Ende der Feuerpause in NahostIsraels Armee greift Hamas auch im Süden Gazas an
Die Freilassung von Geiseln ist vorerst vorbei. In der neuen Kriegsphase zeigen sich wachsende Streitigkeiten zwischen Jerusalem und Washington.
Am achten Tag ist die Ruhe vorbei: Seit Freitagmorgen wird wieder gekämpft im Gazastreifen. Geiseln gegen Gefangene werden nicht mehr ausgetauscht. Die Schuld am Ende der Feuerpause nach einer Woche schieben sich Israel und die Hamas gegenseitig zu. Die Menschen im Kriegsgebiet stehen damit aller Voraussicht nach wieder vor schweren Wochen, mindestens.
Schon vor dem offiziellen Ablauf der Waffenruhe um 7 Uhr in der Früh kündigten im israelischen Grenzgebiet die Sirenen wieder Raketenbeschuss aus Gaza an, am Nachmittag auch in Tel Aviv. Den Tag über hielt das an, Alarm gab es auch wieder im Norden an der Grenze zum Libanon.
Premierminister Benjamin Netanyahu warf der Hamas vor, die Vereinbarungen gebrochen und auch keine neue Liste an freizulassenden Geiseln vorgelegt zu haben. Die Hamas erklärte, sie sei zu einem weiteren Austausch bereit gewesen, aber Israel habe dies abgelehnt. Den Vermittlern in Katar blieb da nichts anderes, als zu bekunden, die Bemühungen würden fortgesetzt, aber durch die «anhaltenden Bombardierungen» erschwert.
Noch 145 Geiseln in den Händen der Hamas
Israel hat die Angriffe auf Stellungen der Hamas sogleich am Boden und aus der Luft wieder aufgenommen. Nach palästinensischen Angaben wurden dabei allein bis zum Mittag mehr als 100 Menschen getötet.
Die israelische Führung hatte während der Feuerpause nie einen Zweifel daran gelassen, dass dieser Krieg «bis zum Ende geführt wird» – auch wenn nach Freilassung von 81 Israelis und 24 entführten Gastarbeitern aus Südostasien weiterhin rund 145 Geiseln in den Händen der Hamas verbleiben, darunter rund 15 Frauen und Kinder. Am Freitagnachmittag wurde gemeldet, dass der Älteste unter den Entführten, ein 86-Jähriger, in der Geiselhaft gestorben sei.
Israel müsse sich an das humanitäre Völkerrecht halten, fordert US-Aussenminister Blinken.
In der jetzt begonnenen neuen Kriegsphase zeichnen sich wachsende Differenzen zwischen Israel und der Schutzmacht USA ab. Deutlich wurde dies beim Besuch von US-Aussenminister Antony Blinken. Er forderte seine israelischen Partner nicht nur hinter verschlossenen Türen zu einer Änderung der Kriegsführung auf – bei einer Sitzung des Kriegskabinetts sowie bei Treffen mit Netanyahu und wichtigen Ministern –, sondern erstmals auch öffentlich.
Zwar unterstützen die USA weiterhin das von Israel gesetzte Ziel, die Hamas zu zerstören. Doch die hohe Zahl der Todesopfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung und eine Vertreibung der Bewohner wie bei der Bodenoffensive im nördlichen Teil dürfe sich im Süden des Gazastreifens nicht wiederholen, warnte Blinken. Es sei «zwingend erforderlich», dass Israel sich an das humanitäre Völkerrecht halte.
Zudem sprach Blinken bei der Sitzung des Kriegskabinetts gemäss einem israelischen TV-Sender von einem auf Wochen begrenzten Zeitrahmen, in dem noch die internationale Rückendeckung gewährleistet werden könne. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant soll einer solchen zeitlichen Begrenzung heftig widersprochen haben. Die israelische Öffentlichkeit unterstütze geschlossen das Ziel einer Vernichtung der Hamas, selbst wenn dies noch Monate dauern sollte, sagte er.
Flugblätter fallen auf die Stadt Khan Younis
Vage Hinweise darauf, wie Israel beim künftigen Vorrücken im Süden Zivilisten schützen will, gibt eine von der Armee freigegebene interaktive Karte, die den Gazastreifen in Hunderte kleine Zonen unterteilt. Einzelne nummerierte Zonen könnten wechselweise zum akuten Kampfgebiet erklärt werden, aus dem die Bevölkerung dann flüchten soll. Wie das auf engstem Gebiet im südlichen Gazastreifen funktionieren kann, wo sich inzwischen rund zwei Millionen Menschen schutzlos drängen, bleibt offen.
Gemäss palästinensischen Berichten wurden über der Stadt Khan Younis Flugblätter abgeworfen mit der Aufforderung an die Bevölkerung, sich weiter südlich Richtung Rafah in Sicherheit zu bringen. Khan Younis ist die Heimat von Hamas-Chef Yahya Sinwar und dem militärischen Führer Mohammed Deif. Unter der Stadt wird ein weitverzweigtes Tunnelnetz vermutet.
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