163-seitige AnklageschriftKnall im Tennis: Djokovic und Co. wollen die Tour zerschlagen
Die Profis würden ausgebeutet und verheizt, die Dopingjäger seien übergriffig, Stars würden bevorteilt. Die inoffizielle Gewerkschaft will die Tennisorganisationen vor Gericht zerren.

- Novak Djokovic gründete 2020 die PTPA, um die Spielerrechte zu stärken.
- Eine Kartellklage der Organisation kritisiert nun die Tennisorganisationen wegen unfairer Praktiken.
- Die ATP und WTA verteidigen sich energisch gegen die Vorwürfe.
- Doch es könnte heikel werden fürs Tennis-Establishment.
Worum geht es in der Klage?
Die von Novak Djokovic mitbegründete Professional Tennis Players Association (PTPA) hat in New York, London und Brüssel eine 163-seitige Kartellklage gegen die führenden Tennisorganisationen eingereicht: gegen die Männertour ATP, die Frauentour WTA, den internationalen Tennisverband (ITF) und die International Tennis Integrity Agency (ITIA), die gegen Doping und Wettbetrug kämpft. Die vier Grand-Slam-Turniere werden als «Mitverschwörer» bezeichnet.
Der Hauptvorwurf lautet, diese Organisationen würden ein Kartell bilden, um die Preisgelder künstlich tief zu halten, die Spielerinnen und Spieler in ihrer Turnierauswahl einzuschränken und durch ein restriktives Ranglistensystem zu einem ungesunden Mammutprogramm zu zwingen. Kurz: Die Spielerinnen und Spieler würden ausgenutzt, um möglichst grosse Einnahmen zu generieren, von denen sie aber einen viel geringeren Anteil (17 Prozent) erhalten würden als in anderen Sportarten.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
In der Klage heisst es, dass diese Organisationen «die vollständige Kontrolle über die Gehälter und Arbeitsbedingungen der Spielerinnen und Spieler» hätten und ihre Regelungen «lehrbuchmässige Verstösse gegen Landes- und Bundesgesetze» darstellten, die «das professionelle Tennis von den üblichen Marktkräften ausschliessen und den Spielerinnen und Spielern und anderen Teilnehmern der Branche das Recht auf einen fairen Wettbewerb verwehren».
Zudem werden in der Klage die Anti-Doping-Praktiken der ITIA scharf kritisiert: «Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass Ermittler unrechtmässig Mobiltelefone von Spielerinnen und Spielern beschlagnahmen, sie und ihre Familien in Turnierhotels belästigen, mit Dutzenden von Dopingtests ohne Grundlage bombardieren, stundenlang verhören und ihnen Strafen androhen, wenn sie nicht kooperieren.» Kritisch wird zudem angemerkt, die Stars Jannik Sinner und Iga Swiatek hätten Sonderbehandlungen erhalten.
Was ist die PTPA?
Die PTPA wurde im August 2020 von Novak Djokovic und dem kanadischen Ex-Spieler Vasek Pospisil gegründet mit dem Ziel, die Rolle einer offiziellen Spielergewerkschaft einzunehmen. An die Öffentlichkeit gingen die beiden im Rahmen des US Open, wobei Djokovic seine in New York abwesenden Rivalen Roger Federer und Rafael Nadal nicht in seine Pläne eingeweiht hatte. Diese distanzierten sich denn auch sogleich von der PTPA.
Der Leistungsausweis der Organisation ist bescheiden. Sie wurde von den etablierten Stakeholdern als Störenfried wahrgenommen und nicht als Verhandlungspartner akzeptiert. Ihr Hauptziel, eine anerkannte Gewerkschaft für die Spielerinnen und Spieler zu werden, hat sie bisher verfehlt. Sie generierte vor allem Aufmerksamkeit durch das Verfassen von Studien und Anprangern der Missstände im Tennis-Ökosystem.
Geschäftsführer ist seit 2022 der US-Anwalt Ahmad Nassar, der zuvor für die Spielerorganisation der NFL gearbeitet hatte.
Ist Novak Djokovic einer der Kläger?
Interessanterweise nicht. Als Kläger sind neben der PTPA zwölf Namen aufgeführt, unter anderen die Profis Nick Kyrgios, Sorana Cirstea, Varvara Gracheva, Reilly Opelka und Tennys Sandgren. Topspielerinnen fehlen. Gemäss Insidern habe sich Djokovic überlegt, seinen Namen aufführen zu lassen, sich dann aber dagegen entschieden, um zu vermeiden, dass die Klage wahrgenommen werde als Djokovic vs. das Tennis-Establishment.
Nassar sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, Djokovic sei «sehr involviert und stets auf dem Laufenden. Er ist immer noch ein Mitglied unseres Exekutivkomitees bei der PTPA. Aber hier geht es um viel mehr als nur einen Spieler.»
Sind die Vorwürfe gerechtfertigt?
Die Klage spricht einige wunde Punkte an. Die Profis sind der Tour und den grossen Turnieren ausgeliefert, um Punkte und Preisgelder zu sammeln. Anders als in vielen anderen Sportarten gibt es weder bei den Frauen noch bei den Männern eine Spielergewerkschaft, die ihre Interessen vertritt. Die ATP wird fälschlicherweise manchmal als solche bezeichnet, aber das ist sie nicht. Sie hat indes einen Spielerrat, den Roger Federer lange Jahre präsidierte.
Die Preisgelder sind in den letzten 20 Jahren zwar massiv gestiegen, doch auch Federer konnte keine gerechtere Verteilung erwirken, die mehr Spielerinnen und Spielern ein Auskommen auf der Tennistour garantiert. Und im Umgang mit den positiven Fällen von Sinner und Swiatek gibt es bei der ITIA in der Tat Erklärungsbedarf.
Wie reagieren die Angeklagten?
Die WTA- und die ATP-Tour erklärten, sie würden sich «energisch» gegen die Vorwürfe verteidigen. Beide wiesen auf die Erhöhung der Preisgelder in den vergangenen Jahren hin. Die WTA bezeichnete die Klage als «bedauerlich und fehlgeleitet».
Die ATP schreibt: «Die PTPA hat immer wieder Spaltung und Verwirrung durch Fehlinformationen dem Fortschritt vorgezogen. Fünf Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 2020 hat sich die PTPA schwergetan, eine sinnvolle Rolle im Tennis zu etablieren, sodass ihre Entscheidung, zu diesem Zeitpunkt rechtliche Schritte einzuleiten, nicht überraschend ist.»
Wie geht es weiter?
Das erklärte Ziel der PTPA ist, die Tennisorganisationen vor Gericht zu zerren. Sie will bewirken, dass sich Spielerinnen und Spieler gewerkschaftlich organisieren können, mehr Mitspracherecht erhalten und ein grösseres Stück des Einnahmenkuchens. Die Kläger müssen die Richter in Nordamerika und Europa davon überzeugen, dass das aktuelle System gegen die Grundprinzipien des jeweiligen Rechts verstösst.
Die angeklagten Organisationen werden die Klageschrift zunächst mit ihren Anwälten genau prüfen und dann wohl eine Replik verfassen. Das dürfte Monate in Anspruch nehmen. Sollte es zu einem Prozess kommen, könnte sich das über Jahre hinziehen. Ein Ausweg wäre, dass ATP, WTA, ITF und ITIA den Dialog mit der PTPA suchen, diese also als Verhandlungspartner akzeptieren und Kompromisse suchen, um ihr System zu retten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.