Krise im GesundheitswesenEr lässt Spitäler schliessen und Leute entlassen – droht nun die Abwahl?
Regierungsrat Bruno Damann will das St. Galler Spitalsystem umkrempeln. Dabei hat er den Volkszorn geweckt. Nun kommen die Wahlen.
Bruno Damann ist gelernter Hausarzt und St. Galler Gesundheitsdirektor (Mitte), er raucht nicht und trinkt keinen Kaffee. Man könnte fast sagen: ein Vorbild.
Vor sieben Jahren erlitt er als neu gewählter Regierungsrat einen Herzinfarkt nach einer Velofahrt. Weil er die Signale falsch deutete und nicht gleich zum Arzt ging, pumpt sein Herz heute nur noch mit Zweidrittelkraft. Hohe Alpenpässe sind seitdem für den Hobbyvelofahrer tabu. Damann begnügt sich darum mit Flachlandtouren, zum Beispiel an die Quelle des deutschen Flusses Neckar, wie diesen Sommer. 911 Kilometer in neun Tagen. Auch nicht so schlecht.
Signale falsch deuten. Entscheide verschleppen. Es ist ernst. Ganz ähnlich klingt es auch von Damanns grösster beruflicher Baustelle: der Spitallandschaft St. Gallen.
Sie ist seit Jahren defizitär und in einem so schlechten Zustand, dass a) der Kanton 2022 mit 163 Millionen Franken einspringen musste, b) man vier Spitäler schloss und c) einen Abbau von 440 Stellen ankündigte, davon 117 als Entlassungen – dies in Zeiten des Fachkräftemangels.
155 Millionen Verlust in zwei Jahren
St. Gallen ist mit seinen Problemen kein Einzelfall, die Schweizer Spitäler stecken in der Krise. Doch in St. Gallen ist sie am grössten. Neben den tiefen Tarifen befinden sich die Gewinnmargen seit Jahren im problematischen Bereich, hohe Abschreiber drücken das Ergebnis, durch die Defizite sind die Spitäler zum grössten finanziellen Risiko des Kantons geworden. Der Verlust betrug im Jahr 2022 rund 53 Millionen Franken, 2021 waren es 102 Millionen. Trotzdem hat man jahrelang kaum etwas dagegen unternommen. Weshalb eigentlich?
Damann, ein trockener, aber gar nicht so humorloser Mann, sagt dazu: «Der Pathologe ist immer der Gescheiteste.» Für alle Nichtmediziner: Der Pathologe ist derjenige Spezialist, der sich am Ende über den toten Patienten beugt.
So weit ist es mit den St. Galler Spitälern noch nicht, doch 2020 strich man unter grossem Protest vier von neun Spitälern. Im Oktober kam es zum nächsten Klapf: dem angekündigten Stellenabbau von 440 Personen.
Die Menschen gingen auf die Strassen, sie protestierten und forderten Damanns Rücktritt («Totes Krankenhaus. Bruno Damann raus»). Es half auch nicht, dass der Verwaltungsratspräsident des Spitals den verbliebenen Angestellten riet, sie sollen doch künftig einfach «intelligenter» arbeiten.
Und es machte die Situation auch nicht besser als das «St. Galler Tagblatt» über den Fall einer Pflegefachfrau schrieb. Sie hatte 35 Jahre im Spital gearbeitet, innerhalb von sieben Minuten wurde ihr gekündigt. Eine emotionale Angelegenheit wurde noch emotionaler.
Regierungsrat Damann sagt, dass er hinter dem Entscheid stehe, die Kommunikation sei aber mehr als nur unglücklich gewesen, was er der Leitung mitgeteilt habe. Die Sache ärgert ihn.
Der Arzt Damann hat seine Dissertation über gerissene Kreuzbänder geschrieben. Er befand damals, dass gute Resultate nicht nur wegen der Operationen entstünden, sondern auch wegen einer guten Nachbehandlung. Nun verscherzt er es ausgerechnet mit jenen, die dafür sorgen. Damann nickt. Und versucht zu erklären.
Verglichen mit dem Rest des Landes sei man in St. Gallen beim Pflegepersonal eher überdotiert gewesen, zudem habe sich der Fachkräftemangel etwas entschärft. Und eine sehr gefragte Stelle auf der Intensivstation könne man nicht mit einer Person aus der überdotierten Administration ersetzen.
Es droht: Die Abwahl
Für Damann geht es nicht nur um die Rettung eines höchst defizitären Spitalsystems. Es geht auch um seine persönliche Zukunft. Am 3. März wählt St. Gallen seine Regierungsräte. Und die Vergangenheit zeigt: Wer in diesem Kanton an den Spitälern herumfuhrwerkt, muss um seine Wiederwahl fürchten.
