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Komponistin Ethel Smyth
Talentiert, hartnäckig und bisexuell: Ihr Werk trotzte den männlichen Vorurteilen

PBBHMT 1216 Portrait of Ethel Smyth

Sie hatte viele Erfolge und noch mehr Misserfolge, wie sie in ihren 2023 neu übersetzten Memoiren nicht ohne Bitterkeit vermerkt. Über einen machte eine Zeitung einen bösen Kalauer: Die Oper einer englischen Miss – das könne ja nur ein Miss-Erfolg werden. Auf diesem Niveau fand oft die Auseinandersetzung mit ihrer Musik statt.

Dass Ethel Smyth (1858–1944) der ganz grosse Durchbruch nicht gelang, lag nicht an der Qualität ihrer Werke. Die wurde ihr bescheinigt von so unabhängigen Geistern wie dem Komponisten Claude Debussy, George Bernard Shaw (der ja nicht nur ein Dramatiker, sondern einer der scharfsinnigsten Musikkritiker seiner Zeit war), den Dirigenten Bruno Walter, Adrian Boult und Thomas Beecham.

Selbst «Musik in Geschichte und Gegenwart», das massgebliche Nachschlagewerk der Klassik, erklärt Smyth zum «bedeutendsten weiblichen Komponisten ihrer Zeit» – also des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dass der Verfasser des Artikels in ihrer Oper «The Wreckers» («Strandrecht») «viel Kraftvolles, sogar Männliches» entdeckt, zeigt wiederum, durch welchen Rost Ethel Smyth selbst bei wohlwollenden Betrachtern immer wieder fiel: durch den Rost männlicher Vorurteile.

Ethel Smyth Ethel Smyth 1858 - 1944, English composer and a member of the women s suffrage movement. Date: 1902 PUBLICATIONxNOTxINxUKxFRAxBELxNEDxITAxDENxNORxSWExPOLxJPNxKORxTPE Copyright: CopyrightxcGeminix2023.xCredit:xGemini 13157859

Selbst bei Johannes Brahms. Den hatte sie 1877 als blutjunge Kompositionsschülerin in Leipzig kennen gelernt. Um überhaupt in dieses Mekka der Musik zu dürfen, hatte sie ihren Vater, einen pensionierten Generalmajor der Artillerie, mit einem gesellschaftlichen Totalstreik regelrecht erpresst. In Leipzig lernte sie nicht nur Harmonielehre und Kontrapunkt, sondern tauchte auch ins bürgerlich-akademische Milieu ein, lernte Clara Schumann, Grieg und eben Brahms kennen – und die Professoren-Frauen verachten, die jeden Satz mit «mein Mann sagt» begannen.

Von Brahms zeichnet Ethel Smyth in ihren Erinnerungen ein differenziertes, faires und ungemein lebendiges Porträt. Diese Erinnerungen schrieb sie in ihren späten Jahren, als sie ertaubte und nicht mehr als Musikerin arbeiten konnte. Sie veröffentlichte sie in sechs Bänden, aus denen die Journalistin Heddi Feilhauer jetzt ein «Best-of» auf Deutsch herausgegeben hat: eine hinreissende Lektüre, voll von Witz und Sarkasmus.

Bewegtes bisexuelles Leben

Brahms also – der hielt nichts von komponierenden Frauen, selbst mit dem unübersehbaren Talent der jungen Engländerin tat er sich schwer. Ethel Smyth hebt aber seine Grosszügigkeit gegenüber ärmeren Kollegen und seine Bescheidenheit gegenüber grossen Vorgängern hervor. Beim Anhören eines Mozart-Satzes soll er gesagt haben: «Ich würde all meinen Kram geben für dieses eine Andante!»

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Unterricht hatte Ethel bei Brahms nicht, ihr eigentlicher Lehrer war dessen enger Freund Heinrich von Herzogenberg, Leiter der Leipziger Bach-Gesellschaft. Mit Herzogenbergs Frau Elisabeth ging sie ein Liebesverhältnis ein, nicht das letzte in ihrem bewegten bisexuellen Leben, aus dem sie in ihren Erinnerungen keinen Hehl macht.

Der Mann schloss die Augen, die Sache ging lang und erst in die Brüche, als sich Harry Brewster, der Mann ihrer Schwester Julia, in Florenz in Ethel verliebte und die drei vergeblich versuchten, das «wie erwachsene Menschen» zu regeln. Brewster würde später ihr Lebensgefährte (und Opernlibrettist) werden, ohne sie an weiteren passionierten Beziehungen zu Frauen zu hindern.

Zurück in Leipzig, riet ihr Peter Tschaikowsky, ihre Instrumentaltechnik zu vervollkommnen, was dann zu einer Reihe von Orchesterwerken und schliesslich auch Opern führte. Anders als Clara Schumann, die fast nur für ihr virtuoses Instrument, das Klavier, geschrieben hat, umfasst Ethel Smyths Werkkatalog sechs Opern, mehrere Orchesterwerke, eine Messe, sechs Streichquartette, weitere Kammermusik, Lieder und etliches mehr.

