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Spielerversteher an der Bande
Kleine ganz gross – so funktioniert das System Rapperswil-Jona

Auf Erfolgskurs: Rapperswil-Jonas Cheftrainer Stefan Hedlund.
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In den letzten Tagen mögen die Lakers teilweise geschwächelt haben, doch das grosse Bild zerstört das nicht. Vor gut einer Woche schnupperte das Team noch am zweiten Rang, schon nur eine Top-6-Position ist für Rapperswil-Jona ein grosser Erfolg. Denn auch wenn es keine offizielle Lohnrangliste im Schweizer Eishockey gibt: Wer die Lakers ins unterste Viertel der Liga platziert, liegt kaum falsch. Dennoch könnten die St. Galler ihre letzte Saison mit Platz 4 nun nicht nur bestätigen, sondern sogar übertreffen.

Eine oft erzählte Schnellversion: Rapperswil holt die Jungen, die anderswo keine guten Chancen bekommen, und hat Erfolg damit. Es ist wahr, dass in den letzten drei Jahren diverse solche Spieler zu den Lakers wechselten. Und es stimmt auch, dass sie in der Regel echte Chancen bekommen. Dennoch greift das als «Masterplan» zu kurz, zudem ist der wohl wichtigste Einzelspieler der Lakers mit dem 37-jährigen Stürmer Roman Cervenka auch ihr ältester. Doch zu ihm später.

Die Spieler kennen – und individuell behandeln

«Kenne deine Spieler!» Stefan Hedlund, seit zwei Jahren Cheftrainer in Rapperswil, klopft auf den Tisch, betont jede Silbe. Das ist für ihn einer der Schlüssel und die Antwort auf viele Fragen rund um den Erfolg der Lakers. Hedlund (47) ist der vielleicht ungewöhnlichste Trainer der Liga. Erstmals ist er alleiniger Headcoach auf höchster Stufe, auch wenn er betont, wie viel der Arbeit er mit den Assistenten teilt und wie sehr er auch Spieler in Entscheidungsprozesse einbezieht. Das ist die schwedische Schule, Hedlund war einst bei Skelleftea einer von gar drei Co-Coaches, nicht immer funktioniert sie in der Schweiz reibungslos.

Auch Hedlund erlebte diese Momente: Unsichere Reaktionen der Spieler, weil er sogleich Fragen stellte und Antworten wollte – weil nur so könne er sie kennen lernen, einbeziehen. «Ich merkte, dass in der Schweiz die Spieler sich das kanadische Leadership gewohnt sind: Es wird dir gesagt, was du zu tun hast», sagt Hedlund. Er lässt dennoch nicht locker, geht die Extrameile, um das Vertrauen der Spieler zu gewinnen. Das heisst: Reden, reden, reden. Hedlund nützt jeden freien Moment dazu, und seien es bloss fünfminütige Gespräche: vor und nach dem Training, bei gemeinsamen Spaziergängen, im Teambus.

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… und auch Sven Berger darf dirigieren, während sich Hedlund Notizen macht.
Auch die Assistenten geben Anweisungen: Hier überlässt Stefan Hedlund (rechts) das Wort Bert Robertsson …
… und auch Sven Berger darf dirigieren, während sich Hedlund Notizen macht.

Er will alles wissen: Privates, Sportliches, Ziele. Bekundet ein Spieler Mühe, sich zu öffnen, macht der Trainer den ersten Schritt: «Ich zeige, dass ich auch verletzlich und ein Mensch mit Fehlern bin.» Es sei ein altes Klischee, dass alle Spieler gleich behandelt werden müssten, sagt Hedlund. «Ich behandle keinen gleich. Ansonsten wäre gar kein Erfolg möglich.» Er notiert jedes Gespräch in einem Dossier. Er nennt es das «lebendige Dokument», da die Assistenztrainer ebenso Zugriff haben und angehalten sind, auch ihre Gespräche mit den Spielern zu notieren und die Inhalte stetig zu erweitern.

