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Krieg im Nahen Osten
Die Partnerschaft USA-Israel steht vor dem Härtetest

Israeli Defence Minister Yoav Gallant (R) and US Secretary of State Antony Blinken shake hands prior to a meeting in Tel Aviv on November 30, 2023. Blinken told Israeli leaders on November 30 that a temporary truce in their war with Hamas was "producing results" and should continue. (Photo by SAUL LOEB / POOL / AFP)

Sieben Tage lang funktionierte der Menschentausch. Bilder befreiter israelischer Geiseln und palästinensischer Häftlinge nährten im Nahen Osten Hoffnung. Als am Freitag der Krieg um Gaza erneut losbrach, verdüsterte sich die Perspektive – auch für das Verhältnis Israels zu seinem Schutzpatron USA.

Eine Abkühlung zwischen Washington und Jerusalem zeichnete sich schon am Donnerstag ab, nachdem US-Aussenminister Antony Blinken auf seiner vierten Reise ins Krisengebiet israelische und palästinensische Partner getroffen hatte. An einer Pressekonferenz gestand Blinken Israel zwar das Recht zu, eine Wiederholung des «Gemetzels» vom 7. Oktober zu verhindern. Die dafür verantwortliche Terrororganisation Hamas, sagte der US-Aussenminister, «darf nicht die Kontrolle über Gaza behalten».

Den überwiegenden Teil seiner Ausführungen widmete Blinken jedoch dem amerikanischen Ansinnen, der Zivilbevölkerung humanitäre Hilfe zukommen zu lassen und dafür zu sorgen, dass die israelischen Streitkräfte bei ihrem Vorstoss in den Süden des Gazastreifens umsichtiger vorgehen als im Norden. In der ersten Kriegsphase sollen bei massiven Bombenangriffen auf teils in Tunneln und zivilen Gebäuden versteckte Hamas-Stellungen gegen 15’000 Einwohner Gazas getötet worden sein, darunter eine Mehrheit von Frauen und Kindern. Die von Hamas-Behörden vermeldeten Opferzahlen lassen sich indes nicht unabhängig verifizieren.

Israel müsse sich an das humanitäre Völker- und Kriegsrecht halten, selbst im Kampf gegen eine Terroristengruppe, die weder das eine noch das andere respektiere, sagte Blinken. Und bevor Israel militärische Operationen wieder aufnehme, müssten «humanitäre Schutzpläne für die Zivilbevölkerung erarbeitet werden, damit zusätzliche Opferzahlen unschuldiger Palästinenser niedrig bleiben».

Eine von Blinkens Forderungen wurde schon am Freitag eingelöst: Israels Streitkräfte (IDF) veröffentlichten Karten von Gaza mit nummerierten Zonen und versprachen, die Einwohner jeweils darüber zu informieren, wo sie gefährdet sind und wo sie Schutz finden können.

«Wird der Hahn zugedreht, können wir nicht weiterkämpfen»

Hinter den Kulissen setzte Blinken die israelischen Kriegsplaner unter starken Druck. Die «Times of Israel» zitierte aus dem Transkript seines Treffens mit dem IDF-Kommandierenden Herzi Halevi und Verteidigungsminister Yoav Gallant. Dabei habe Gallant gesagt, die ganze israelische Gesellschaft stehe vereint hinter dem Ziel, die Hamas auseinanderzunehmen, selbst wenn dies Monate dauere. Blinkens Antwort: «Ich glaube nicht, dass ihr dafür den Kredit habt.»

Es ist unklar, an welchen Kredit Blinken dachte, den politischen in der Weltöffentlichkeit oder den finanziellen bezüglich Hilfe aus den USA. «Offenbar hat Israel die Tote-Juden-Kreditlimite erreicht», höhnte auf X Richard Goldberg von der israelfreundlichen Stiftung zur Verteidigung der Demokratien. Deren Chef Mark Dubowitz wurde auf dem gleichen Kanal konkreter: «Die Biden-Regierung macht sich daran, Israel fallen zu lassen.»