Ausgebuht und kritisiert

Einen grossen Teil ihrer Energie verwendete die Komponistin darauf, ihre Opern auf die Bühne zu bringen – was sich teilweise als schwieriger erwies, als sie zu komponieren. Hindernisse aller Art türmten sich auf. So wurde «Der Wald», ihre zweite Oper, am Hoftheater Berlin 1901 zwar aufgeführt, aber ausgebuht und von der Presse verrissen. Alles Englische war damals wegen des Burenkriegs in Deutschland verhasst, und die Aversion traf eben auch die Oper einer englischen Miss. Das Wilhelminische Berlin erlebte die scharfsichtige und scharfzüngige Miss übrigens als «Sklavengesellschaft».

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«Der Wald» wurde auch dreimal an der Metropolitan Opera in New York gespielt, als erste Oper einer Frau, die nächste musste über 100 Jahre warten: «L’amour de loin» von Kaija Saariaho, 2016! Mit ihrer nächsten – den schon genannten «Wreckers» – begeisterte Ethel Smyth den Leipziger Opernchef Arthur Nikisch. Doch der wurde wegen Budgetüberziehung noch vor der Premiere gefeuert. Sein Nachfolger, ein Herr Hagel, kürzte den dritten Akt radikal zusammen, was die Komponistin so erboste, dass sie vor der nächsten Aufführung das Notenmaterial kurzerhand einsammelte und abreiste.

Das war natürlich ein Affront, auch gegenüber den Musikern, die das neue Stück ja einstudiert hatten. Ethel Smyth nützte sich mit solchen Aktionen nicht – überhaupt muss sie auf viele Zeitgenossen wie eine schrille, aufdringliche, ja penetrante Person gewirkt haben. (Selbst ihre späte Freundin Virginia Woolf spart nicht mit spitzen Bemerkungen über sie: «Ethels Hund ist tot. Die Wahrheit ist, kein Hund kann die Anstrengung aushalten, mit Ethel zu leben.»)

Sie war oft eine Zumutung

Sie war mit ihrem Temperament, mit ihrem Lebenshunger, ihrer Unkonventionalität sicher oft eine Zumutung. Aber wie anders als mit Penetranz hätte sie den Panzer an Vorurteilen, die Abwehrmauer der Männergesellschaft durchdringen können? Immerhin besass sie neben ihrer Hartnäckigkeit eine wirksame Waffe: ein eigenes Netzwerk. Und das bestand aus reichen und einflussreichen Frauen, die nicht alle ihre Liebhaberinnen, aber oft ihre Mäzeninnen wurden.

Dazu gehörte etwa die Ex-Kaiserin Eugénie, die Witwe Napoleons III., die ihr eine Audienz bei der Queen Victoria verschaffte (Ethel Smyth liefert in den Erinnerungen einen köstlichen Bericht des Hofzeremoniells ab), was wiederum zur Aufführung ihrer «Messe» in der Royal Albert Hall führte. Madame Edmond de Polignac gehörte dazu (eine Vertraute auch von Marcel Proust), und Mary Dodge, eine reiche Amerikanerin. Ethel Smyth wusste sich bei Hofe zu benehmen – sie verkehrte beim deutschen Reichskanzler von Bülow und dinierte bei Kaiser Wilhelm II. –, sie pflegte die Hobbys der englischen Oberschicht, Tennis und Golf; in ihrem Metier blieb sie aber eine Aussenseiterin.

Feministischer Einsatz

Und sie war sich der gesellschaftlichen Diskriminierung der Frauen stets bewusst. Für zwei Jahre ihres Lebens, von 1909 bis 1911, legte sie den Komponierstift nieder und widmete sich, an der Seite der obersten Suffragette Emmeline Pankhurst, dem Kampf um das Wahlrecht. Gemeinsam mit über hundert anderen Frauen warf sie Fensterscheiben an der Oxford Street ein (vorher hatte sie Pankhurst bei sich im Garten im Werfen trainiert) und bekam dafür zwei Monate Gefängnis.

Der Dirigent Thomas Beecham berichtet von einem Solidaritätsbesuch, wie er die Frauen im Hof antraf, auf und ab marschierend und den von Ethel Smyth komponierten «Marsch der Frauen» singend, während die Komponistin von einem Fenster aus mit der Zahnbürste dirigierte.

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Hört man sich heute durch Ethel Smyths Werk – vieles ist auf CD und im Netz zugänglich – staunt man über die unzweifelhafte Qualität dieser Musik: zwischen Brahms und Debussy, viele, wie das Konzert für Violine und Horn, die Serenade in D, die Messe oder das Streichquartett in e-moll, sind meisterhafte Werke.

Und man versteht das melancholische Fazit einer Kämpferin, die es zu Lebzeiten, trotz einiger Erfolge, doch nicht geschafft hat, in die Männerbastion Musik einzudringen. Die auch heute, trotz mancher Bemühungen in den letzten Jahren, noch lange nicht so auf den Konzertprogrammen vertreten ist, wie sie es verdient.

Ethel Smyth: Paukenschläge aus dem Paradies. Erinnerungen. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Heddi Feilhauer. Ebersbach & Simon, Berlin 2023. 240 S., ca. 37 Fr.