Chris Baltisbergers schwerste StundenStatt auf dem Eis zu kämpfen, bangte er im Spital um seinen Vater
Mitten im Playoff wurde für den ZSC-Stürmer Eishockey ganz plötzlich zur Nebensache. Wie er mit dem Schock umging. Und weshalb auch er selbst vor kurzem grosses Glück hatte.

- Chris Baltisbergers Vater war im Frühjahr 2024 nach einem Herzstillstand im künstlichen Koma.
- Die Gebrüder Baltisberger erlebten damals das emotionalste Playoff ihrer Karrieren.
- Mit den ZSC Lions ist der 33-Jährige nun mit einem Sieg in die Mission Titelverteidigung gestartet.
- Gemeinsam mit seiner Frau Sabrina produziert und vertreibt er Ingwer-Shots.
Chris Baltisberger legte sich an jenem Samstag, dem 6. April 2024, am Nachmittag im Kinderzimmer aufs Ohr, um sich vor dem dritten Halbfinalspiel gegen Zug noch etwas auszuruhen. Doch dann kam seine Frau Sabrina herein. «Ich merkte sofort: Etwas stimmt nicht», erzählt er. «Sie setzte sich neben mich und sagte es mir. Auf einen Schlag dachte ich überhaupt nicht mehr an Eishockey.»
Die ZSC Lions hatten die ersten sechs Playoff-Spiele gewonnen, doch das war jetzt nur noch nebensächlich. Der Vater von Chris und Phil Baltisberger hatte zu Hause einen Herzstillstand erlitten, war reanimiert, mit dem Rettungswagen ins Spital gefahren und dort ins künstliche Koma versetzt worden. Chris rief sofort seinen Bruder Phil an, die beiden eilten ins Triemlispital. Statt in der Swiss-Life-Arena vor 12’000 Zuschauern zu spielen, verbrachten sie den Abend am Spitalbett und bangten um ihren 68-jährigen Vater.
Auf dem Eis konnte er alles vergessen
Ob dieser durch den Herzstillstand bleibende Schäden erlitten hatte, würden sie erst später erfahren. Um sich abzulenken, trainierten sie am Sonntag mit dem Team. «Was interessant war: Als ich auf dem Eis war, war ich ganz im Moment und dachte nicht daran, was passiert war», sagt Baltisberger. «Das war angenehm.» Am Montag dann die grosse Erleichterung: Die Tests ergaben, dass sich ihr Vater wieder gut erholen würde. «Er hatte viel Glück, und die Ärzte haben einen Riesenjob gemacht.»
Am Montagabend in Zug spielten die beiden Brüder wieder, derweil sich ihr Vater in der mehrtägigen Aufwachphase befand. «Natürlich hat uns das heftig durchgeschüttelt. Aber wir sagten uns: Unser Papi ist am Kämpfen, und wir kämpfen für ihn. Ich glaube, es löste auch etwas aus im Team. Wenn die anderen nach unserem Vater fragten und uns Kraft wünschten, begegneten wir uns auf einer anderen Ebene. Von Mensch zu Mensch und nicht von Spieler zu Spieler. In solchen Momenten wird dir bewusst, worum es im Leben geht. Und dass die Familie das Wichtigste ist.»

Jenes Playoff war für Chris Baltisberger das bisher emotionalste. Zumal es auch sein letztes an der Seite seines jüngeren Bruders Phil war, der in Zürich keinen neuen Vertrag mehr erhielt und zu den SCL Tigers wechselte. Was für ihre Eltern heisst, dass sie nun zwei Clubs verfolgen müssen.
Auch der Vater besucht inzwischen wieder ihre Spiele. «Er brauchte einen Moment, um nicht nur physisch wieder zu Kräften zu kommen, sondern auch seinem Körper wieder zu vertrauen», sagt Chris Baltisberger – und fügt schmunzelnd an: «Aber selbst Langnaus Nervenspiel in Kloten hat er gut überstanden.»
Mit einem Check beförderte er sich ins Team
Mit 33 bestreitet der Stürmer sein elftes Playoff mit dem ZSC. Seine Premiere gab er 2012 unter dem kanadischen Schleifer Bob Hartley. Weil gegen Ende der Qualifikation einige Stammspieler geschont wurden, kam der 20-jährige Jungspund zu einem Einsatz gegen Servette und checkte den Hünen Goran Bezina auf offenem Eis um.
Das imponierte Hartley so sehr, dass er Baltisberger fürs Playoff ins Team nahm. Und da trug der Neuling mit seinem Elan und seinem Körperspiel dazu bei, dass die Zürcher von Rang 7 aus zum Meistertitel stürmten. Damals erfuhr er erstmals, welche Dynamik in einem Team entstehen kann, wenn die Chemie stimmt.