Hedlund ist ausgebildeter Sportlehrer, er arbeitete so bereits in seinem früheren Beruf. Er tut es nun, um sich an alles Besprochene zu erinnern oder die Spieler später an besprochene persönliche Ziele erinnern zu können. Die wichtigsten Gespräche seien jene vor der Saison im August, rund 30 Zusatzstunden investiert er in diese. Ein grosser Aufwand, sagt er, «aber ich sehe keinen anderen Weg. Das gehört für mich zum Coaching.»

«Tun es alle gleich, gewinnen immer die Teams mit den grossen Portemonnaies.»

Stefan Hedlund, Headcoach Rapperswil-Jona Lakers

Anders zu sein als die anderen, auch das ist ein Rapperswiler Erfolgsschlüssel für Hedlund. Gezwungenermassen: «Tun es alle gleich, gewinnen immer die Teams mit den grossen Portemonnaies.» Was ist bei den Lakers sonst noch anders? Er erwähnt die Mannschaft und die Schweizer Spieler, von denen es hierzulande oft heisst, dass sie verwöhnt seien: «Habe ich bei uns aber nie so erlebt. Wir haben eine hohe Arbeitsethik.»

Er erwähnt die Ausgangslage beim vergleichsweise kleinen Club, bei dem die Ansprüche des Umfelds bescheidener sind als in Zug oder Zürich: «In unserem Team ist es einfacher, eine gute Rolle zu finden, bei uns kann man sich gut entwickeln.»

Und er erwähnt die Arbeit seines Sportchefs Janick Steinmann: «Er investiert doppelt so viel Zeit ins Scouting als andere, er spricht mit einer Unmenge von Leuten: Materialwarte, ehemalige Mitspieler und Trainer, Masseure.»

Des Sportchefs Erfahrung unter Arno Del Curto

Steinmann ist eine weitere Schlüsselfigur im Lakers-Universum. Als erst 32-Jähriger trat er den Job 2019 an. Der ehemalige Stürmer musste die Karriere wegen Gehirnerschütterungen früh beenden. Geprägt für die neue Arbeit hat ihn bereits sein Wechsel 2010 nach Davos zu Arno Del Curto. Dort erfuhr er erstmals richtig, was es heisst, wenn ein Team die Philosophie vom Spiel mit vier Linien durchzieht und was es für Spieler in den hinteren Formationen bedeutet, auch wichtige Rollen zu haben. Ein Ziel bei den Lakers ist darum, dass Ende Saison im Schnitt keiner unter 10 oder über 20 Minuten Eiszeit hat.

«Junge Spieler musst du auch weiterentwickeln – mit klaren Zielen.»

Janick Steinmann, Sportchef Rapperswil-Jona Lakers

Als Trainer Hedlund Anfang Saison nach ein paar Wochen die beiden ausbalancierten, aber wenig erfolgreichen Powerplay-Linien umstellte und die besten Kräfte in der ersten Formation vereinte, freuten zwar auch Steinmann die vermehrten Tore, er suchte aber dennoch das Gespräch mit dem Schweden, weil für ihn im grossen Bild Ausgeglichenheit auf allen Ebenen Sinn macht.

Auch die Analytics zeigen: Das Powerplay der Rapperswil-Jona Lakers wurde nach einer Baisse zuletzt besser.

Die schwedische Schule, insbesondere jene des Ausbildungsteams Skelleftea, hat es Steinmann ebenso angetan. Er lotste Hedlund 2021 zu den Lakers, dieser sollte ein wichtiger Teil der Clubvision werden. Härtere und längere Trainings auf allen Ebenen wurden bereits im Sommer schrittweise eingeführt, genauso wie klar definierte Tagesstrukturen für die Spieler. «All dies ist wichtiger als Resultate einzelner Partien», sagt Steinmann. «Junge Spieler musst du auch weiterentwickeln – mit klaren Zielen.»

