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Nicola Sturgeon trotzt Lügenvorwürfen
«Königin im Norden» kann sich retten

Will der Corona-Toten gedenken statt sich mit tagespolitischen Querelen herumschlagen: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon.
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Die Politik wollte Nicola Sturgeon am Dienstag «lieber anderen überlassen». Sie selbst, erklärte die schottische Regierungschefin, wolle stattdessen der vielen Tausend Covid-Opfer gedenken, die die Pandemie ihr Land in den letzten zwölf Monaten gekostet hat. Wie überall in Grossbritannien wurden am ersten Jahrestag des Insel-Lockdown auch in Schottland Schweigeminuten abgehalten. Abends versammelten sich die Menschen mit Lichtern und Kerzen vor ihren Haustüren in der Erinnerung an ihre Toten. Immerhin soll die Zahl derer, die im Vereinigten Königreich dem Virus zum Opfer gefallen sind, zwischen 125’000 und 150’000 liegen. Geplant sind Mahnmale und ein Gedenktag an jedem 23. März.

Dass Nicola Sturgeon sich lieber auf so ernste Dinge wie Covid konzentrieren wollte statt auf tagespolitische Querelen, konnte ihr niemand verdenken. Dabei hatte es «die Politik», über die sie sich erhob, durchaus in sich an diesem Tag. Frühmorgens nämlich hatte ein parlamentarischer Ausschuss einen Bericht vorgelegt, in dem die Regierungschefin beschuldigt wurde, das schottische Parlament belogen zu haben. Für den Nachmittag hatten die schottischen Konservativen ein Misstrauensvotum gegen sie angekündigt.

Sturgeon soll Untersuchungsausschuss belogen haben

Bei den Beschuldigungen ging es um die Frage, ob Sturgeon bei einer drei Jahre zurückliegenden Affäre um ihren Vorgänger Alex Salmond gegen parlamentarische Regeln verstossen und dem Untersuchungsausschuss Unwahrheiten aufgetischt habe. Zu diesem Schluss kamen jedenfalls jene fünf der neun Ausschussmitglieder, die den Oppositionsparteien in Edinburgh angehörten. Sie warfen Sturgeon, der Vorsitzenden der Schottischen Nationalpartei (SNP), vor, das Parlament «irregeführt» zu haben. Allerdings wagten sie nicht zu behaupten, Sturgeon habe das «bewusst» getan – was ein Grund für einen Rücktritt gewesen wäre.

Auch er wollte die schottische Unabhängigkeit: Der ehemalige schottische Regierungschef Alex Salmond.

Zum Glück für die SNP-Chefin hatte am Vorabend bereits der Autor einer separaten, unabhängigen Untersuchung jeden Verdacht in dieser Richtung nachdrücklich verworfen und Sturgeon bestätigt, dass sie zu keinem Zeitpunkt gegen die ministeriellen Regeln verstossen habe. Mit dieser separaten Untersuchung beauftragt worden war der Ire James Hamilton, der viele Jahre Generalstaatsanwalt in seiner Heimat gewesen war, seit 2013 aber als unabhängiger juristischer Ratgeber der schottischen Regierung fungiert.

Den Spiess umgedreht

Hamilton, der schon in mehreren anderen bekannten Fällen in Schottland, Irland und Wales als neutraler Begutachter herangezogen wurde, prüfte alle Anschuldigen gegen Sturgeon und kam zum Schluss, Schottlands Regierungschefin habe «in keinem dieser Punkte die Bestimmungen der ministeriellen Regeln verletzt». Hamiltons Urteil stand in klarem Gegensatz zum Befund des parlamentarischen Ausschusses. Aber selbst der Ausschuss hatte vorab eingeräumt, dass der Rechtsexperte in diesem Fall die entscheidende Stimme haben sollte.

Von Hamilton «freigesprochen», konnte Sturgeon so den Spiess umdrehen – und den fünf Ausschussmitgliedern der Opposition vorwerfen, sie seien «aus rein parteipolitischen Gründen» zu ihrem Schuldspruch gekommen. Tatsächlich beginnt in den nächsten Tagen der Wahlkampf für die schottischen Parlamentswahlen am 6. Mai. Und Schottlands Konservative, Liberale und Labour Party sahen offenbar eine Chance, nicht nur umstrittene Regierungsentscheide zu beleuchten, sondern auch Zweifel am Charakter der weithin populären SNP-Chefin zu wecken in der Wählerschaft.

Jetzt geht es um ein neues Unabhängigkeitsreferendum

Als peinlich erwies sich für die Opposition aber, dass die Tory-Fraktion in Schottlands Parlament schon vor der Veröffentlichung des Ausschussberichts am Dienstag einen Misstrauensantrag gegen Sturgeon angemeldet hatte. Nach dem Urteil James Hamiltons sah das wie blosses Taktieren aus. Dass der Misstrauensantrag durchfiel, dafür sorgten schon einmal die schottischen Grünen. Sie haben der SNP in allen entscheidenden Fragen eine Mehrheit gesichert in den letzten Jahren, und sie verlangen, wie Sturgeons Partei, ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum nach dem verlorenen ersten Versuch von 2014.

Dieses Ziel will Nicola Sturgeon nun erneut und mit aller Kraft ansteuern, sobald das schottische Parlament sich am Mittwochabend auflöst, damit der Wahlkampf beginnen kann. Ein SNP-Wahlsieg am 6. Mai käme für Sturgeon einem Mandat für ein neues Referendum gleich. Eine Gesetzesvorlage, die eine solche Volksabstimmung binnen zwei Jahren nach der Wahl vorsieht, hat ihre Regierung diese Woche eingebracht.

Sturgeon bleibt Favoritin für Wahlsieg

Ob sie dieses Ziel erreichen kann, ist ungewiss. Erst einmal muss sich bei den Wahlen erweisen, dass die in den letzten Monaten gegen Sturgeon erhobenen Beschuldigungen ihrer Partei nicht geschadet haben. Sodann müsste sie die Genehmigung Londons für ein neues Referendum einholen oder ihr eigenes Referendumsgesetz von den höchsten Gerichten im Königreich absegnen lassen. Nicht gelungen ist es ihren Gegnern jedenfalls, die Wahlfavoritin, die bei ihren Fans überall als «Königin im Norden» gilt, noch vor dem Urnengang zu Fall zu bringen.