Kommentar zum TreuhandgesetzMarco Chiesas Rechtsempfinden irritiert
Der Präsident der SVP Schweiz will partout nicht eingestehen, als Unternehmer einen Fehler gemacht zu haben.
Die Gesetze müssen eingehalten werden, der Rechtsstaat steht über allem: Forderungen und Feststellungen dieser Art streut Marco Chiesa, Tessiner Ständerat und Präsident der SVP Schweiz, in Reden und Interviews regelmässig ein. Was Chiesa von der Allgemeinheit fordert, muss auch für ihn selbst gelten.
Doch Chiesa tut sich gerade schwer, einzugestehen, dass er und SVP-Nationalrat Piero Marchesi mit ihrem Treuhandunternehmen Ticiconsult die Gesetzgebung ihres Heimatkantons während Monaten nicht respektierten. Der Tessiner Staatsrat Norman Gobbi (Lega) und andere Experten bestätigten Recherchen dieser Zeitung, dass jedes Tessiner Treuhandunternehmen mindestens eine im kantonalen Treuhandregister eingeschriebene Person beschäftigen und im Handelsregister eintragen muss. Bei Ticiconsult war das während 14 Monaten nicht der Fall.
Chiesa bestreitet jedoch jede Rechtswidrigkeit und beklagte am Wochenende in den Tessiner Medien eine «politische Kampagne» gegen ihn. Piero Marchesi beteuert in einem bezahlten Facebook-Eintrag: Man habe mit der «kleinen Gesellschaft, die sechs Personen, alle mit Schweizer Herkunft, beschäftigt» stets «die Regeln respektiert».
Chiesa und Marchesi müssten sich der Bedeutung des Treuhandgesetzes bewusst sein.
Chiesas und Marchesis Verhalten irritiert. Sie müssten sich der Bedeutung des Treuhandgesetzes bewusst sein. Es wurde eingeführt, um Chaos und Wildwuchs in der Branche zu bekämpfen. Selbst ernannte Tessiner Treuhänder halfen in der Vergangenheit, Mafiagelder und Geld aus dem Drogenhandel in den Südkanton zu schleusen und zu waschen. Das schadete dem Ruf des Tessins, der Schweiz und der Treuhandbranche. Das Kantonsparlament reagierte 2009 mit dem Erlass des erwähnten Gesetzes.
Das Tessin will heute zu Recht wissen, wer treuhänderische Aktivitäten pflegt und welche Berufsausbildungen und -erfahrungen die Betroffenen haben. Die Branche wird von einer kantonalen Aufsichtsbehörde mit einem halben Dutzend Mitarbeitenden überwacht.
Trotzdem beruht das Treuhandgesetz in erster Linie auf der Selbstverantwortung der Branche. Die Firmen kontrollieren sich auch gegenseitig. Fehlbare werden dem Kanton gemeldet. Stellt die Aufsichtsbehörde Verstösse fest, schreitet sie ein. Seit 2017 hat sie 90 Verfahren eröffnet, die in Verwaltungs- oder sogar Strafverfahren endeten. Es wurden Bussgelder von einer halben Million Franken verhängt. Die Zahlen zeigen, dass das Gesetz greift. Man sollte es respektieren, als Politiker mit Vorbildfunktion sowieso.
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