Vor dem Hintergrund der breiten Unterstützung, die Israel laut Umfragen in der amerikanischen Bevölkerung nach wie vor geniesst, wird sich Washington in absehbarer Zeit nicht von Jerusalem abwenden. Allerdings ist das kleine Land trotz der regional unerreichten Schlagkraft seiner Armee in hohem Mass auf US-Unterstützung angewiesen. Der ehemalige IDF-Generalmajor Yitzhak Brick sagte letzte Woche: «Alle unsere Lenkwaffen, die Munition, die Präzisionsbomben, alle Flugzeuge und Bomben, sie sind alle aus den USA. Wird der Hahn zugedreht, können wir nicht weiterkämpfen.»

Dass US-Präsident Joe Biden nach dem Hamas-Terrorschlag klare Worte der Solidarität fand und unverzüglich eine Beileidsreise antrat, wurde in Israel mit grosser Erleichterung wahrgenommen. Biden drückte damit seine Verbundenheit mit Israel aus, die er seit einem Treffen als Senator mit der damaligen Premierministerin Golda Meir im Jahr 1973 verspürt.

Als Israel danach am Yom-Kippur-Feiertag von seinen Nachbarn angegriffen wurde, agierte Washington aber anders als heute. Der diese Woche verstorbene Aussenminister Henry Kissinger betrieb im damaligen Krieg eine emsige «Shuttle-Diplomatie», flog von einer arabischen Hauptstadt in die andere und bis nach Moskau, um den Führungsanspruch der USA in der Region durchzusetzen.

Biden will die Mullah-Regierung Teherans nicht brüskieren

Blinken hingegen «scheint viel Zeit für den Shuttle nach Israel aufzuwenden, um Israel auszubremsen», kritisiert der Historiker Niall Ferguson. Der Autor einer Kissinger-Biografie vermisst bei der Biden-Regierung eine Abschreckungsstrategie mit der Androhung, «gegen den Iran militärisch vorzugehen, sofern seine Stellvertreter weiterhin Israel bedrohen».

Ferguson formuliert eine bei US-Republikanern vorherrschende Meinung. Als Demokrat ist Biden jedoch allzu forschem Vorgehen abgeneigt. Zudem verfolgt seine Regierung nach wie vor den von Barack Obama eingeschlagenen Kurs, die Mullah-Regierung in Teheran möglichst nicht zu brüskieren, sondern im Gegenteil zu besänftigen.

Wahlpolitische Gründe könnten für Bidens Zurückhaltung auch eine Rolle spielen. Seine Pro-Israel-Linie mag beim Gros der Amerikaner populär sein, nicht aber bei einem wachsenden Teil der Demokraten. Die Sympathie der Progressiven, der Jüngeren und vieler Minderheiten gilt klar den Palästinensern. In den USA leben schätzungsweise 1,1 Millionen Muslime, viele von ihnen Araber. Sollten sich aus Empörung über die US-Gazapolitik in wichtigen Staaten wie Michigan, Minnesota oder Virginia auch nur Teile seiner Wählerschaft von Biden abwenden, könnte daran dessen Wiederwahl nächsten November scheitern.

Um den wahlpolitischen Schaden gering zu halten, könnten Biden und Blinken versucht sein, sich zunehmend von Israels Krieg zu distanzieren und den Druck auf das Land zu steigern. Demonstrativ kündigte Washington am Freitag an, dass extremistische Siedler im Westjordanland, die Gewalttaten gegen Palästinenser verüben, keine Visa zur Einreise in die USA mehr erhalten werden.

Erste Anzeichen für einen möglichen Bruch gibt es auch im Kongress. Demokraten im Senat denken dieser Tage darüber nach, welche Konditionen sie an die versprochenen rund 14 Milliarden Dollar Militärhilfe an Israel knüpfen könnten. Mitte November hatte der Sozialist Bernie Sanders aus Vermont Bedingungen gefordert, um die «wahllose Bombardierung» von Gaza zu stoppen.

Israelfreundliche Demokraten wie Senatsführer Chuck Schumer aus New York halten sich zurück, wollen sich erst mit dem Weissen Haus absprechen. Aber je länger und heftiger der Anti-Hamas-Krieg in Gaza tobt, desto stärker dürfte in Washington der Druck werden, zu Israel auf Distanz zu gehen. Das könnte die für den Nahen Osten wichtigste Allianz infrage stellen.