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Naturphänomene und Klimawandel
Könnten ausgerechnet Vulkane die Gletscher retten?

Am 29. Juni 2018 spie der auf Bali gelegene Vulkan Agung Feuer. Sein letzter grosser Ausbruch ereignete sich 1963.
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Als der indonesische Vulkan Agung 1963 ausbrach, stieg die Eruptionssäule auf bis zu 26 Kilometer Höhe in die Stratosphäre. Asche regnete nieder und war noch im 1000 Kilometer entfernten Jakarta nachzuweisen. Vor allem durch enorm schnelle Lawinen aus heissem Gas und Asche – sogenannte pyroklastische Ströme – kamen insgesamt fast 1600 Menschen ums Leben.

Der Vulkan hatte aber noch eine andere Auswirkung: Er liess die Gletscher weltweit wachsen. Obwohl sie seit Mitte des letzten Jahrhunderts rund um den Globus deutlich an Eis verlieren, war die globale Massenbilanz im Jahr nach dem Ausbruch des Agung positiv.

Bremsen: Ja – aufhalten: Nein

Das gleiche Phänomen zeigt sich nach dem Ausbruch des El Chichón in Mexiko im Jahr 1982. Wieder wuchs die globale Gletschermasse im Jahr nach dem Ausbruch an. Auch die noch heftigere Eruption des Pinatubo auf den Philippinen am 15. Juni 1991 zeigte einen messbaren Effekt. Allerdings hatte sich der Rückgang der Gletscher seit den 90er-Jahren so stark beschleunigt, dass der Pinatubo diesen Eisverlust nur noch bremsen, nicht aber umkehren konnte.

«Wir wollten uns das genauer anschauen und herausfinden, wie gross der Effekt von Vulkanausbrüchen auf die Massenbilanz der Gletscher tatsächlich ist», sagt Michael Zemp, Glaziologe an der Universität Zürich und Direktor des World Glacier Monitoring Service. «Wir konnten zeigen: Für eine ausgeglichene Gletscherbilanz bräuchte es künftig zwei bis drei Ausbrüche mit Pinatubo-Effekt – pro Jahr.» Darüber berichtet er gemeinsam mit dem Klimaforscher Ben Marzeion von der Universität Bremen in den «Geophysical Research Letters».

Rückzug des Morteratsch-Gletschers, illustriert anhand von Infotafeln.

Damit ein Vulkan die Massenbilanz der Gletscher global verändert, muss die Eruption bis hinauf in die Stratosphäre reichen (Explosivität grösser oder gleich 4). Im Verlauf von Monaten bildet sich dort oben ein schwefelsäurehaltiger Schleier, der sich rund um den Globus verteilt und das Sonnenlicht reflektiert. Das kühlt erstens das Klima. Zweitens bekommen die Gletscher weniger direkte Sonnenstrahlung ab.

Welche Rolle spielen Sonnen- und Meereszyklen?

Allerdings prägen noch andere Faktoren die Bilanz der Gletscher. Das sind natürlich die menschlichen Einflüsse: die Emission von Treibhausgasen, die Landwirtschaft und die Landveränderungen. Eine möglicherweise relevante Rolle spielt auch die variable Strahlungsintensität der Sonne, die einem elfjährigen Zyklus folgt. Schliesslich gibt es klimarelevante Meereszyklen wie die El Niño/Southern Oscillation (Enso).

All das haben die Forscher in einem Modell berücksichtigt, um den Einfluss der jeweiligen Faktoren auf die Massenbilanz der Gletscher zu bestimmen. Wenig überraschend erklären die menschlichen Einflüsse den generellen Abwärtstrend bei der Bilanz der Eismasse sehr gut. «Sonnen- und Meereszyklen hatten jedoch im 20. Jahrhundert keinen nennenswerten Einfluss auf die Gletscher», sagt Zemp. «Sehr klar zeigen sich im Modell aber die Vulkanausbrüche.» Doch deren Einfluss schwindet: Gegen die menschgemachte Erderwärmung kommen sie seit einigen Jahrzehnten nicht mehr an.

