Konflikt Schweiz–EUBrüssel erhöht beim Schienenverkehr den Druck auf Bern
Die EU benutzt die europäische Zulassung von Loks und Wagen als Pfand gegen die Schweiz. Umgekehrt wollen die SBB das Schienennetz nicht weiter für ausländische Bahnen öffnen.

Einstimmig haben sich National- und Ständerat kürzlich dafür ausgesprochen, das Schweizer Eisenbahngesetz dem EU-Recht anzugleichen. Mit diesem vierten Bahnpaket hat die EU die komplizierten Zulassungsverfahren international harmonisiert, sodass Züge im grenzüberschreitenden Schienenverkehr nicht mehr in verschiedenen Ländern zugelassen werden müssen.
Neu ist nur noch die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) für die Zulassung und die Sicherheitsbescheinigungen von Rollmaterial im internationalen Bahnverkehr zuständig. Für Bahnen und Industrie führt dies zu einem deutlich tieferen administrativen Aufwand, für Reisende längerfristig zu mehr und besseren Zugverbindungen ins Ausland. Kürzere Fahrten von Zürich nach München oder Direktzüge von Basel nach London als umweltfreundlichere Alternative zum Fliegen rücken damit einen Schritt näher.
Allerdings hat der Entscheid des Parlaments einen entscheidenden Haken: Er bringt erst einmal gar nichts. Denn damit die Neuregelung wirksam wird, muss das bilaterale Landverkehrsabkommen (LVA) mit der EU angepasst werden – und diese ist dazu nicht bereit, solange die institutionellen Fragen nicht gelöst sind.
Schweiz profitiert von Übergangslösung
Dramatisch schien das lange nicht. Dank einer befristeten Übergangslösung nimmt die Schweiz schon heute am harmonisierten EU-Verfahren teil. Was das den Schweizer Bahnen bringt, zeigt das jüngste Beispiel der BLS. Die zweitgrösste Schweizer Bahn will ihren neuen Vorzeigezug Mika auf der Strecke von Bern über den Lötschberg bis ins italienische Domodossola einsetzen.
Doch es gibt ein gewichtiges Problem mit der Übergangslösung: Sie läuft Ende Jahr aus. Und es ist ungewiss, ob sie nochmals um ein Jahr verlängert wird. Falls nicht, würde die EU die Schweiz als Drittstaat betrachten – wie Albanien oder die Türkei.

Eine fehlende Übergangslösung würde nicht nur der Schweiz, sondern auch den europäischen Bahnunternehmen schaden. «Das nimmt sie aber in Kauf», sagt Peter Füglistaler, Direktor vom Bundesamt für Verkehr (BAV). Denn sie wisse: Aufgrund der vier Landesgrenzen profitiere kein Land stärker von einem frei zugänglichen europäischen Schienenmarkt als die Schweiz.
EU drängt auf Öffnung des Schweizer Bahnmarkts
Offiziell teilt die EU-Kommission auf Anfrage lediglich mit, Gespräche zwischen der EU und der Schweiz über eine mögliche Verlängerung der Übergangslösung seien am Laufen. Aber von Personen aus dem Umfeld der zuständigen EU-Generaldirektion für Mobilität und Verkehr ist zu vernehmen, dass die EU dafür im Gegenzug von der Schweiz ein klares Zeichen des «guten Willens» fordere. Ansonsten komme von Brüssel gar nichts mehr.
BAV-Direktor Füglistaler weiss, was damit gemeint ist: «Als Gegenleistung für die Verlängerung der Übergangslösung wird erwartet, dass die Schweiz die abgebrochenen Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen wieder aufnimmt.» Zweitens drängt die EU darauf, dass die Schweiz sich für ausländische Bahnen öffnet. Diese sollen in Eigenverantwortung grenzüberschreitende Zugstrecken anbieten können, so wie es die italienischen oder französischen Staatsbahnen beispielsweise zwischen Mailand, Paris und Barcelona tun.
Im Landverkehrsabkommen mit der EU hatte sich 1999 eigentlich auch die Schweiz zu einer solchen Öffnung verpflichtet. Passiert ist jedoch bis heute: nichts. Wollen ausländische Bahnen wie die deutsche Billiganbieterin Flixtrain oder die österreichische Westbahn eine grenzüberschreitende Fernverkehrsverbindung in die Schweiz betreiben, so dürfen sie das nur in Kooperation mit den SBB.
Verladende Wirtschaft fürchtet Mehrkosten
Geht es nach dem ÖV-Verband (VÖV), wird sich daran so schnell nichts ändern. Der Verband strebe betreffend Öffnung beim grenzüberschreitenden Personenverkehr keine Änderungen der Rahmenbedingungen an, sagt Direktor Ueli Stückelberger. «Das Kooperationsmodell zwischen den SBB und ausländischen Bahnen bewährt sich.»
Auch die Bundesbahnen selbst sprechen sich gegen eine Öffnung des Marktes aus. Zwar obliege es der Politik, darüber zu befinden. «Aus Sicht der SBB wäre ein solcher Entscheid aber ein Paradigmenwechsel für das gesamte ÖV-System der Schweiz», sagt Sprecher Reto Schärli.
Was die Verknüpfung zwischen der fehlenden Marktöffnung und der Übergangslösung bei den Zulassungen anbelangt, spielen die SBB den Ball dem Bund zu: «Wir gehen davon aus, dass der Bund und namentlich auch das BAV alles daransetzen, dass die aktuelle Praxis weitergeführt wird und keine Vermischung mit den laufenden übergeordneten Gesprächen zwischen der Schweiz und der EU erfolgt», so der SBB-Sprecher.
Erhebliche Nachteile befürchtet der Verband der verladenden Wirtschaft (VAP). Müsse man für die Fahrt über die Grenze wieder die umfassenden Zulassungsverfahren der Nachbarstaaten durchlaufen, würden die damit verbundenen Unsicherheiten und Mehrkosten die Schweizer Verkehrsverlagerungsziele gefährden. VAP-Präsident Frank Furrer fordert deshalb, die Schweiz müsse ihren Verpflichtungen gegenüber der EU endlich nachkommen. «Die Politik muss nun den Mut aufbringen, auch im Schienenverkehr auf mehr Wettbewerb und Marktöffnung zu setzen.»
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