Dazu gehören Krafttrainings unmittelbar nach den Heimspielen. Oder die Trainingssteuerung mithilfe von Kinexon, einem Programm, das via Chips in der Spielerausrüstung Belastung und Leistung misst. Die Lakers setzen als erstes Schweizer Team auf dieses in Nordamerika bereits etablierte digitale System. Es kann durchaus sein, dass nicht allen Spielern solche Methoden passen. «Darum sind wir vor Verpflichtungen sehr ehrlich mit den Spielern, teilen unsere Erwartungshaltung klar mit», sagt Steinmann. Absagen provoziert er damit kaum, Rapperswil-Jona entwickelt sich immer mehr zur Wunschdestination für junge Spieler, um die NL-Karriere zu lancieren.

Ein junger Sportchef: Janick Steinmann, aufgenommen am 15. Dezember 2019 in seiner ersten Saison bei den Lakers.

Auch der Sportchef will und muss anders funktionieren. Die Agenten bieten ihre besten Spieler, gerade die ausländischen, in der Regel zunächst Grossclubs an. Die Offerten, die bei den kleinen landen, haben nicht selten einen Haken. Steinmann muss also den Spiess umdrehen und in jeder europäischen Liga Dutzende potenzielle Spieler beobachten, unter denen sich dann hoffentlich ein von der Konkurrenz übersehener Diamant findet.

Pontus Aberg, der während der Saison als Ersatz für den verletzten Nicklas Jensen kam, ist so ein Fall. Zwar mit guter AHL-Vergangenheit, stagnierte der Schwede letztes Jahr. Bei den Lakers bildet er nun seit Ende Dezember mit Andrew Rowe und Cervenka eines der aktuell besten Sturmtrio der Liga, bis vor einer Woche war es sogar die Nummer 1.

Unter allen regelmässig eingesetzten Sturm-Trios (mindestens 100 Minuten gemeinsame Eiszeit) weist die neue Rapperswiler Top-Formation mit 63,82 Prozent über den ligaweit siebtbesten Wert auf, was das Chancenverhältnis gemäss Expected-Goals-Modell angeht.

Die Lakers betrieben einen grossen Aufwand, bis sie von Aberg überzeugt waren. «Wir analysierten jene früheren Saisons, in denen es ihm gut lief, wie 2019 bei den Toronto Marlies», erzählt Hedlund. «Also erkundigen wir uns bei involvierten Leuten, zum Beispiel über die Art des Leaderships des damaligen Trainers. Nun versuchen wir, für Pontus eine ähnliche Umgebung zu kreieren.»

Die ganz spezielle Spielerfigur Roman Cervenka

Dann ist da Cervenka, der geniale Stürmer und Liga-Topskorer, der sein bestes Hockey der Karriere spielt. Auf dessen Entwicklung in Rapperswil ist Hedlund stolz. Der Tscheche ist sein Beispiel, dass die Hochleistungskultur im Team funktioniere. Cervenka ist ein Künstler und dennoch ein Leader, an dem sich die Jungen orientieren.

Die Hochleistungskultur funktioniert in einem Team erst dann richtig, wenn es die Spieler selbst sind, die den Kollegen den Weg weisen, falls diese die vom Trainer definierten Standards nicht befolgen. Schüsse blocken, Backchecking, Wechseldisziplin, Einsatz im Kraftraum – es sind grosse wie kleine Dinge. Cervenka ist ein wichtiger Teil dessen, sagt Hedlund: «Wenn neue Spieler sehen, was einer wie Roman mit 37 auch im Training leistet, dann wissen sie: Hier wird hart gearbeitet.»

Weltmeister, WM-MVP, Liga-Topskorer: Captain Roman Cervenka ist in Rapperswil-Jona die grosse Spielerfigur.

Die Lakers müssen alles aus ihren Möglichkeiten herausholen, um ihr hohes Level zu halten. Denn sie kämpfen mit weiteren, teilweise hausgemachten Nachteilen. Erst seit dieser Saison haben sie wieder ein Team in der höchsten U-20-Meisterschaft, ohne dieses liefen ihnen jahrelang die besten U-17-Talente davon – in kaum einer anderen NL-Mannschaft sind darum so wenige eigene Junioren zu finden. Und sobald die SCL Tigers ihre geplante Trainingshalle erstellt haben, werden die Lakers der einzige NL-Club mit nur einer Eisfläche sein. Frühestens 2025 erhofft sich Steinmann da eine Verbesserung.