Mit einem Simulations-Experiment haben die Forscher den Einfluss der Vulkane weiter untersucht – auch für die Zukunft. Dazu liessen sie virtuell alle 45 Jahre einen Pinatubo ausbrechen: 1856, 1901, 1946, 1991 und 2036. Wie sich gezeigt hat, speichert ein Pinatubo-Ausbruch rund 380 Gigatonnen Eis zusätzlich in den Gletschern. Bis 1950 konnten diese virtuellen Pinatubos zu einem weltweiten Massengewinn der Gletscher führen. 1991 reichte es nur noch, um den Rückgang kurz aufzuhalten. 2036 käme es bei fortschreitendem Klimawandel trotz Pinatubo-Ausbruch noch zu einem Eisverlust von 120 Gigatonnen. Zum Vergleich: Global verlieren die Gletscher derzeit jedes Jahr rund 360 Gigatonnen Eis und tragen damit pro Jahr 1 Millimeter zum Meeresspiegelanstieg bei.

«Die Studie ist gut gemacht, hat aber auch Grenzen», sagt Ulf Büntgen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und der University of Cambridge. «Im 20. Jahrhundert war die vulkanische Aktivität deutlich geringer als im Mittel der letzten 1000 Jahre. Daher können wir den längerfristigen Einfluss des Vulkanismus auf die Gletscherbilanz aufgrund der Studie nicht zuverlässig abschätzen. Die Studie sollte daher weiter in die Vergangenheit ausgedehnt werden.»

Michael Sigl, der sich an der Universität Bern unter anderem mit dem historischen Einfluss von Vulkanen auf das Erdklima befasst, sieht das ähnlich. «Die Studie verwendet zwar ein vereinfachtes statistisches Modell und berücksichtigt nicht alle Klimaeinflüsse auf die Gletscher. Im Grossen und Ganzen ist die Studie aber solide.» Es sei auch eine der wenigen Studien, die die Bedeutung vulkanischer Eruptionen für das Klima und die Gletscher im 21. Jahrhundert thematisiert – also für die Zukunft. «Der Weltklimarat (IPCC) geht bei den Klimaprojektionen für das 21. Jahrhundert meist von der Abwesenheit von Vulkaneruptionen aus – ein höchst unwahrscheinliches Szenario», sagt Sigl. Dem pflichtet auch Büntgen bei: «Die Studie kann helfen, den Effekt der Vulkane als Unsicherheit mit in die Klimamodelle einzubauen.»

«In diesem Ansatz steckt grosses Potenzial für die Verbesserung von Klimamodellen.»

Ulf Büntgen, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL)

Allerdings ist das hier angewandte Szenario – ein singulärer Pinatubo-Ausbruch alle 45 Jahre – laut Sigl weit davon entfernt, das Spektrum aller aus der Klimageschichte bekannten Szenarien abzudecken. So gab es Phasen mit sehr wenigen und Phasen mit sehr vielen Vulkanausbrüchen – Letzteres etwa zu Beginn der spätantiken Kleinen Eiszeit im 6. Jahrhundert. Für Büntgen ist die Studie dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. «In diesem Ansatz steckt grosses Potenzial – sowohl für die Paläoklimatologie als auch für die Verbesserung von Klimamodellen.»

Die Lehre aus dem Ganzen? «Etwas überspitzt formuliert: Das Warten auf natürliche Vulkaneruptionen ist kein geeignetes Mittel, um das Abschmelzen der Gletscher zu bremsen», sagt Sigl. «Darin stimme ich mit den Autoren überein, wenngleich ich der Meinung bin, dass die Autoren die Rolle von Vulkanausbrüchen für Gletscher etwas unterschätzen.»

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