Dazu gibt es eine Geschichte über Damanns Vorvorgänger Anton Grüninger. Der CVP-Politiker plante ebenfalls Spitalschliessungen – und wurde abgewählt. Grüningers Nachfolgerin Heidi Hanselmann von der SP wiederum hatte ein klares politisches Programm: keine Spitalschliessungen. Als diese unumgänglich schienen, trat sie ab. Es kam Damann.
Ursprünglich war er Volkswirtschaftsdirektor und als solcher bestgewählter Regierungsrat. Dann wurde er von seinen Kollegen 2020 zum Gesundheitsdirektor verknurrt. Seither gings im Departement vorwärts. Andere sagen: Damann wurde dazu gedrängt, vorwärtszumachen.
Massive Kritik kommt vor allem von der linken Seite, zuletzt wegen der Massenentlassung. «Er hat Vertrauen zerstört», sagt Barbara Gysi, St. Galler SP-Nationalrätin, Gesundheitspolitikerin und ein Gesicht der erfolgreichen Pflegeinitiative.
Die Wiederwahl von Damann sei infrage gestellt, weil er in seiner Arbeit oft wegschaue und niemandem auf die Füsse treten wolle. «Ich nehme ihn nicht als besonders verantwortungsvoll wahr. Er lässt den Verwaltungsrat gewähren, statt selbst aktiv zu werden», sagt Gysi.
Anders sieht das Tilman Slembeck, Professor an der ZHAW Zürich. Wenn der Ostschweizer Gesundheitsökonom über die Spitallandschaft St. Gallen spricht, hilft er sich gerne mit einer Metapher. Früher musste jedes Spital in zwei Stunden erreichbar sein – mit dem Ross. Heute habe das keinen Sinn mehr.
«Die Leute glauben noch immer, dass die Nähe zum Spital wichtig ist, dabei ist die Qualität des Angebots entscheidend.» Nur wollte das bisher kaum jemand wahrhaben. «Damann hat die Sache in die Hand genommen. Er ist sehr pragmatisch und ohne Illusionen.»
Das absurde Beispiel Wattwil
Damann selbst sieht sich nicht als Sanierer, sondern als Qualitätsoptimierer. «Ich als Mediziner sage, dass man keine guten Kaderleute findet, die in kleinen Spitälern arbeiten wollen.» Also ergebe es Sinn, diese zu streichen und die Patienten für Operationen in grössere Spitäler zu schicken.
Der Weg dorthin war voller Versäumnisse, das sieht man am Beispiel des Spitals Wattwil. 2014 beschloss das Stimmvolk eine Renovation und Erweiterung für 85 Millionen Franken. Zwei Tage vor der Einweihung verkündete man, dass das Spital geschlossen werden soll.
Unschön, sagt Damann in aller Kürze, so wie er ziemlich vieles in aller Kürze kommentiert. Zum Beispiel seine Wahlchancen: Bangt er? Ach, sagt der 67-Jährige mit einem Schulterzucken. Er sei nun in einem Alter, da sei ein Misserfolg nicht mehr so gravierend. Tatsächlich? «Ich bin zu fest Mediziner. Niederlagen gehören da zum Alltag, da lernt man schnell, dass man nicht alles retten kann.»
Es ist ein Pragmatismus, der Damann nun gut steht, ihm aber in der Pandemie viel Kritik einbrachte. Damals gab es die Kritik, dass er die Gefahren von Corona herunterspiele. Damann sagt, dass die Gesellschaft wieder lernen müsse, mit dem Sterben umzugehen. Man kann sich ihn gut vorstellen, wie er während dieser Aussage die Schultern gezuckt hat.
Nur einmal wird im Gespräch Damann lauter. Als es darum geht, ob die St. Galler im vergangenen Jahr die Spitalplanung Ostschweiz zu Fall brachte, also ein Zusammenschluss der Kantone St. Gallen, Thurgau, Graubünden, Glarus und Appenzell Inner- sowie Ausserrhoden verhinderte. «Nein, nein, nein, das ist völlig verkehrt.» Die Bündner hätten sich gegen Mindestfallzahlen, eine Art Qualitätskontrolle, gewehrt. Darum seien die Verhandlungen gescheitert.
Damann teilt die Meinung von Experten wie Tilman Slembeck, dass ein effizientes Gesundheitssystem auf solchen Spitalregionen aufbauen sollte, um Doppelspurigkeiten abzubauen. Er bezweifle aber, ob die Kantone selbst zu einer Lösung fähig seien. Darum: Der Bund soll ran. Das wäre dann eine Aufgabe für die neue Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP).
Regierungsrat Damann rechnet mit drei Jahren, bis die Transformation und die Spitalschliessungen abgeschlossen sein werden. 2027 will er eine schwarze Null schreiben, Politikerslang für: keine Verluste mehr machen. Dann könne er mit gutem Gefühl sein Departement an seinen Nachfolger übergeben.
Falls es denn mit der Wiederwahl klappt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.