Und, das spürt der Sportchef bereits jetzt, wenn das Team zwei-, dreimal hintereinander verliert: Die Erwartungshaltung der Fans steigt, überraschende Erfolge werden schnell als selbstverständlich angesehen. «Im Normalfall sind wir weiterhin ein Team, das um die Top-10 kämpfen muss», sagt Steinmann. «Wir müssen also weiter hart arbeiten, es gibt keine Geheimnisse bezüglich unseres Erfolgs.»

Die geheime clubinterne Statistik

Keine? Stimmt nicht ganz. Über explizit eine Sache will Trainer Hedlund nicht im Detail sprechen. An seiner Methode, mit Analytics zu arbeiten, hat er acht Jahre lang getüftelt. Er analysierte viele Teams und versuchte herauszufinden, welche Zahlen bei den Erfolgreichen herausstechen. Er entwickelte dabei ein eigenes System, das eine Mischung aus bereits vorhandenen Advanced Stats und eigenen Arten von Statistiken ist. 15 Kategorien von Zahlen hat Hedlund so für sich zusammengestellt. Und weil es eine derart grosse und zeitintensive Arbeit gewesen sei, ist für ihn klar: «Ich sage nicht, um welche 15 es sich handelt.»

Was auch einem simplen Statistiker auffällt: Die Lakers schiessen selten aufs gegnerische Tor, sind da nur die Nummer 12 der Liga. Ihre Schusseffizienz hingegen ist die beste, zudem hat nur Leader Genf mehr Tore erzielt als Rapperswil-Jona.

Alles über 10 Prozent ist gut: Die Schusseffizienz der Lakers-Stürmer ist durchwegs mindestens gut, teilweise sogar sehr gut.

Was Hedlund verrät: «Unsere Zahlen wären für andere Teams nicht relevant, da sie ganz auf unser Spiel abgestimmt sind – und wir spielen ein anderes Eishockey.» Es geht vor allem darum, wie die Lakers zu ihren Torchancen kommen und welche Art Torchancen sie dem Gegner am ehesten zugestehen wollen. Es ist auffällig, wie sehr die Lakers darauf aus sind, die Schüsse im Slot zu suchen und weniger gute Abschlusspositionen gar nicht erst wahrzunehmen. Seine Zahlen sind Hedlund wichtiger als das Resultat, nach dem 9:0 gegen Langnau zum Beispiel kritisierte er das Team auch, weil die 15 Statistiken eben nicht gut waren, das hohe Resultat nicht dem Gezeigten entsprach.

«Die Jungen bringen Enthusiasmus, sie fordern die Älteren heraus – das macht eine Mannschaft dynamisch.»

Stefan Hedlund, Headcoach Rapperswil-Jona Lakers

Für diese zeitintensive Statistikarbeit ist Hedlund alleine verantwortlich: Einerseits, weil auch sie eine Ressourcenfrage sei. «Andererseits aber auch, weil ich sie mag.» Hedlund, der Hockey-Freak: Drei seiner vier Kinder spielen Eishockey, der Sport ist in der Familie ständig präsent, in der Freizeit schaut der Schwede zudem regelmässig NHL- und SHL-Partien.

Da die Lakers ihre Kraft aus den finanziellen Nachteilen schöpfen, diese stetig betonen, bleibt noch eine Frage an Hedlund: Wie würde er bei einem Team mit grossem Budget arbeiten? «Fast gleich», sagt der Schwede. Das zusätzliche Geld würde er fast ausschliesslich in die ausländischen Spieler investieren. «Ich würde aber nichts an unserer Teamstruktur und der Anzahl der Jungen ändern.» Es seien nämlich die Jungen, die Enthusiasmus ins Team brächten, sie seien es, die die älteren Spieler herausforderten: «Und das macht eine Mannschaft dynamisch.»

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