess es, na ja, so richtig funktioniert das nicht in der Praxis, und dieser Gluck hat ja nicht mal einen Lehrstuhl. Manche Entdeckung ist zu visionär für den Nobelpreis.

Einer der berühmtesten Nicht-Gewinner, den sie im Buch nennen, ist Sigmund Freud.

Freud war 33-mal nominiert. Nicht nur für den Medizinpreis, sondern auch für den Literaturpreis. Und das war sein Problem: Die Literaten sagten, der soll doch zur Medizin gehen, und die Mediziner sagten, der ist viel zu literarisch.

Was ist aus Ihrer Sicht heute eine Erfindung, die total unterschätzt wird?

Das Cochlea-Implantat etwa. Damit können viele Menschen wieder hören, da könnte ich mir vorstellen, dass es dafür doch noch einen Nobelpreis gibt. Oder Richard Doll wäre ein Kandidat, ein britischer Arzt, der erstmals den Zusammenhang zwischen Zigaretten und Krebsrisiko hergestellt hat.

Sie beschreiben lauter Niederlagen. Wie kann ein produktiver Umgang mit dem Scheitern aussehen?

Carl Djerassi etwa, dessen Forschung die Antibabypille ermöglichte, hat seine Niederlagen in einem Roman und einem Theaterstück verarbeitet. Es gibt an Unis auch immer mehr «Fuck-up-Nights», bei denen Forscherinnen und Forscher über ihre schlimmsten Erlebnisse berichten. Oder Lebensläufe, in denen Misserfolge aufgelistet werden. Aber ehrlich gesagt sind die Leute, die da mitmachen, oft sehr erfolgreich und kokettieren dann ein bisschen. Produktiv wäre: ehrlich über das eigene Scheitern sprechen.

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