Baltisberger ist das, was man einen Playoff-Spieler nennt. Er steckt ein, teilt aus, geht immer an seine Grenzen und den Gegnern unter die Haut. «Es ist wichtig, seine Stärken zu kennen», sagt er. «Ich bin nicht der, der im eigenen Drittel den Puck nimmt und alle ausdribbelt. Aber ich bringe viel Energie und habe mich mit den Jahren spezialisiert auf die Arbeit vor dem Tor. Es ist nicht einfach, mich da wegzubringen.» Im Sommer trainiert er jeweils mit einer Ballmaschine und Tennisbällen das Ablenken von Pucks.
Beinahe hätte er sein linkes Auge verloren
Die Zone vor dem Tor ist umkämpft, und Baltisberger muss Abend für Abend einiges einstecken. Anfang Saison, in einem Heimspiel gegen die SCL Tigers, traf ihn ein Gegner unglücklich mit der Schlittschuhkufe im Gesicht. Ein Zentimeter weiter rechts, und er hätte wohl sein linkes Auge verloren. Sein dreieinhalbjähriger Sohn, der mit der Mutter auf der Tribüne sass, begann zu weinen, als er die Wiederholung des Zwischenfalls auf dem Videowürfel sah. Er hatte Angst um seinen Vater.
Baltisberger hatte Glück im Unglück: Nur sein Augenlid musste genäht werden. Um sein Auge zu schützen, musste er danach einige Zeit mit einem Vollvisier spielen. Und da ihn dies in seiner Sicht nicht störte, blieb er zwei Monate beim Vollvisier. Er kam aber wieder davon ab, weil er merkte, dass ihn die Gegner wegen seines Schutzes noch brutaler attackierten als vorher. SCB-Verteidiger Patrik Nemeth versetzte ihm einmal einen Crosscheck ins Gesicht. «Ohne Vollvisier hätte ich den Kiefer gebrochen», sagt Baltisberger kopfschüttelnd.

Erstaunlich ist, dass er immer noch alle seine Zähne hat – eine Rarität bei einem Hockeyprofi. Baltisberger spielt konsequent mit Zahnschutz und entdeckte, dass dieser sogar zum Modeaccessoire taugt. Fürs Playoff 2023 liess er sich vom Vater des ZSC-Kollegen Marlon Graf, der Zahntechniker ist, einen blau-weiss-roten Zahnschutz anfertigen. Sein Sohn eifert seinem Vater nach und wünschte sich letzte Weihnachten ebenfalls einen Zahnschutz in den ZSC-Farben für seine Trainings in der Hockeyschule.
Seine Liebe in Kolumbien kennen gelernt
Chris und Sabrina Baltisberger, die sich 2019 beim Reisen in Kolumbien in einem Hostel kennen lernten und verliebten, haben inzwischen einen zweiten Sohn, im Alter von eineinhalb Jahren. Und gemeinsam haben sie ein kleines Business aufgebaut. Während der Coronapandemie 2020 begannen sie, Ingwer-Shots zu pressen und zu vertreiben. Und weil die Resonanz gross war, gründeten sie ihre eigene Firma: Nourish Body & Mind, also: Nähre deinen Körper und deinen Geist.
Noch immer pressen und vertreiben sie biologische Shots aus Ingwer, Zitrone und Honig. Einmal in der Woche produzieren sie zwischen 400 und 800 Shots à 60 Milliliter, die sie via ihre Website oder unter Bekannten vertreiben.
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Inzwischen haben sie ihr Tätigkeitsfeld erweitert. Die gelernte Köchin Sabrina hat bald ihre vierjährige Ausbildung zur Ernährungsberaterin abgeschlossen und gibt schon jetzt Beratungen. Chris hat begonnen, junge Spieler auf ihrem Weg zum Profi im mentalen Bereich zu unterstützen.
Wie geht man mit den Emotionen um?
Er sagt: «Körperlich wird inzwischen fast alles ausgeschöpft, Tracker messen alle unsere Werte in Echtzeit. Aber der Kopf ist viel weniger gut trainiert. Und er hat einen riesigen Einfluss auf unsere Leistung. Ob ich mit 100 oder mit 120 Kilogramm Kniebeugen mache, ist nicht so entscheidend wie die Frage, wie ich mit meinen Emotionen umgehe. Von diesem Thema war ich schon immer sehr fasziniert.»
Die Zukunft nach der Karriere scheint für Chris Baltisberger also vorgezeichnet. Doch er schiebt sogleich nach: «Ich bin immer noch mit ganzem Herzen und zu 100 Prozent Hockeyprofi.» Am Donnerstag absolvierte er beim 5:1 Startsieg gegen den EHC Kloten sein 121. Playoff-Spiel in der höchsten Liga. Es sollen noch viele dazukommen.
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