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Meinung

Kolumne «Fast verliebt»
Sind Frauen pessimistischer als Männer?

Manchmal ist Pessimismus nichts weiter als eine Form weiblicher Klarsicht, findet Claudia Schumacher.
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Ich blicke auf eine stolze Linie grosser Pessimistinnen zurück. Meine Oma hätte in der gastronomischen Qualitätssicherung arbeiten können: Zielsicher fand sie in jeder Suppe jedes Haar. Auch hat sie regelmässig den Weltuntergang prophezeit; wir warten noch auf sein Eintreffen. Derweil umarmt meine Mutter ihren eigenen Pessimismus als evolutionären Vorteil («Menschen wie wir haben diese ganzen naiven Optimisten überlebt!»).

Ich liebe die Frauen meiner Familie für ihre Kraft und ihren Witz, doch auch ihre zersetzenden Fähigkeiten sind legendär – und nicht immer ganz ohne, so für mich als Tochter. Denn was ich mir mühsam über die Jahre aufgebaut habe, kann meine Mutter in fünf Minuten dekonstruieren. Ich stehe vor einem kühnen Wagnis? Besser, ich halte den Mund. Sonst weist sie mich auf alles hin, was schiefgehen könnte, und dann weiss ich selber nicht mehr, warum ich das Risiko eingehen wollte.

Das meint sie keinesfalls böse, im Gegenteil: Sie will mich schützen. Es ist ihre Sprache der Liebe: sich Sorgen machen. Rede ich mit meinen Freundinnen, die ebenfalls Mütter, Tanten und Grossmütter haben, stellen wir schnell fest, dass es sich um keine ganz untypische Liebessprache für Frauen handelt. Sind wir irgendwie negativer als Männer?

Kulturell und traditionell: wahrscheinlich schon. Wir kommen von den Klageweibern, den Masochistinnen, den sich aufopfernden Frauen. Das hat sicher mit einer Gesellschaft zu tun, die Frauen nahelegt, ihre Bedürfnisse hintanzustellen, für alles Verantwortung zu übernehmen und sich in konstanter Dauersorge um jeden zu kümmern. Bis zur eigenen Erschöpfungsdepression.

Mit leiser Belustigung lese ich Studien, die darauf hinweisen, dass Frauen etwas pessimistischer sind als Männer, wenn es um finanzielle Aussichten und die Wirtschaftslage geht. Schon mal was vom Gender-Pay-Gap gehört, von weiblicher Altersarmut? Die wirtschaftlichen Aussichten von Frauen SIND schlechter als die von Männern. Manchmal ist Pessimismus nichts weiter als eine Form weiblicher Klarsicht. Aber ist das die ganze Wahrheit?

Beobachte ich junge Familien in meinem Umfeld, ist es eher die Mutter, die dem Kind ängstlich «Pass auf!» zuruft, und der Vater, der es unbesorgt in die Luft wirft. Ich selbst beobachte mich dabei, wie ich Sicherheitsvorkehrungen gegen das Mammut treffe, vor dem schon die Steinzeitoma meiner Ururur…grossmutter gewarnt hat. Ich erwarte es an jeder Ecke.

Allein: Es gibt keine Mammuts mehr. Vielleicht verhält es sich mit der weiblichen Ursorge so ähnlich wie mit der männlichen Muskelkraft: Beides wird heute im Westen nur noch sehr bedingt gebraucht. Und während man Muskeln wenigstens dekorativ finden kann, ist Negativismus eigentlich nur eins: der sichere Weg ins Unglück.